Soziale Medien machen keinen Spaß mehr
Für soziale Netzwerke gab es jahrelang nur den Weg nach oben. Inzwischen wächst bei mehr und mehr Nutzer*innen der Wunsch, sich für immer auszuloggen.
Es ist ein bisschen wie auf einer Party, die man nicht rechtzeitig verlassen hat. Als man ankam, war es toll – so viele Leute, die man kennt, mag und schon lange nicht mehr gesehen hat. Man redet miteinander, zeigt sich Bilder, kommt in Kontakt, immer mehr Leute kommen. Es wird diskutiert und gelacht, es ist neu und aufregend. Richtig nett hier.
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Aber irgendwann merkt man: Eigentlich sind alle gegangen, die man kennt und schätzt. Ein Grüppchen ist auf der Couch eingeschlafen und sagt nichts mehr. In der Küche wird nur noch über Beruf und Erfolg gesprochen. Im nächsten Zimmer will dir jemand etwas verkaufen, andere schreien und streiten. Ah, da hinten in der Ecke sind noch drei Freund*innen von dir. Aber statt eines Gesprächs tuscheln und flüstern sie. ___STEADY_PAYWALL___ Was hält uns eigentlich noch hier auf dieser Party, ähm, diesem sozialen Netzwerk?
Inhaltlich haben sich Facebook und Twitter (inzwischen X), aber auch Instagram und TikTok, tot gelaufen; Innovationen wie etwa die virtuelle Welt des Metaverse oder auch die auf Authentizität getrimmte Fotoapp BeReal finden kein Massenpublikum.
Jahrelang ging es für Social Media immer nach oben – mehr Nutzer*innen, längere Verweildauer, höhere Einnahmen. Trotz aller Kritik, etwa wegen Datenschutz, Hassbotschaften und negativem Einfluss auf die psychische Gesundheit. Spätestens mit dem Bedeutungsverlust von Twitter und Facebook werden die Anzeichen immer deutlicher, dass etwas ins Rutschen geraten ist. Laut dem Marketinganalyseunternehmen Gartner sagen 53 Prozent der amerikanischen Konsument*innen, dass sich soziale Netzwerke verschlechtert hätten. Gartner prophezeit, dass die Hälfte der Nutzer*innen bis 2025 die Aktivität in sozialen Netzwerken reduzieren wird. Laut dem Marktforschungsunternehmen GWI ist die tägliche Verweildauer auf sozialen Netzwerken 2023 weltweit erstmals seit Jahren rückläufig.
Inhaltlich haben sich Facebook und Twitter, aber auch Instagram und TikTok, tot gelaufen; Innovationen wie etwa die virtuelle Welt des Metaverse oder auch die auf Authentizität getrimmte Fotoapp BeReal finden kein Massenpublikum. Die Menschen verteilen sich auf immer mehr Netzwerke, immer mehr Apps.
Wir sollten aufhören, soziale Netzwerk sozial zu nennen
Nicht nur ich, nicht nur mein Bekanntenkreis, immer weniger Menschen posten Privates. „Man teilt heute nicht mehr persönliche Ereignisse im Feed wie noch vor fünf oder sechs Jahren, man teilt das in Stories oder Privatnachrichten“, sagt der Instagram-Chef Adam Mosseri dazu in einem Interview. „Leute beschweren sich: Ihr zeigt zu wenig Posts meiner Freunde. Aber das ist, weil deine Freunde nicht so viel posten.“ Auf Instagram werden heute laut Mosseri weit mehr Fotos und Videos in den Privatnachrichten geteilt als in den halböffentlichen Stories oder im Feed.
Die unabhängige Datenlage ist spärlich, aber der Anteil der Nutzer*innen, der aktiv eigene Inhalte erstellt und teilt, ist sehr klein. „Lurkers“ nennt man im Internetslang den großen Rest, der nur beobachtet und mitliest. So sind laut Pew Research gerade mal 25 Prozent der US-amerikanischen Twitter-Nutzer*innen für 97 Prozent der Inhalte verantwortlich; bei TikTok erstellen 91 Prozent der User*innen nie Videos.
Die Zeit zurückdrehen kann man nicht: Wer heute postet, als wären wir noch im Jahr 2010, geht unter.
