

Objektiven Journalismus gibt es nicht
Guter Journalismus muss objektiv sein. Zumindest lautet so ein weit verbreiteter Irrglaube. tag eins räumt damit auf.
Wer in dieser Branche ein Kind bekommt, verliert Planbarkeit, Einkommen, und Status. So zeigt es der aktuelle Greenhouse Fellowship Report „Störfaktor Kind“ von Corinna Cerruti und Tamara Keller im Auftrag der Journalist*innen-Organisation Netzwerk Recherche.
Und so erleben es viele Journalist*innen mit Kindern Tag für Tag. Die strukturellen Probleme beginnen mit starren Arbeitszeiten und enden bei nicht verlängerten Verträgen. Die Branche setzt noch immer auf Präsenz, Spontaneität und Überstunden. Wer das nicht leisten kann, gilt schnell als weniger belastbar – und wird aussortiert.
„Journalismus hat zwei Kulturen: Die eine ist die Präsenzkultur und die andere ist eine Kultur der Selbstausbeutung. Wenn diese beiden Kulturen mit der Familiengründung kollidieren, dann wird’s schwierig“, sagt eine der befragten Personen. Genau das kann ich bestätigen. Ich habe mich (auch) selbstständig gemacht, um als Vater mehr Flexibilität zu haben. Gleichzeitig habe ich gemerkt, wie schwierig es ist, das eigene Business voranzubringen, wenn man sich nicht selbst ausbeuten will und seiner Verantwortung für die Kinder nachkommt. Wenn Abendtermine unmöglich sind, wenn man immer wieder ausfällt, weil ein Kind krank ist oder weil der Tag nach einer unruhigen Nacht mit müdem Kopf beginnt.
Die beiden Autorinnen des Berichts haben mit 28 Journalist*innen aus Deutschland und Österreich gesprochen. Vier Herausforderungen wurden in den Gesprächen besonders häufig genannt: mangelnde Planbarkeit, geringe Bezahlung, fehlende Wertschätzung und begrenzte Karriereperspektiven. Die Vereinbarkeit von Familie und Journalismus, schreiben sie, scheitere weniger an individueller Organisation – sondern an einem System, das Eltern systematisch diskriminiert.
Viele der Befragten haben keine andere Wahl, als ihre beruflichen Ambitionen zurückzuschrauben oder die Branche ganz zu verlassen. Laut einer Studie der LMU München denkt jede*r zehnte Journalist*in mindestens einmal pro Woche über einen Ausstieg nach. Besonders drastisch trifft es freie Journalist*innen – der vermeintlich flexible Ausweg in die Selbstständigkeit führt allzu oft in die Armutsfalle. „Von dem Einkommen als frei*e Journalist*in ist mir vielleicht 1.800 Euro netto geblieben. Dafür hat man sich den Arsch aufgerissen“, sagt eine Betroffene im Report.
Dazu kommt ein Mangel an Anerkennung. „Mir wurde vermittelt: ,Das sind die Muttis’“, erzählt eine Interviewpartnerin. Väter wiederum gelten als unzuverlässig, wenn sie in Karenz gehen oder sich stärker um Kinder kümmern. Der Preis ist hoch: weniger Aufträge, weniger Reichweite, weniger Einfluss. Und das, obwohl fast alle Befragten betonen, dass sie seit der Familiengründung effizienter arbeiten als je zuvor.
Was fehlt, ist nicht Motivation – sondern Wertschätzung. „Ich möchte Wertschätzung im Sinne von: Ich sehe, dass du auch Elternteil bist und möchte dich dabei unterstützen“, so eine Aussage im Report. Der Wunsch ist klar: eine Arbeitskultur, die nicht auf Selbstausbeutung, sondern auf gegenseitigem Rückhalt basiert. Doch im österreichischen Medienalltag scheint das noch weit entfernt. Veranstaltungen finden grundsätzlich abends statt, als gehöre das Saufen zum journalistischen Handwerk. Wer da nicht mit kann, ist raus.
In Deutschland gibt es einzelne Positivbeispiele – Betriebskindergärten, Teilzeitvolontariate, Jobsharing in Führungspositionen. Doch sie sind die Ausnahme, nicht die Regel. Die Branche verliert nicht nur Fachkräfte, sondern auch Perspektiven, Diversität und Qualität. Es braucht strukturelle Veränderung, nicht individuelle Selbstoptimierung.
Denn das Problem liegt nicht bei uns Journalist*innen mit Kindern. Das Problem liegt im System.
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