Wer am Boden bleibt, zahlt drauf
Schnell unterwegs sein und trotzdem Zeit haben, Musik hören und die Landschaft vorbeiziehen sehen: Klimaschonendes Reisen kann sehr entspannend sein – aber warum ist es eigentlich so teuer? Bild: Edalin / Adobe Stock
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Fabian Graber
Reporter

Wer am Boden bleibt, zahlt drauf

Fliegen belastet die Umwelt massiv. Beim Reisen auf das Flugzeug verzichten und den Zug nehmen, ist aber oft nicht nur umständlicher, sondern auch teurer. Wieso eigentlich? Und was müsste passieren, damit sich das ändert?

Ich bin in meinem Leben schon viel geflogen. Ich habe im Ausland gelebt, alleine 2018 bin ich auf 36 einzelne Flüge gekommen. Die CO₂-Emissionen, die ich so über die Jahre verursacht habe, will ich mir nicht ausrechnen.

Ein Flug verursacht im Durchschnitt circa 30 Mal so viel CO₂ wie eine Bahnfahrt. Aus ökologischer Sicht gibt es beim Reisen keine gute Alternative zum Zugfahren. Angesichts der Klimakrise will ich also mein Reiseverhalten verändern und auch weitere Strecken mit dem Zug fahren.

Im Februar 2023 treffe ich Bekannte zum Rennradfahren auf Mallorca.
Ich reise umweltfreundlich an: bis Barcelona mit dem Zug und weiter mit der Fähre. Als selbstständiger Journalist bin ich zeitlich flexibel und kann unterwegs arbeiten.

An einem Dienstag fahre ich los. Sieben Stunden und vierzig Minuten von Wien nach Zürich: 70 Euro. Einmal übernachten bei Bekannten. Am Mittwoch: Zürich – Paris, vier Stunden, 60 Euro. Eine Nacht im Hostel. Am Donnerstag: Paris – Barcelona, sechseinhalb Stunden, 120 Euro. Noch einmal übernachten bei Bekannten und Samstag vor Sonnenaufgang auf Mallorca ankommen. Vier Reisetage also und 300 Euro Kosten, davon 250 Euro nur für die Züge.

Auf sieben von zehn Strecken ist Fliegen billiger

Hätte ich für Teile der Strecke Nachtzüge gebucht, wäre ich etwas schneller am Ziel gewesen, aber ich wollte lieber weniger Zeit im Zug und mehr mit meinen Freund*innen verbringen.

Zurück nach Wien nehme ich aus Zeitgründen doch das Flugzeug. Eine Billigfluglinie, Handgepäck, zweieinhalb Stunden, 80 Euro.

In Europa ist Fliegen in der Regel deutlich günstiger als Zugfahren. Die Umweltschutz-Organisation Greenpeace hat gerade eine Analyse von 112 inner-europäischen Strecken veröffentlicht: auf 71 Prozent davon war Fliegen billiger. Im Durchschnitt kostete ein Flug nicht einmal halb so viel wie die entsprechende Zugreise. Unter den untersuchten Strecken waren auch zwölf von und nach Österreich, etwa Wien-Berlin, Salzburg-Köln und Berlin-Graz. Von Wien nach London kostet die Zugreise fünf Mal so viel wie der Flug.

Besonders groß wird der Unterschied, wenn man spontan bucht. „Warum sollte jemand den Zug von London nach Barcelona nehmen und bis zu 384 Euro zahlen, wenn Flugtickets für den lächerlich niedrigen Preis von 12,99 Euro erhältlich sind?“, heißt es in dem Greenpeace-Bericht.

Es gibt auch Strecken, auf denen die Bahn billiger ist. Den Nachtzug von Wien nach Brüssel gebe es schon ab 30 Euro in eine Richtung, sagt ÖBB-Sprecher Bernhard Rieder. Mit Gepäck, ohne versteckte Kosten. Allerdings im Sitz- und nicht im Liegewagen, und nur, wenn man Monate im Voraus bucht.

Wieso also ist Fliegen oft so viel günstiger als Zugfahren?

Umsatzsteuer: null Prozent

Das hat vor allem mit indirekten und direkten Förderungen für die Flugbranche zu tun.

Denn für internationale Flugtickets fällt keine Umsatzsteuer an. Der österreichische Staat hat dadurch, wenn man einen Umsatzsteuersatz von 20 Prozent zum Vergleich heranzieht, im Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019 auf rund 426 Millionen Euro im Jahr verzichtet, hat das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) errechnet.

