Einsprachigkeit ist heilbar!
Rechte Kräfte in Österreich wollen „Schulsprache Deutsch“ auch auf dem Pausenhof durchsetzen. Eine Idee, die auf einer irrigen Vorstellung von Sprache basiert – und sowohl pädagogischer als auch populistischer Unsinn ist, meint unsere Kolumnistin Vina Yun.
Rund um den Globus werden 7.000 bis 8.000 Sprachen gesprochen. Dieser unglaublichen lingualen Vielfalt stehen nur rund 200 Nationalstaaten gegenüber. In keinem Land der Welt existiert also nur eine Sprache. „Eine Grunderkenntnis der Sprachenpolitik lautet: Mehrsprachigkeit ist die Regel, Einsprachigkeit die Ausnahme“, hält etwa der Wiener Sprachwissenschaftler Rudolf de Cillia fest.
„Eine Grunderkenntnis der Sprachenpolitik lautet: Mehrsprachigkeit ist die Regel, Einsprachigkeit die Ausnahme“, sagt der Wiener Sprachwissenschaftler Rudolf de Cillia.
In Österreich ist zwar laut Verfassung Deutsch als Staatssprache festgelegt. Doch wie in jedem Einwanderungsland kennt man natürlich auch hier viele verschiedene Umgangssprachen – wie etwa jene, die von den ehemaligen „Gastarbeiter*innen“ sowie anderen Migrant*innen und Geflüchteten mitgebracht wurden. Einige wenige Sprachen sind verfassungsrechtlich geschützt: Burgenland-Kroatisch, Romani, Slowakisch, Slowenisch, Tschechisch, Ungarisch – ein Erbe der einstigen vielsprachigen K.u.k.-Monarchie. Auch die österreichische Gebärdensprache ist offiziell als eigenständige Sprache anerkannt. Kurzum: Österreich ist – und war schon immer – mehrsprachig.
Ein Staat, ein Volk, eine Sprache?
Dagegen halten politische Kräfte von rechts hartnäckig an der Vorstellung einer monolingualen Gesellschaft fest. Gemäß dem Prinzip: ein Volk, ein Staat, eine Sprache. Seit den 2000er-Jahren pusht die FPÖ das Thema „Deutschpflicht“ für Menschen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte, die möglichst früh in dieses Modell gepresst werden sollen. „Integration beginnt eben bei der Sprache. Für uns sind es Zeichen des Respekts und der Verbundenheit, wenn Schüler Deutsch sprechen“, tönt es jüngst wieder von dem FPÖ-Politiker Michael Gruber in Oberösterreich.
Ebendort ist „Schulsprache Deutsch“ schon seit 2015 im Regierungsprogramm der ÖVP-FPÖ-Koalition festgeschrieben. Auch die neue schwarz-blaue Landesregierung in Niederösterreich verlangt in ihrem Arbeitsübereinkommen die „Verwendung der deutschen Sprache auch in Pausen und am Schulhof“. Kritik daran kommt u. a. vom Netzwerk SprachenRechte und dem Österreichischen Verband für Deutsch als Fremdsprache, die ein gemeinsames Statement verfasst haben. Darin heißt es: „Die Gleichwertigkeit von Sprachen und Menschen wird durch die Autorität der Schule in Frage gestellt.“
Gesetzlich ist es nicht möglich, Menschen das Sprechen anderer Sprachen außerhalb des Unterrichts zu verbieten – unter anderem verbietet die Europäische Menschenrechtskonventionen Diskriminierung aufgrund von Sprache und schützt das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Daher haben die rechten Landesregierungen die Hausordnungen der einzelnen Schulen als Hebel entdeckt.
Und tatsächlich setzt so manche Bildungsinstitution ihre eigenen Akzente. 2010 machte eine katholische Privatschule in Salzburg von sich reden: Deren Direktion schrieb den Schüler*innen mit nicht-deutscher Erstsprache vor, auch in Gesprächen abseits des Unterrichts Deutsch zu sprechen. Die Schulleitung begründete die Maßnahme damit, dass sie damit zur „Integration“ der Schüler*innen beitrage. Oder der Fall einer Schule in Mödling aus dem Jahr 2015, in deren gesamten Gebäude nur die Amtssprache Deutsch erlaubt war – Anlassfall sei laut Direktorin ein „interkultureller Konflikt“ mit dem Reinigungspersonal gewesen.
Deutsch ja, Teilhabe nein
Beliebt unter rechten Politiker*innen ist, die Verwendung der Erstsprache (aka „Muttersprache“) bei Migrant*innen als „Integrationsunwillen“ darzustellen. Mehr noch: Im Schulkontext stelle deren Gebrauch eine Bedrohung für deutschsprachige Jugendliche dar, die unter Ausgrenzung, Mobbing und „ethnischen Spannungen“ leiden würden. Eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. Denn Tatsache ist, dass Migrant*innen in der Öffentlichkeit gerade wegen ihrer Sprache häufig beschimpft werden und Diskriminierung erleben.
Bei genauerer Betrachtung offenbart die Gleichung „gute Deutschkenntnisse = gelingende Integration“ einen repressiven Charakter: Nur wer bestimmte Deutschzertifikate vorweisen kann, soll an der hiesigen Gesellschaft partizipieren können. Damit bleibt der Fokus immerzu am Deutschlernen hängen. Doch wo bleibt die Diskussion über die fehlenden Mitbestimmungsrechte von Migrant*innen? Über Benachteiligung am und Ausschlüsse vom Arbeits- und Wohnungsmarkt? Über die Hürden bei der Einbürgerung (für die seit 1998 der Nachweis von Deutschkenntnissen verlangt wird)? Darüber, welchen Stress die Koppelung von Deutscherwerb und Aufenthaltserlaubnis für die Betroffenen bedeutet?
„Was nützt mir die Sprache, wenn sie mich nicht vor Diskriminierung und Rassismus schützt?“, fragt die Linzer Aktivistin Kim Carrington.
Derweil arbeiten rechte Politiker*innen verstärkt daran, den Zugang zu sozialen Leistungen für Migrant*innen an den Nachweis von Deutschkenntnissen zu knüpfen. Letztlich dient der verpflichtende Deutscherwerb, wie er schon seit Längerem im Fremdenrecht vorgesehen ist, nicht der Inklusion, sondern hat den Zweck zu selektieren, wer nach Österreich kommen und hier bleiben darf. Zu Recht fragt daher die Linzer Aktivistin Kim Carrington: „Was nützt mir die Sprache, wenn sie mich nicht vor Diskriminierung und Rassismus schützt?“
Sprachliche Wüste Niederösterreich
Zurück zu Österreichs Schulen: Sämtliche linguistischen und pädagogischen Untersuchungen kommen zum Schluss, dass Sprachverbote unhaltbar und diskriminierend sind. „Sie verunsichern und beschämen Kinder, die durch Deutschgebote und Erstsprachverbote vermittelt bekommen, dass ihre jeweiligen Erstsprachen wertlos sind“, beschreibt Verena Blaschitz vom Netzwerk SprachenRechte die negativen Folgen, die zudem keineswegs zum Deutschlernen motivieren.
Keine Sorge – Einsprachigkeit ist heilbar!
Einer der Slogans auf den Wahlplakaten der jetzigen ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner lautete: „Muttersprache: Niederösterreich“. Dem möchte ich eine Parole aus der Soziololinguistik entgegenhalten: Keine Sorge – Einsprachigkeit ist heilbar!