Von Cybergewalt sind in erster Linie Frauen betroffen. Bild: Adobe Stock
Sara Brandstätter, Katharina Narr
Reporterinnen
Wie Brüssel das „Hass im Netz“-Gesetz reparieren könnte
In Österreich werden Frauen und Mädchen nicht gut genug vor Gewalt im Internet geschützt. Abhilfe könnte eine neue EU-Richtlinie schaffen.
Es beginnt mit einer Verwunderung, die immer mehr dem unguten Gefühl weicht, verfolgt zu werden. Wie kann es sein, dass der Ex-Partner immer genau dort auftaucht, wo man selbst ist? Eva Huber hat solche Fälle oft erlebt. Seit 15 Jahren arbeitet sie als Sozialarbeiterin im Verein Wendepunkt in Wiener Neustadt. Wenn sich Frauen an sie wenden, wissen sie oft einfach nicht mehr weiter. Bis Huber nachfragt, ob es sein kann, dass der Ex noch Zugang zum Handy hat und die Passwörter kennt. „Erst dann kommen viele Frauen darauf, dass sie verfolgt werden. Und dass sie von Cybergewalt betroffen sein könnten.“
Auch wenn Hubers Klientinnen meist aus anderen Gründen kommen, hat die Sozialarbeiterin gelernt, Cybergewalt mitzudenken und anzusprechen, erzählt sie. Dass sie über ihr Handy getrackt werden können, daran denken Frauen selten, unabhängig vom Alter. Wenn sie bei Huber sitzen, haben sie oft schon häusliche Gewalt erlitten. Und selbst, wenn die Frauen es geschafft haben, sich zu trennen, können das Handy und das Internet ein Mittel für den Ex-Partner sein, weiter Gewalt auszuüben: Plötzlich erscheint ein Nacktbild im Chat, aufgenommen, als die Beziehung noch lief und das Vertrauen intakt war. Versehen mit einer Drohung: Ich kann das jederzeit veröffentlichen.
Sozialarbeiterinnen wie Huber haben schon länger erkannt, dass Cybergewalt an Frauen Gewalt ist wie jede andere. Gewalt, die genauso gewertet werden muss wie Prügel. Gewalt, die genauso weitreichende psychische, wirtschaftliche und soziale Folgen für Betroffene haben kann – und gesetzlich schwer zu fassen ist.
Österreich hat es versucht, im „Hass im Netz“-Gesetz, das im Jänner 2021 erlassen wurde. Das Gesicht der Initiative war vor allem die Grünen-Politikerin Sigi Maurer, die selbst online belästigt wurde. In der sogenannten “Causa Bierwirt” wurde deutlich, was Frauen im Internet erleiden müssen – und wie unklar die gesetzlichen Grenzen sind.
Mit dem "Hass im Netz"-Paket wurde juristisch klargestellt, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Darin seien viele gute Neuerungen enthalten, aber dem Gesetz fehlt etwas, meint Publizistin und Digitalexpertin Ingrid Brodnig: der Gender-Aspekt. „Frauen werden anders eingeschüchtert als Männer”, sagt Brodnig. Und sie sind viel häufiger betroffen, wie Statistiken zeigen, obwohl online jede und jeder Opfer von Gewalt werden kann. Diese Schlagseite hat Österreichs Regierung nicht gut genug behoben – sie könnte aber nun von der Europäischen Union korrigiert werden.
Factbox
Cybergewalt ist die direkte oder indirekte Gewaltausübung über Informations- und Kommunikationstechnologien wie das Internet, Social Media etc.
Betroffen von Cybergewalt können alle sein. Statistisch gesehen trifft es Frauen und Mädchen aber häufiger. Betroffene leiden unter potenziell schwerwiegenden körperlichen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden.
Cybergewalt gegen Frauen umfasst die Verletzung der Privatsphäre, Stalking, Belästigung, geschlechtsbezogene Hassrede und die Weitergabe von persönlichen oder intimen Inhalten ohne Zustimmung.
Lösung auf EU-Ebene in Sicht
Am 8. März 2022, dem Internationalen Weltfrauentag, hat die Europäische Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union eine ambitionierte Richtlinie für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vorgelegt. Von physischer Gewalt über Genitalverstümmelung bis hin zu Gewalt am Arbeitsplatz werden viele Themen frauenspezifisch besprochen und die Maßnahmen direkt auf Frauen und Mädchen zugeschnitten. Und zum ersten Mal in der Geschichte der EU beschäftigt sich ein Rechtsakt umfassend mit Cybergewalt gegen Frauen und Mädchen. Noch in der Istanbul-Konvention von 2011, dem Vorläufer der neuen Richtlinie, kam das Thema nicht explizit vor. Außerdem wurde das Vertragswerk nicht in allen EU-Mitgliedsländern ratifiziert, was bei der aktuellen Richtlinie anders werden könnte – wird sie nicht in nationales Recht umgewandelt, drohen den säumigen Staaten Vertragsverletzungsverfahren.
