Einmalzahlungen reichen nicht
Die Inflation beutelt in Österreich die Bürger*innen durch. Nun steigen auch noch die Richtwertmieten gehörig, denn die Mietpreisbremse ist vom Tisch. Wieso gehen hier nicht längst alle auf die Straße?
Letztens stehe ich auf Erdäpfel starrend in einem Supermarkt in Wien. Ich versuche zu verstehen, wieso nicht Bio-Erdäpfel jetzt genau so teuer sind wie die Bio-Erdäpfel. Ich entscheide mich für bio. Dann starre ich auf regionale Salatgurken, nicht bio. Die kosten so viel wie eine Mango aus dem fernen Peru. Wie kann das sein? Wieso tut keiner was dagegen? Und vor allem: Wieso tut keiner was dagegen, dass keiner was dagegen tut?
Die Inflationsrate im Jahresverlauf betrug in Österreich im Februar 10,9 Prozent. Im Vergleich dazu: Deutschland mit 8,7 und Spanien mit 6,1 Prozent. Und auch wenn jene, die daran verdienen, gerne so tun, als sei die Inflation wie ein Wetterphänomen, gegen das man sich nicht wehren kann – es gibt viel, das man dagegen tun könnte: Mehrwertsteuer auf Lebensmittel senken oder gleich streichen, Mietpreisbremse, Mietendeckel und Gaspreisbremse einführen.
Was nicht dagegen hilft, ist leider ausgerechnet das Lieblingsinstrument der österreichischen Regierung: Einmalzahlungen. Ob wohlhabend, ob tot – oft kriegen sie fast alle, wie beim Klimabonus. Doch von einer Einmalzahlung wird kein Produkt billiger, keine Miete niedriger. Einmalzahlungen sind in etwa so sinnvoll wie sich am Nordpol in die Hose pieseln, weil es kurz warm ist. Denn das Geld wird bei denen, die es tatsächlich brauchen, in der Regel direkt wieder ausgegeben. Es geht an Unternehmen und an Vermieter*innen. Im Grunde könnte das Geld auch gleich direkt an sie gehen, aber wenn die Bürger*innen es als Zwischenwirt kurz auf dem Konto haben, hat das zwei erwünschte Nebeneffekte: eine Simulation von Kontrollgefühl und die Dankbarkeit danach.
Die Dankbarkeit darf sich allerdings in Grenzen halten. Was die schwarz-grüne Regierung nun schon seit vielen Monaten macht, ist die Teuerung mit Hilfe von solchen “Geschenken” von oben nach unten durchzureichen. Und ana hot immer des Bummerl
Erst frieren, dann blechen
Vor ein paar Tagen berichtete das Profil, dass Wien Energie im Jahr 2022 hohe Gewinne erwirtschaftet hat. Als ich unsere Jahresabrechnung für Strom und Gas öffnete, bin ich fast umgekippt. Man muss dazu sagen, dass wir in einer Altbauwohnung wohnen, mit zwei kleinen Kindern. Wir haben so wenig geheizt wie möglich. Nun haben wir, nachdem wir den ganzen Winter frierend mit fünf Schichten rumgelaufen sind, die Hälfte von dem, was wir seit Mietvertragsabschluss im Mai an Wien Energie bezahlt haben, als Guthaben gutgeschrieben bekommen.
Dennoch hat Wien Energie den Teilbetrag jetzt beinahe verdoppelt. Über 5.200 Euro sollten wir insgesamt im Jahr 2023 für Strom und Gas vorauszahlen. Und klar, wir haben vor, wieder den ganzen Winter zu frieren und würden sicher wieder viel zurückbekommen. Aber wer soll das jetzt gerade bezahlen, wenn die Salatgurken so viel kosten wie Mangos? Wir haben also Anbieter gewechselt – mal sehen, wie das läuft.
Was tun?