Und während der Staat beim Kauf von Benzin, Diesel und Heizöl Mineralölsteuer einhebt, gibt es auch für den Flugzeug-Treibstoff Kerosin keine Abgaben. Laut WIFO entgehen dem österreichischen Budget dadurch durchschnittlich rund 400 Millionen Euro im Jahr. EU-weit sind es bis zu zehn Milliarden Euro jährlich.

Für Zugfahrten innerhalb von Österreich hingegen fallen zehn Prozent Umsatzsteuer an, und Zugbetreiber wie die ÖBB zahlen auch für ihren Stromverbrauch Umsatzsteuer – laut ÖBB bis zu 24 Millionen Euro pro Jahr, wobei ein Teil davon vom Staat rückvergütet wird.

Von den Förderungen profitieren die Billig-Airlines

Zuletzt gab es hier immerhin Bewegung. Seit Jahresanfang entfällt die Umsatzsteuer bei internationalen Zugtickets auf dem österreichischen Streckenabschnitt. Und wenn die ÖBB – zum Beispiel mit ihren eigenen Wasserkraftwerken – selbst Strom erzeugen, wird dieser von Steuern befreit. Auf EU-Ebene hat die Kommission die Besteuerung von Kerosin zumindest vorgeschlagen. Geplante neue Klimaschutzregeln für den Flugverkehr sollen Airlines außerdem verpflichten, nachhaltigere Kraftstoffe einzusetzen und mehr für die von ihnen verursachten Treibhausgas-Emissionen zu zahlen.

Zu den indirekten finanziellen Unterstützungen für den Flugverkehr kommen aber auch direkte Subventionen. Der Staat unterstützt oft abgelegene regionale Flughäfen finanziell. Davon profitieren Billig-Fluglinien, die hoch frequentierte Flughäfen in großen Städten tendenziell meiden. Airlines wie Ryanair und Wizz Air also, die ihre Personalkosten – und somit ihre Ticketpreise – Gewerkschaften zufolge zusätzlich durch Lohndumping und schlechte Arbeitsbedingungen drücken.

An der Grenze ändert sich alles

Der von privaten Unternehmen dominierte Flugverkehr ist international ausgerichtet. Bahngesellschaften hingegen stehen meistens im staatlichen Eigentum und müssen alles von Fernreisen bis zum regionalen Pendelverkehr miteinander in Einklang bringen, sie sind also schwerfälliger und haben darüber hinaus ein komplexeres Geschäft.

„Auch im vereinten Europa ist Zugfahren ein sehr nationales Geschäft. Der internationale Verkehr hat oft weniger Priorität“, sagt ÖBB-Sprecher Bernhard Rider.

Bei grenzübergreifenden Strecken müssen die Zugbetreiber komplexe, je nach Land unterschiedliche Regelwerke beachten. Schaffner*innen und Lokführer*innen wechseln an der Grenze oft, weil sie die jeweilige Landessprache beherrschen müssen. Das Stromnetz im Bahnverkehr hat nicht in allen Ländern die gleiche Spannung. Daher muss an der Grenze auch oft die Lok getauscht werden. Jedes Land hat eigene Ticket-Tarife, eigene Gebühren für die Nutzung des Schienennetzes, eigene Sicherheitssysteme.

Früher haben die europäischen Zugbetreiber durchaus auf enge Zusammenarbeit gesetzt. Noch in den 1990er-Jahren gab es in Europa ein gut ausgebautes Nachtzug-System. Laut dem Verein VCÖ, der sich unter anderem für ein ökologisch verträgliches Verkehrssystem einsetzt, gab es im Jahr 1995 noch 19 Großstädte, die direkt von Wien aus mit dem Zug erreichbar waren. 2014 waren es nur noch elf.

Mehr Konkurrenz – mehr Abschottung

In den 1990er-Jahren hat die EU damit begonnen, den Bahnverkehr zu liberalisieren. Seit 1998 können in Österreich auch andere Anbieter als die ÖBB das Schienennetz benutzen, eine Regulierungsbehörde überwacht die Marktöffnung. Eigentlich hätte das dazu führen sollen, dass sich durch mehr Konkurrenz das Angebot für die Reisenden verbessert. Kritiker*innen sagen aber, dass eher das Gegenteil passiert ist: dass sich die Staatsbahnen dadurch vermehrt abgeschottet haben und untereinander weniger kooperieren als früher.

Viele direkte Zugverbindungen wurden auch eingestellt, weil die meist staatlichen Zuggesellschaften den aufkommenden privaten Billig-Fluglinien keine Konkurrenz machen konnten. Zwischen 1990 und 2018 hat sich die Zahl der verkauften Tickets im weltweiten Luftverkehr auf rund 4,3 Milliarden mehr als verdoppelt.

