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Objektiven Journalismus gibt es nicht
Guter Journalismus muss objektiv sein. Zumindest lautet so ein weit verbreiteter Irrglaube. tag eins räumt damit auf.
Ich bin nach meinem Praktikum bei der taz in Berlin wieder zur Chefredaktion, wo ich auch vorher schon gearbeitet habe, zurückgekommen. Gerade läuft es sehr gut. Mein Studium habe ich fast beendet und ich bin mit 30 Stunden bei der Chefredaktion angestellt. Dafür bin ich wirklich sehr dankbar.
Aber natürlich machen wir uns viele Gedanken zur politischen Situation, etwa zu der Ankündigung der FPÖ, dass sie die Medienlandschaft umkrempeln wollen. Das betrifft uns auch. Wir hatten zum Beispiel letztes Jahr eine große Kooperation mit dem Sozialministerium. Das wird es mit der FPÖ oder der ÖVP im Sozialministerium wohl nicht spielen.
Wir spüren die politische Veränderung auch persönlich und direkt. Mein Kollege Simon und ich haben vor Kurzem vom Neujahrstreffen der FPÖ berichtet und dort eine gruselige Situation erlebt: Wir haben mit jemandem ein Interview geführt, der gerade in einer Schlange anstand, um mit Kickl ein Foto zu machen. Es war ihm wichtig, anonym zu bleiben. Deshalb haben wir die Kamera auf mich gerichtet. Ich habe ihn gefragt, ob Kickl ein Vorbild für ihn ist und was er zu den Vorwürfen sagt, dass die FPÖ extrem rechts oder gar rechtsextrem sei.
Währenddessen stand die ganze Zeit ein etwa 40-jähriger Mann neben uns. Es war zwar ein Zaun zwischen uns. Aber er ist mir während des Interviews immer näher gekommen, bis er direkt an meiner Schulter geklebt ist. Mir war das sehr unangenehm. Aber ich habe es so gut es geht ignoriert, weil ich das Interview fertig machen wollte.
Danach bat mein Kollege ihn, einen Schritt zur Seite zu gehen. Und dann hat der Typ angefangen, sich aufzuregen: Ihr belästigt hier die Leute. Wer seid ihr überhaupt? Er hat einen Streit mit uns angefangen. Wir wurden dann richtig wütend und sind gegangen, aber der Mann hat uns durch die Event-Location verfolgt und immer wieder angestarrt. Und zwar so als würde er uns sagen wollen: Ich sehe euch, ich verfolge euch. Das war richtig einschüchternd.
Wir sind dann zu den anderen Medien gegangen, wo TV-Kameras aufgebaut waren. Dorthin hat er sich offensichtlich nicht getraut. Aber er hat mit jemandem getuschelt und auf uns gezeigt. Der Typ, mit dem er geredet hat, hat uns kurz darauf von hinten angetippt. Er meinte, er sei von der Aufsicht und fragte, ob wir Jugendliche belästigt hätten.
Wir haben unsere Pressekarten und Akkreditierungen gezeigt. Die Diskussion war ein bisschen hitzig und einschüchternd. Aber er hat uns dann wieder reingelassen. Wir hatten zwar nicht wirklich Angst in der Situation, aber es macht mir Sorgen, dass so mit Medien umgegangen wird.
Alena Wacenovsky, 23 Jahre alt, Redakteurin beim Onlinemedium „Die Chefredaktion“, studiert nebenbei Theater-, Film und Medienwissenschaften
Hier kann man die Chefredaktion unterstützen.
Bei mir hat sich nicht so viel verändert im letzten Jahr. Ich kann mich eigentlich nicht beschweren. Ich tu’s trotzdem kurz: Auf eine Anstellung beim ORF warte ich immer noch.
Aber ich bin guter Dinge und versuche, angesichts der trüben weltpolitischen Lage, optimistisch zu bleiben. Jetzt in Pessimismus oder Misanthropie zu versinken, bringt uns nicht weiter. Man muss nach vorne schauen und versuchen, das Beste daraus zu machen. Man muss vielleicht auch kreativer denken und neue Wege ausloten.
