Was noch passieren müsste, damit Blau-Schwarz scheitert
ÖVP-Klubobmann August Wöginger und FPÖ-Finanzreferent Hubert Fuchs bei der Vorstellung der Budgetpläne von Blau-Schwarz. Foto: ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com
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Emil Biller
Reporter

Was noch passieren müsste, damit Blau-Schwarz scheitert

Glaubt man den politischen Beobachter*innen ist eine Regierungskoalition zwischen FPÖ und ÖVP unter einem Kanzler Kickl quasi fix. Aber es gibt Wege, wie Österreich ein rechtsextremer Kanzler doch noch erspart bleiben könnte. Wir haben vier Varianten skizziert:

1. Die Verhandlungen scheitern und es gibt Neuwahlen
Die Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP könnten scheitern. Die ÖVP oder auch die FPÖ könnten vom Verhandlungstisch aufstehen, weil in bestimmten inhaltlichen Punkten, etwa der Außen- und Sicherheitspolitik, keine Einigung erzielt werden kann. Angesichts der massiven politischen Kehrtwende(n), die von der ÖVP in diesem noch jungen Jahr allerdings schon vollzogen wurden, erscheint diese Variante nicht allzu wahrscheinlich.

So wurde am Dienstag bekannt, dass die ÖVP wohl hinsichtlich Österreichs geplanten Beitritt zum Luftabwehrsystem Sky Shield, einem Prestigeprojekt von ÖVP-Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, einknicken könnte und die Umsetzung dieses Plans für die Volkspartei keine Koalitionsbedingung mehr darstellen soll. Ein möglicher großer Stimmenverlust bei Neuwahlen schwebt wie ein Damoklesschwert über der ÖVP, deren oberstes Ziel der Machterhalt zu sein scheint. Theoretisch könnte aber auch die FPÖ die Verhandlungen verlassen. Aktuelle Umfragen bescheinigen den Freiheitlichen einen massiven Zuwachs an Wählerstimmen bei potenziellen Neuwahlen. Sie hätte also nicht allzu viel zu verlieren, müsste diesen Schritt vor ihren Wähler*innen aber gut begründen.


2. Die ÖVP verhandelt neuerlich mit den anderen Parteien
Um einen rechtsextremen Bundeskanzler zu verhindern und die Demokratie zu schützen, tauchen immer mehr Stimmen auf, die eine Wiederaufnahme von Koalitionsgesprächen zwischen ÖVP und SPÖ, sowie NEOS und/oder den Grünen fordern. So forderte die Chefetage des Falter letzte Woche auf der Titelseite der Wiener Wochenzeitung: „ÖVP-Chef Stocker soll die Verhandlungen mit der FPÖ abbrechen. Der Bundespräsident soll ihn mit der Bildung einer Koalition mit der SPÖ (geduldet von NEOS und Grüne) betrauen.“

Screenshot: falter/Instagram

Auch eine Petition auf der Plattform mein.aufstehn.at mit dem Namen Restart 71% SPÖ, NEOS, ÖVP und Grüne zurück an den Verhandlungstisch fordert dieselbe Vorgangsweise. Bei der Nationalratssitzung am Mittwoch diese Woche waren allerdings Töne zu vernehmen, die eine Zusammenarbeit oben genannter Parteien in weite Ferne rücken lassen. Abgeordnete von sowohl ÖVP als auch NEOS gaben dabei einmal mehr der SPÖ die Schuld am Platzen der Verhandlungen.

„Mit Klassenkampf und Umverteilung“ werde Österreich die Probleme des 21. Jahrhunderts und aktuelle Herausforderungen nicht lösen, schickte etwa der aktuelle ÖVP-Chef Stocker in Richtung SPÖ. Auch bei den NEOS tönte es ähnlich: Die SPÖ habe demnach „die Menschen in der Mitte für einen Retro-Kurs“ verlassen, der nicht regierungsfähig sei, kritisierte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger in einer emotionalen Rede. Eine Zusammenarbeit oder gar neuerliche Verhandlungen scheinen in der aktuellen Situation also unwahrscheinlich.

3. Alexander Van der Bellen gelobt die Regierung nicht an
Hinsichtlich einer neuen Koalitionsregierung hat auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen noch ein Wörtchen mitzureden – zumindest am Papier. So obliegt Van der Bellen als Bundespräsident die alleinige Aufgabe, eine neue Regierung offiziell ins Amt zu bringen. Er könnte theoretisch einen Kanzler Kickl, einzelne Minister*innen oder die ganze Regierung aufgrund von Sicherheitsbedenken nicht angeloben oder Bedingungen an die Verhandler*innen stellen.

Sollte die geplante Regierung aber von einer Mehrheit im Nationalrat gestützt werden, würde so ein Schritt wohl eine demokratische Krise auslösen, weil sich Van der Bellen damit sinnbildlich über den „Willen des Volkes“ stellen würde. Andererseits ist Van der Bellen der österreichischen Verfassung verpflichtet und es stellt sich Frage, wie gut sich die Angelobung einer zumindest in Teilen rechtsextremen Regierung und einem Kanzler Kickl damit vereinbaren lässt.

4. 17 Abgeordnete der ÖVP stimmen gegen die eigene Koalition
Theoretisch gibt es auch noch eine vierte Variante, wie Blau-Schwarz scheitern könnte. Damit eine Regierung handlungsfähig ist, muss sie sich auf eine Mehrheit im Nationalrat verlassen können. Es würden also am Papier 17 Abgeordnete der ÖVP ausreichen, die sich gegen ihre eigene Partei stellen und damit Blau-Schwarz verhindern.

Genau das will eine Initiative erreichen. Auf der Webseite 17mitgewissen.at können automatisiert E-Mail-Vorlagen für die 51 ÖVP-Nationalratsabgeordneten erstellt und versendet werden. Darin werden sie aufgefordert, „sich nicht der Parteilinie zu beugen, sondern das Richtige für unser Land zu tun“. Weiters heißt es, „17 aufrechte Abgeordnete können eine Regierung verhindern, die unsere demokratischen Grundwerte untergräbt.“

Robert Seyfriedsberger, der Initiator von 17mitgewissen.at weiß, dass die Chancen auf Erfolg nicht so hoch sind: „Aber wenn man nur negativ denken würde, gäbe es keine Veränderung. Eine lebendige Demokratie braucht Menschen, die Verantwortung übernehmen und handeln.“ Bis Donnerstag Mittag wurden bereits über 4.000 E-Mails versandt, berichtet Seyfriedsberger im Gespräch mit tag eins. Für ihn ist die Initiative ein persönlicher Beitrag, sich für eine konstruktive und demokratische Zukunft einzusetzen, auch wenn er sich persönlich damit exponiert: „Die Entwicklungen in den USA zeigen, wie wichtig es ist, demokratische Werte und Institutionen zu schützen. Für Österreich wünsche ich mir eine Zukunft, die auf Respekt, Dialog und gemeinsamer Verantwortung

Autor*in: Emil Biller

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