In Frankreich brennen die Straßen, weil das Pensionsalter von 62 auf 64 Jahre angehoben werden soll. Kein Luxusproblem, denn diese Reform betrifft vor allem jene, die keinen akademischen Abschluss haben und schon als Jugendliche angefangen haben zu arbeiten. Wer die nötigen Jahre nicht beisammen hat, geht jetzt schon später in Rente. Die Wut ist also nachvollziehbar. Brennende Straßen will natürlich trotzdem niemand. Es muss andere Wege geben. Wie beim Großstreik in Deutschland vergangene Woche. Da wurden inflationsbedingte Lohnerhöhungen von zehn bis zwölf Prozent gefordert.
Österreich hat im internationalen Vergleich nur zwei Streiktage pro Jahr, Deutschland 18 und Belgien führt die Liste an mit 97. Das könnte einfach für die Sozialpartnerschaft sprechen. Es hält sich aber gleichzeitig auch hartnäckig die Annahme, dass Streiken in Österreich grundsätzlich verboten sei, weil das Streikrecht nicht gesetzlich geregelt ist. Die juristischen Meinungen gehen hier auseinander. Der ÖGB beruft sich aber auf Artikel 8 des UN-Sozialpaktes, dem Österreich beigetreten ist, der ausdrücklich ein Streikrecht gewährleistet.
Es muss aber ja auch nicht immer ein Streik sein. Aber gar nichts tun, jetzt, wo auch noch die Mietpreisbremse vom Tisch ist? Die schwarz-grüne Regierung einigte sich stattdessen auf € 225 Millionen Mietkostenzuschuss, der beantragt werden muss. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sagte zum Thema Wohnen in seiner “Rede zur Lage der Nation”, die eher eine “Rede zur Lage von Karl Nehammer” war, dass Österreich ein Land der Eigentümer*innen werden soll. Für mich klingt das sehr nach: “Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen”.
Darf’s ein bisserl Verhältnismäßigkeit sein
Wenn in Österreich über die Mietpreisbremse gesprochen wird, wird gern Berlin als Gegenargument herangezogen, und prophezeit, dass Mietwohnungen durch eine Drosselung der Mietkosten vermehrt zu Eigentumswohnungen würden. Nur war die Ausgangslage in Berlin eine ganz andere als in Wien. Kurz gesagt, man hat in Berlin so viele Fehler gemacht und so lange mit der Bremse gewartet, da war fast alles zu spät.
Ein Argument gegen die Mietpreisbremse ist oft, dass sich Bauen dann ja nicht mehr lohnen würde. Was aus vier Gründen eigenartig ist. Erstens sind bestehende Wohnungen von geplanten Wohnungen in so einer Betrachtung zu trennen, denn was hat die fünfköpfige Familie, die sich die Miete nicht mehr leisten kann, davon, wenn mehr gebaut wird?
Zweitens: steigende Mieten kurbeln die Inflation weiter an, was auch das Bauen teurer macht. Drittens führen steigende Mieten nicht automatisch zu mehr Bau – in Berlin, Hamburg, München und auch in Wien hätte es sonst in den vergangenen zehn Jahren einen Bauboom sondergleichen geben müssen. Und viertens bedeutet eine Mietpreisbremse in den meisten Entwürfen auch nicht, dass Mieten nie wieder steigen dürfen, es geht hier vor allem um Verhältnismäßigkeit. Und 8,6 Prozent Mieterhöhung sind vieles, aber sicher nicht verhältnismäßig.
Als bekannt wurde, dass die Mietpreisbremse nicht kommt, habe ich nach geplanten Demos in Wien gesucht und keine gefunden. In Berlin wird ständig demonstriert. Bei Mietendemos kommen Tausende. Auf Rädern, mit Kindern, die ganze Familie geht auf die Straße, jung und alt, alle gemeinsam. Wieso passiert das in Wien nicht? Liegt es an der Kultur, an Müdigkeit, gar an Gleichgültigkeit? Ist es die Wut auf Straßensperren, die Angst vor Polizeigewalt? Wenn Sie glauben, es zu wissen, schreiben Sie mir gern. Es ist mir ein Rätsel.