Alles in allem war das letzte Jahr gut. Ich habe den Sommer genutzt, um mich bei einer Summer School in den USA weiterzubilden. Dort hab ich sehr viele österreichische Kolleg*innen kennengelernt, manche würde ich inzwischen auch als Freund*innen bezeichnen. Dieser Austausch war sehr schön. Und es hat gut getan, zu sehen, dass sich die Probleme, die es im eigenen Medium gibt, auf einen breiten Teil der österreichischen Medienlandschaft umlegen lassen. Es geht allen ähnlich.
Was mich optimistisch stimmt: Es gibt sehr viele engagierte junge Journalist*innen, die die Zukunft des österreichischen Journalismus sind oder sie zumindest mitprägen werden. Die Medien werden nicht untergehen, es wird immer irgendwie weiter gehen. Es ist wichtig, dass man trotz der großen Herausforderungen optimistisch bleibt und vor allem, dass man sich nicht unterkriegen lässt. Das will ich meinen jungen Kolleg*innen mitgeben.
René Froschmayer, 28, kommt eigentlich aus der Technik-Branche, studierte Publizistik & Kommunikationswissenschaften, währenddessen Praktika und Volontariate im Journalismus, inzwischen freier Moderator und Redakteur bei Radio FM4
Ich arbeite 30 Stunden als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni und einen Tag die Woche für ein journalistisches Medium. Das ist für mich die ideale Lösung. So kann ich wirklich schreiben, was ich will und muss keine Sachen mehr machen, die ich am Journalismus nicht so gern mag. Es gibt mir viel Flexibilität.
Wo ich mir immer noch sicher bin: Ich will in Österreich keiner klassischen Journalismus-Karriere nachgehen. ___STEADY_PAYWALL___ Ich sehe, das bei Leuten, die ähnliche Sachen gemacht haben wie ich. Der überwiegende Teil hat mit Anfang/Mitte 30 aufgehört, dieses Ziel zu verfolgen. Das Leben war damit einfach nicht mehr gut finanzierbar. Ich werde wohl auch in Zukunft keine klassische Anstellung haben. Es ist mir lieber, ich finanziere meine journalistische Tätigkeit mit anderen Jobs quer. Tatsächlich gibt es das recht häufig. Ich kenne zum Beispiel einige Leute, die unterrichten und sich damit ihre journalistische Tätigkeit nebenher finanzieren.
Für mich passt die Situation gerade sehr gut. Ich bin zufrieden. Mir gibt das große Freiheiten. Und ich kann Texte schreiben, wo ich weiß, da stehe ich wirklich dahinter.
Aber im Hinblick auf die Zukunft der Medien in Österreich bin ich besorgt. Ein Hauptproblem der österreichischen Medienlandschaft ist der kleine, konzentrierte Markt. Dadurch ist es sehr schwierig, Gegenöffentlichkeiten zu finanzieren. Es ist zum Beispiel sehr schwer, feministische Magazine zu produzieren und sie auch zu erhalten, weil du potenziell ,nur’ acht Millionen Käufer*innen erreichen kannst. In Deutschland ist der Markt zehn Mal so groß. Dadurch ist es bei uns sehr schwer, progressive Medien zu erhalten, was in Zeiten des Rechtsrucks ein noch größeres Problem darstellt.
Ich bin mir nämlich unsicher, ob die bürgerlichen Medien, die es in Demokratien auch braucht, standhaft genug sind, um dem Rechtsruck und den Angriffen auf die Pressefreiheit etwas entgegenzusetzen oder ob sie sich nicht doch eher damit arrangieren. Auch weil sie das ökonomisch müssen.
Die Vorstellung, dass der ORF über das Budget finanziert werden soll, ist furchtbar. Damit vergrößert sich die politische Einflussnahme noch mehr. Wir sind jetzt in einer Situation, in der man Medien verteidigen muss, über die man denkt, dass dort sehr viele Fehler gemacht wurden und werden. Zum Beispiel den ORF.
