Behörden informieren Antifa-Aktivist*innen über Datenmissbrauch
Jahrelang wurden linke Aktivist*innen nicht darüber benachrichtigt, dass der ehemalige Verfassungsschutzagent Egisto Ott ihre Daten illegal abgefragt hat. Nun haben sie Post erhalten.
Es ist mitten in der bitterkalten Nacht, als im Jänner 2021 die Polizei mit Hunden und der Spezialeinheit WEGA anrückt, um die damals zwölfjährige Tina vom Schubhaftgefängnis in Wien-Simmering zum Flughafen zu bringen. Das Mädchen soll gemeinsam mit ihrer Familie nach Georgien abgeschoben werden. Bis zur letzten Minute protestieren Freund*innen, Lehrer*innen und Mitschüler*innen, doch vergebens. Die Polizei löst ihre Sitzblockaden auf und bringt Tina, ihre Schwester und ihre Mutter zum Flugzeug.
In den folgenden Tagen sollte der “Fall Tina” nicht nur die üblichen Verdächtigen im Austro-Twitter beschäftigen, sondern den Nationalrat, die schwarz-grüne Koalition und sogar den Bundespräsidenten, der in einer Rede seiner Empörung Luft macht: “Ich kann und will nicht glauben, dass wir in einem Land leben, wo dies in dieser Form wirklich notwendig ist.” Tina wird zum Symbol im ewigen Streit in der Migrationspolitik: Hier die Hardliner von ÖVP und FPÖ, die auf Abschreckung setzen, dort die progressiven Kräfte, die Milde walten lassen wollen.
Seit Dezember 2021 lebt Tina dank eines Schüler*innenvisums wieder in ihrer Heimatstadt. Und seit Juli 2022 steht fest, dass die Abschiebung rechtswidrig war. Das hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) aufgrund der von Tinas Anwalt eingebrachten Maßnahmenbeschwerde entschieden.
Das Urteil sorgte für wenig Aufregung, geschweige denn für spektakuläre Bilder. Dabei gilt es als Meilenstein, als eine Art Präzedenzfall dafür, wie in Österreich Rechte erkämpft werden können: Nicht nur auf der Straße, sondern vor allem vor Gericht.
Eine Erfahrung, die auch die LGBTQIA-Community gemacht hat. Feiert sie Erfolge, dann meist im Gerichtssaal. Siehe die gleichgeschlechtliche Ehe, legal in Österreich seit dem 1. Jänner 2019, möglich gemacht durch ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs.
„Grundsätzlich wollen wir das Recht erklagen, dass nicht-binäre Menschen einen korrekten Geschlechtseintrag bekommen.“
Auf Gerichte setzt auch die “Initiative Genderklage”. Sie tritt dafür ein, dass die Wahl des Personenstandes in Österreich frei und selbstbestimmt sein soll.
„Grundsätzlich wollen wir das Recht erklagen, dass nicht-binäre Menschen einen korrekten Geschlechtseintrag bekommen“, erklärt Pepper von Genderklage im Gespräch mit tag eins.
Die Initiative hat ein Vorbild: Alex Jürgen. Er ist die erste Person in Österreich, die einen Pass und eine Geburtsurkunde mit der Geschlechtsbezeichnung “Divers” beziehungsweise “X” erhielt. Jürgen zog dafür 2018 vor den Verfassungsgerichtshof. Seitdem haben Menschen, deren Geschlecht nicht männlich oder weiblich ist, ein Recht auf eine entsprechende Eintragung im Personenstandsregister (ZPR) und in Urkunden.
Allerdings hat Genderklage noch eine Lücke ausgemacht: Menschen, auf die die Bezeichnung Frau oder Mann nicht oder nicht ausreichend zutrifft oder die eine Einordnung grundsätzlich ablehnen, aber nicht inter sind, haben zurzeit keine Möglichkeit, das in offiziellen Dokumenten widerzuspiegeln. Das will Genderklage ändern – vor Gericht. Es geht der Initiative um die Sichtbarmachung.