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Eine gesamteuropäische Lösung beurteilt Nikolaus Forgó, Professor für Technologierecht an der Universität Wien, als positiv. Ganz besonders gelte das in Bezug auf die Plattformen wie Facebook und TikTok, die sich im nationalen Alleingang nur schlecht regulieren lassen. Insgesamt erfasse die Richtlinie mehr Aspekte als das "Hass im Netz"-Paket, sagt Forgó über den derzeit bekannten Entwurf. Sinnvoll findet er alle Bereiche, die sich mit Durchsetzung, der Kompetenz von Behörden und gesellschaftlicher Aufklärung befassen. „Wenn es darum geht, besser aufzuklären, erreichbar zu sein und Opfer an die Hand zu nehmen, das muss man uneingeschränkt unterstützen.” Dabei bezieht er sich auf die Bereiche der Opferhilfe, Prävention von Gewalttaten und Koordinierung und Zusammenarbeit von Behörden. Es brauche aber auch Ressourcen für Fortbildungen und technische Unterstützung von Hilfsorganisationen.
Schwieriger Umgang mit Cybergewalt
Die Probleme, die von der EU besser geregelt werden sollen, kennen Österreichs Frauenhäuser, wie sie der Wiener Neustädter Verein Wendepunkt betreibt, nur allzu gut. Cybergewalt ist für Hilfsorganisationen eine große Herausforderung. Und eine Gratwanderung, erklärt Sozialarbeiterin Eva Huber: „Die Gefahr ist, dass man hier drüberfährt und Betroffenen zum Beispiel rät, alle Apps zu löschen. Aber oft sind das die einzigen Kontaktmöglichkeiten der Frau mit Familie und Freunden.” Was also ist besser – Schutz vor Übergriffen oder soziale Isolation? Die Entscheidung liege eh immer bei der Frau, erklärt Huber. Sie könne nur Optionen aufzeigen, wie sich die Frau schützen kann.
Zum anderen machen es die Schnelligkeit des Internets und immer wieder neu aufkommende Apps und Kommunikationskanäle schwer, den Überblick zu behalten. Es fehle an geschulten Kolleg*innen, schildert Huber. Hier setzen die Sozialarbeiterinnen aus Wiener Neustadt auf Zusammenarbeit mit Expert*innen des Vereins ZARA (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit). Das reiche aber nicht: „Wir brauchen mehr Möglichkeiten, an die wir uns für raschen, fachlichen Input wenden können.” Probleme, die mit der Richtlinie angegangen werden sollen.
Der Rechtsexperte Nikolaus Forgó sieht jedoch nicht alle Teile als gelungen. Zwei Artikel im Entwurf kritisiert er besonders: Artikel 22 zum Schutz des Privatlebens und Artikel 25 mit Maßnahmen zur Entfernung von Online-Material. „Da würde ich gerne wissen, wie das funktionieren soll?” In diesen Punkten sieht er die Realitäten des Internets nicht richtig reflektiert. Es ist beispielsweise festgelegt, dass Mitgliedstaaten dafür zuständig sind, strafbares Material unverzüglich aus dem Internet zu entfernen. Aber eine ausführliche Erläuterung, wie das technisch umgesetzt werden kann, vermisst Forgó.
Forgó verweist auch auf den Trend, dass ständig Unmengen an neuem Recht entstehen würden. Was nicht notwendigerweise zu weniger Gewalt führe. Insgesamt sei die Richtlinie, die alle Bereiche von Genitalverstümmelung bis hin zu Mobbing beinhaltet, zu breit gefasst.
Die EU-Abgeordnete Evelyn Regner von der SPÖ erklärt das mit der Entstehungsgeschichte der Initiative: „Diese Richtlinie ist aus der Not geboren.” Nicht alle EU-Mitgliedsstaaten hätten ausreichende nationale Gesetze, um Frauen zu schützen. Dabei seien diese dringend notwendig, und zwar in einer Vielzahl von Bereichen.
Finnland als Vorreiter
Ein Land, in dem all das bereits besser funktioniert, ist Finnland. Hier arbeitete die Regierung Sanna Marin an einem Programm, um Bürger*innen für das Thema zu sensibilisieren. Im Fokus stehen Maßnahmen zur Verhinderung und Vorbeugung von Gewalt. Die finnische Regierung hat insgesamt 32 Ziele formuliert, beispielsweise Betroffene schneller an Hilfsorganisationen zu verweisen. Aber auch junge Menschen spielen eine wichtige Rolle. Im Frühjahr dieses Jahres startet eine Kampagne in den Sozialen Medien, die besonders junge Bürger*innen über sexualisierte Gewalt und Belästigung online aufklären soll. Um die Zielgruppe auch wirklich zu erreichen, waren Jugendliche mit am Projekt beteiligt.
Wenn es trotzdem zu Gewalt im Netz kommt, setzt das skandinavische Land auf eine bessere Zusammenarbeit der Behörden, die sich täglich mit dem Thema beschäftigen. Alle involvierten Stellen sollen auf Augenhöhe miteinander kommunizieren und Zahlen und Daten zur Thematik erheben. Dasselbe soll durch die Richtlinie auch auf EU-Ebene passieren. „Es braucht EU-weite, vergleichbare Zahlen, Daten und Fakten. Denn wenn ich die nicht habe, dann kann ich auch kein Bewusstsein schaffen”, sagt die EU-Abgeordnete Regner.