Auf der anderen Seite ist das ein bisschen paradox: Es kann sein, dass es jetzt privaten Medien, wie dem Falter oder dem Standard kurzfristig besser geht, wie das bei der New York Times und Trump der Fall war. Linkere Medien könnten höhere Einnahmen aus der Abo-Finanzierung haben, weil die Menschen etwas gegen die rechte Politik tun wollen.
Aber die Medien kommen trotzdem massiv unter Druck. Uns stehen in Österreich medial keine guten Zeiten bevor.
anonym (Name der Redaktion bekannt), Journalistin, Ende zwanzig, ist hauptsächlich wissenschaftlich tätig, arbeitet nebenbei für ein deutsches Medium
Mir macht mein Job richtig viel Spaß. Ich habe in den letzten zwei Jahren viel gelernt und konnte viel Neues ausprobieren, das ist mir wichtig.
Dementsprechend bin ich froh, dass sich die Zwei-Jahres-Grenze (Anm.: Im Protokoll vor einem Jahr war die Rede von zwei Jahren, die die neue Chefredakteurin des Befragten Zeit hat, um das Ruder in ihrem Medium rumzureißen) offensichtlich nicht durchgesetzt wurde. Meinem Arbeitgeber, dem Profil geht es gut genug, dass es uns weiterhin gibt. Und ich hoffe noch sehr lange, weil kritischer Journalismus unglaublich wichtig ist.
Mir persönlich geht es also sehr gut in meinem Job. Aber man merkt schon die politischen Veränderungen. Die FPÖ sieht das Profil eher kritisch. Sie baut sich lieber eine eigene Medienlandschaft auf und kommuniziert dann eher mit denen als mit uns.
Zum Beispiel bei der EU-Wahl. Nach Wahlen ist es typisch, dass Parteien Wahlpartys feiern. Normalerweise können da alle Medien vorbeikommen und darüber berichten. Dafür muss man sich akkreditieren, also anmelden. Im Falle von der FPÖ war das so, dass mir gesagt wurde, dass für mich kein Platz mehr sei. Das Lokal wäre zu klein. Ich bin trotzdem hingegangen. Aber sie haben mich nicht reingelassen, weil ich nicht auf der Gästeliste stand. Man konnte von draußen reinschauen. Und sagen wir so: An einer Überfüllung ist es nicht gescheitert.
Bei der Nationalratswahl war es ähnlich. Die FPÖ hat relativ früh am Abend gesagt, dass der medienöffentliche Teil der Wahlparty vorbei sein. Man merkt: Die FPÖ will weniger Nähe von kritischen Medien zulassen.
Noch ein Beispiel: Nachdem klar war, dass die ÖVP mit der FPÖ regieren will, gab es das erste medienöffentliche Statement von Herbert Kickl in den Klubräumlichkeiten der FPÖ. Der Medienraum dort ist relativ klein. Als ich mich anmelden wollte, war angeblich kein Platz mehr frei. Ich habe zurückgeschrieben, dass ich trotzdem kommen werde und so wie bei der EU-Wahl von draußen reinschaue. Dann hieß es, nein, der Raum sei im sechsten Liftstock. Sie könnten mich nicht mehr rauf fahren lassen, sondern ich würde dann unten auf der Straße in der Kälte stehen. Sie würden mir empfehlen, nicht zu kommen. Ich habe mich dann unter Auslandsmedien durchtelefoniert und tatsächlich wurde auch die französische Nachrichtenagentur AFP vom Statement ausgeladen. Darüber habe ich dann berichtet.
Hin und wieder fragen mich Leute, wie das für mich persönlich ist. Aber es ist nicht mein Job, das persönlich zu nehmen. Man sieht das zum Beispiel in Ungarn. Es ist typisch, dass für kritische Medien kein Platz mehr ist. Bei diesem Kickl-Statement war aber sehr wohl Platz für AUF1. Der dort anwesende Redakteur war früher der Chef der Wiener Identitären, einer rechtsextremen Organisation, deren Symbole in Österreich sogar verboten sind.