“Weil wir können und weil wir müssen”, erklärt Pepper. “Menschen, die nicht von staatlicher Diskriminierung betroffen sind, können das vielleicht nicht so leicht nachempfinden.” Auch gibt es in dem Bereich “leider kein Verbandsklagerecht, also können immer nur Betroffene klagen.”
Der Rechtsweg kann mitunter mühsam sein.
Aktuell werden vier Verfahren zum Personenstand geführt. Genderklage hat am Landesverwaltungsgericht Wien in allen vier Verfahren recht bekommen. Das Innenministerium hat allerdings Revision eingelegt, nun ist der Verfassungsgerichtshof am Zug. “Die aktuellen Urteile gelten für die jeweiligen Kläger*innen, ein Höchstgerichtsurteil würde dann entsprechend für alle gelten. Das ist natürlich unser Ziel”, sagt Pepper.
Das Personenstandsgesetz wird heuer 40. Ebenso lange wird dagegen geklagt, wie dieses Gesetz vom zuständigen Innenministerium ausgelegt wird. “Wir setzen einen Weg fort, der uns leider aufgezwungen wird, um zu unseren Rechten zu kommen. Unsere Klagen sind erfolgreich, weil es die Aufgabe der Höchstgerichte ist, die Grund- und Menschenrechte zu schützen”, erklärt Pepper.
Aber es gibt noch weitere Aktionsfelder. “Mit dem Alex-Jürgen-Urteil wurde die rechtliche Binarität der Geschlechter abgeschafft, es gibt aber neben dem Personenstand zahlreiche weitere Gesetze, die repariert werden müssen, weil sie auf einem binären Weltbild aufbauen”, so Pepper. Dafür werden die zuständigen Behörden angefragt, wie sie diese Gesetze auslegen. “Wir spielen Anfragen-Bingo.” So sollen nicht-binäre Personen in der Öffentlichkeit sichtbar gemacht werden.
So heißt es etwa in der Strafprozessordnung und im Luftfahrtsicherheitsgesetz, dass bei einer Personendurchsuchung die Person das Recht hat, von einer Person desselben Geschlechts durchsucht zu werden. Genderklage will wissen, wie die Behörden in so einem Fall mit inter und nicht-binären Personen umgehen?
Von den Verfahren bekommt so gut wie niemand etwas mit – keine Kameras, keine Journalist*innen. Die sind draußen, bei den Klimakleber*innen. Bringen solche Aktionen der “Letzten Generation” nicht mehr Aufmerksamkeit? Nicht unbedingt, meint Pepper. Pepper versteht den Gerichtssaal als eine Art Ergänzung für die Politik, die Genderklage auch auf der Straße macht. “Wir sind auch auf der Straße, am Trans Day of Visibility, am Trans Day of Remembrance, zur non-binary Awareness Week, wenn wieder mal jemand einen transfeindlichen Film im Parlament zeigen will zu einer Spontandemo, auf der Regenbogenparade”, sagt Pepper.
Tatsächlich scheint es so, als ob der Weg durch die Instanzen auch für Klimaaktivist*innen interessant geworden ist. Im Februar reichten zwölf Kinder und Jugendliche eine Klimaklage beim Verfassungsgerichtshof ein. Sie bemängeln, dass die Bundesregierung durch fehlende Maßnahmen ihre Zukunft gefährden würde.
Derzeit gibt es kein gültiges Klimaschutzgesetz (KSG). Das Gesetz, das die Treibhausgasbudgets pro Jahr festlegt, ist 2020 ausgelaufen, seitdem gibt es keine gesetzlichen Zielwerte. Gut möglich, dass eine neue Klimagesetzgebung der nächste Fortschritt in Österreich ist, der in einem Gerichtssaal erkämpft wird.
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