Bessere Zusammenarbeit von Behörden
Eine bessere Zusammenarbeit aller beteiligten Instanzen durch eine gemeinsame Richtlinie würde auch die Geschäftsführerin der Autonomen Frauenhäuser, Maria Rösslhumer, begrüßen. „Wir sprechen in unserem Team oft darüber, dass wir gar nicht hinterherkommen." Es brauche hier eine übergreifende Richtlinie, die klare Definitionen und einen Umgang vorgibt, denn „es herrscht so viel Unsicherheit bei uns, aber zum Beispiel auch bei der Polizei”, sagt Rösslhumer.
Die Polizeiinspektionen sind laut Rechtsexpertin Barbara Jauk vom Bundesverband der Gewaltschutzzentren mit der Auswertung von Inhalten in den sozialen Medien überfordert. Das liegt unter anderem an der Menge von Onlineinhalten. Hilfreich ist es deshalb, zum Termin mit der Polizei bereits ausgedruckte Screenshots von veröffentlichtem Material oder von privaten Chatverläufen mitzubringen, erzählt Jauk. Insgesamt kann sich so eine Ermittlung aber lange hinziehen.
Sozialarbeiterin Eva Huber spricht deswegen mit ihren Klient*innen genau durch, welches Ziel die Frauen erreichen wollen, bevor sie tatsächlich zur Polizei gehen. Geht es ihnen vor allem darum, dass der Ex-Partner sie nicht mehr erreicht? Dann helfen Huber und ihre Kolleginnen den Betroffenen erst einmal dabei, alle Privatsphäre-Einstellungen am Handy und in den Social-Media-Profilen anzupassen. Geht es darum, dass Täter bestraft werden sollen? Dann führt kein Weg an der Polizei vorbei. Für die betroffenen Frauen ist das aber mit Einschränkungen verbunden. „Wir sagen den Frauen, was es bedeutet, zur Polizei zu gehen, ein Handy dort abzugeben. Das bekommt man nämlich unter Umständen erst nach Monaten zurück. Und das bedeutet natürlich einen Verlust der eigenen Beweglichkeit”, erklärt sie. Helfen würden Ersatzgeräte, aber dafür fehlt schlicht und einfach das Geld.
Polen und Ungarn stellen sich dagegen
Auf EU-Ebene debattieren derzeit Parlament und Rat über die Richtlinie. Einige Länder wollen dabei verschiedene Bereiche des aktuellen Entwurfs entkräften. Für Evin Incir von den schwedischen Sozialdemokraten, seitens des EU-Parlaments zuständig für die Richtlinie, ist das keine Option: „Eine verwässerte Richtlinie werden wir am Ende nicht akzeptieren.” Sie verweist im Gespräch darauf, dass besonders Polen und Ungarn ein Hindernis für die Verbesserung der Gleichstellung der Geschlechter in der Union seien. Die rechtspopulistische Regierung in Polen versucht beispielsweise seit 2011, aus der Istanbul-Konferenz auszutreten, die das Land ursprünglich unterzeichnet hat. In Polen werde Gewalt gegen Frauen nicht als strukturelles, sondern als familieninternes Problem gesehen, so Incir.
Die Richtlinie könnte erstmals gesamteuropäisch definieren, was Cybergewalt gegen Frauen und Mädchen bedeutet und damit einen einheitlichen Umgang ermöglichen. Mit einem Beschluss kann frühestens Ende des Jahres gerechnet werden. Wenn Parlament und Rat zustimmen, muss Österreich das nationale Recht entsprechend anpassen. Die Verankerung im nationalen Recht soll garantieren, dass der EU-Rechtsakt möglichst gut auf das jeweilige Mitgliedsland passt. Klar ist, dass sich die Situation von Betroffenen nur durch den Beschluss der Richtlinie nicht automatisch verbessern wird. Positiv sehen Rechtsexpert*innen und Hilfsorganisationen es aber allemal, dass Cybergewalt explizit erwähnt und damit rechtlich mitgedacht wird.
Durch die Umsetzung der Richtlinie, verstärkte Präventionsarbeit in Zusammenarbeit mit Schulen und Kampagnen für mehr Bewusstsein, Verständnis und Aufmerksamkeit innerhalb der Gesellschaft, kann eine Verbesserung erreicht werden. Daran mangelt es in Österreich heute noch. Österreichs Frauenhäuser gehen unterdessen das Problem Cybergewalt aber weiter an und helfen. „Die Richtlinie kann ein kleiner Mosaikstein im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen sein. Darauf können wir uns berufen, und vor Behörden für betroffene Frauen besser argumentieren", sagt Sozialarbeiterin Eva Huber. Ob sich ihre Hoffnung bewahrheitet, hängt letzten Endes aber von der tatsächlichen Umsetzung ab.
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