Über so etwas berichten wir dann auch, damit sich Leute ein Bild davon machen können, wie diese Partei agiert und was es bedeutet, wenn sie in die Regierung kommt. Es gibt allgemein einen zunehmenden Druck im Journalismus: Es muss alles immer schneller werden und durch alle möglichen Formen von Falschinformationen gibt es auch ein geringeres Bewusstsein dafür, welchen Wert richtiger Journalismus eigentlich hat.
Es kommt wohl eine Zeit auf uns zu, in der kritischer Journalismus wichtiger denn je ist. Man sieht zunehmend, wie essenziell es ist, nach der Wahrheit zu suchen in diesem Dickicht an Falschinformationen, das im Internet vorherrscht. Das kann auch eine Chance für kritische Medien sein, ihren Kern wiederzufinden und der Bevölkerung klar zu machen, warum es so wichtig ist, kritisch hinzuschauen.
Maximilian Miller, 28 Jahre alt, Journalismusstudium an der FH Wien, zuerst Innenpolitik-Redakteur bei der „Kleinen Zeitung“, inzwischen Politikredakteur beim Nachrichtenmagazin „Profil“
Mir geht's grundsätzlich ganz gut, ich bin seit Juni bei einer Consulting-Firma tätig, wo ich mich unter anderem um Copywriting, Newsletter und Social Media kümmere. Ich darf dort auch den Podcast produzieren – das ist spannend und macht mir Spaß. Da kann ich so richtig in meinem Element sein, in die Recherche eintauchen und auch Vorgespräche führen.
Parallel dazu bin auch selbstständig journalistisch tätig und setze verschiedene freie Projekte um. Außerdem bin ich Moderatorin bei einem neuen digitalen Kronehit-Sender. Das macht Freude. Es ist eine coole Chance, erste Erfahrungen im Radiobereich zu sammeln.
Unterm Strich hoffe ich, dass sich diese ganzen Investments und gesammelten Erfahrungen langfristig rentieren, damit ich in Zukunft wieder richtig in die klassischen Medien zurückkehren kann. Aber wann und unter welchen Umständen das passiert, kann ich nicht sagen. Die Situation am Arbeitsmarkt hat sich nicht groß verändert.
Ich lasse es auf mich zu kommen und versuche mich mit jenen Dinge zu beschäftigen, die mich wirklich begeistern.
Über den Journalismus allgemein mache ich mir große Sorgen, auch vor dem Hintergrund, wie sich die Politik in Österreich, aber auch international momentan verändert. Ich habe einfach Angst, dass aufgrund der prekären Situation bei den Medien die Journalist*innen fehlen, die Aufklärung betreiben, die darauf schauen, was politisch passiert. Ich befürchte, dass die Medien ressourcentechnisch und personell nicht (mehr) die Mittel haben, um wirklich gute Arbeit zu machen. Sie müssen mit immer weniger Personal immer mehr abdecken. Das ist eine ziemliche Abwärtsspirale.
Aber vielleicht werden jetzt, wo es so schlecht um viele Medien steht, auch wieder mehr Abos abgeschlossen. Möglicherweise nur in meiner Bubble, aber es kann sich schon auch positiv auswirken. Wie zum Beispiel beim Standard, nach dem Scheißblatt-Sager von Dominik Nepp. Da hab ich mitbekommen, dass viele gesagt haben, jetzt hab ich das ,Scheißblatt‘ wirklich mal abonniert.
Pia Miller-Aichholz, 29 Jahre alt, Journalismusstudium an der FH Wien, war beim Onlineportal „1000things“, dann frei tätig, kurzzeitig Politikredakteurin beim Onlinemedium „ZackZack“, zuletzt bei einer Consultig-Firma und als Radiomoderatorin bei Radio Super80s tätig
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