So entspannt die Fahrt, so mühsam der Ticketkauf

Zuletzt sind immerhin auch internationale Zugreisen wieder beliebter geworden. Die Deutsche Bahn verzeichnete im ersten Quartal dieses Jahres um 40 Prozent mehr Buchungen für Fahrten ins Ausland als im ersten Quartal des bisherigen Rekordjahrs 2019. Die Zahl der Großstädte, die man von Wien aus ohne Umsteigen mit dem Zug erreichen kann, ist von elf wieder auf 14 gestiegen. Und seit die ÖBB 2016 der Deutschen Bahn ihre Nachtzüge abgekauft haben, bauen sie das Geschäft mit den Fahrten über Nacht weiter aus, in den nächsten zwei Jahren wollen sie die Kapazitäten mit 33 neuen Nightjet-Zügen verdoppeln. Vor allem im Sommer ist die Nachfrage bei Nachtzügen sehr hoch, immer wieder kommt es zu Engpässen beim Wagenmaterial – zuletzt haben Beschwerden über Verspätungen und fehlende Waggons zugenommen.

Für mich sind meine Zugfahrten von Wien nach Barcelona ein richtig gutes Erlebnis. Bei Tageslicht aus dem Fenster schauen, wie die Landschaft vorbeizieht, Autos überholen, Musik hören, zwischendurch E-Mails beantworten. Das Gefühl, schnell unterwegs zu sein, aber trotzdem Zeit zu haben. Keine Schlangen von Menschen, kaum Herumstehen und Warten.

Beim Buchen der grenzübergreifenden Zugtickets zeigte sich die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Zuggesellschaften allerdings sehr deutlich. Die Zugreise von Wien nach Barcelona in einem Vorgang über einen Anbieter buchen, wie ich es vom Fliegen gewöhnt bin? Fehlanzeige. Das Ticket nach Zürich konnte ich über die ÖBB buchen, die weitere Reise nur über die Webseite der französischen Bahn SNCF. Züge suchen, einen Account anlegen, Zahlungsdaten eingeben. Anders als beim Fliegen fehlen im europäischen Zugverkehr Plattformen, über die man internationale Tickets unkompliziert kaufen kann.

Ein Drittel scheitert am Buchungsprozess

Für eine Studie der Fachhochschule St. Pölten aus dem Jahr 2021 wurden 76 Proband*innen jeweils zwei von 46 Strecken in Europa zugewiesen, für die sie je einmal ein Bahn- und einmal ein Flugticket buchen sollten. Von den 152 Zugbuchungen scheiterten 50, von den 152 Flugbuchungen nur fünf am Buchungsprozess.

Wieso sind Zugtickets so kompliziert zu buchen? Die Ticketsysteme seien kaum harmonisiert und oft veraltet, die technischen Voraussetzungen je nach Land sehr unterschiedlich, schreiben die Studienautoren. Der internationale Eisenbahnverband UIC habe zwar einen gemeinsamen Standard entwickelt, der grenzüberschreitende Bahnbuchungen erleichtere – aber den hätten bisher nur wenige Länder umgesetzt.

Auch die EU bemüht sich den Studienautoren zufolge darum, die technischen Standards bei Zugtickets zu vereinheitlichen. Damit das Buchen einfacher wird, müssten aber neben der Technik auch Tarife und Buchungsbedingungen harmonisiert werden, und die seien von nationalen Gesetzen abhängig.

Die Regierungen sind gefordert

All das zeigt: Im Bahnverkehr kommt es stark auf die Politik an. Vielerorts in Europa kontrollieren die Regierungen die Bahnbetreiber und haben damit die Möglichkeit, internationale Bahnreisen attraktiver und günstiger zu machen.

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten können Bahnreisen stärker finanziell fördern, sie niedriger besteuern und nationale Unterschiede abbauen: bei den technischen Standards für den Zugverkehr und die Buchungssysteme, bei internen Regelwerken und Sicherheitsvorschriften, bei Tickettarifen und Buchungsbedingungen. Und die Kosten dafür durch höhere Steuern fürs Fliegen wieder hereinholen.

Dass die Zugfahrt von Barcelona nach Wien länger dauert als der Zug, daran kann die Politik nichts ändern. Aber würde der Flug 250 Euro kosten und die Zugfahrt 80 Euro statt umgekehrt, müssten Reisende zumindest nicht auch noch finanziell draufzahlen, wenn sie sich für das klimaschonende Verkehrsmittel entscheiden.

Autor*in: Fabian Graber

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