Stattdessen sehen wir in unseren Social Feeds in erster Linie Inhalte, die von Profis erstellt wurden. Also, etwa von Influencer*innen, Medien, Politiker*innen oder anderen Berufsposter*innen – sie alle nutzen die Netzwerke professionell und nicht privat.
„Auf Facebook bleibst du mit Menschen in Verbindung und teilst Fotos, Videos und vieles mehr mit ihnen“, steht nach wie vor auf der Startseite von Facebook. Irgendwann mag das mal gestimmt haben, doch dieses Versprechen erfüllt das blau-weiße Netzwerk schon lange nicht mehr. „Facebook und Instagram haben sich in reine Konsum-Plattformen verwandelt. Wo einst der Austausch im Vordergrund stand, geht es heute um eine Art zeitgemäßes Fernsehen: Unterhaltung und Konsum haben Priorität“, konstatiert der Social Media Watchblog. Vermutlich wäre es wohl an der Zeit nicht mehr, das Wort „sozial“ für soziale Medien zu nutzen.
Wenige senden, viele empfangen
„Das Social-Media-Internet, wie wir es kannten, wo wir die Beiträge unserer Mitmenschen konsumierten und im Gegenzug etwas posten, scheint vorbei zu sein“, schreibt Kyle Chayka in einem viel gelesenen Artikel im Magazin New Yorker. Auch wenn im Web 2.0 scheinbar alle Menschen zu Massenmedien werden können, sind es nur wenige, die es auch tun. Die Gatekeeper haben sich verändert, aber das Prinzip ist das gleiche wie vor dem Aufkommen des Internets: wenige senden, viele empfangen. Waren früher Journalist*innen und Medien die Gatekeeper, sind heute Influencer*innen, Stars und Marken relevanter geworden.
Doch die Zeit zurückdrehen kann man nicht: Wer heute postet, als wären wir noch im Jahr 2010, geht unter. Dein Urlaubsfoto wird von kaum jemandem gesehen, der Algorithmus pusht stattdessen Posts, die mehr Engagement versprechen.
Fesselnd wie einst das Programm von ProSieben
Aber warum öffnen wir dann trotzdem immer wieder die Social-Media-Apps auf unseren Handys? Statt um Austausch mit Menschen geht es um Unterhaltung, Konsum und Berieselung. Social Media hat heute den Platz eingenommen, den um die Jahrtausendwende noch das Kabelfernsehen besetzte. Reels und Stories (auf Instagram und Facebook), YouTube und TikTok erinnern auch formal mit dem konstanten Stream an Content an ein Fernsehprogramm.
Wo früher Programmchef*innen den perfekten Flow gestaltet haben, machen heute die Algorithmen der sozialen Medien diese Arbeit.
Es sind keine sogenannten „lean-in“-Medien, sondern genau wie bei TV kann man sich zurücklehnen („lean back“) und berieseln lassen. Der Medientheoretiker Raymond Williams hat für das Fernsehen das Konzept des Flow (bedeutet Fluß oder Verlauf) geprägt. Das Fernsehprogramm wird so gestaltet, dass die einzelnen Programme ineinander überfließen, die Zuschauer*innen möglichst gebunden werden und insgesamt eine stimmiger, vielfältiger Fernsehabend geschaffen wird.
Ein Forschungsteam der Oregon State University hat in einem Experiment versucht, den Algorithmus von Tiktok zu erforschen und zu erkennen, welche Inhalte das chinesische Netzwerk in welcher Reihenfolge ausspielt. Das Ergebnis des Papers: Tiktok ist TV. Es wechselt das Programm wie Fernsehen, es erzeugt einen Flow wie Fernsehen. Wo früher Programmchef*innen den perfekten Flow gestaltet haben, machen heute die Algorithmen der sozialen Medien diese Arbeit.
Das Millennial-Internet ist tot
An dieser Stelle ist vielleicht ein kurzer persönlicher Einschub in diesem Essay fällig. Ich bin Jahrgang 1984, ein klassischer Millennial. Ich habe eine Welt ohne Internet und soziale Medien erlebt, bin aber gleichzeitig auch damit groß geworden. Lange Zeit waren wir – die Millennials – die dominierende Generation im Internet. Es war ein virtueller Ort, an dem ich zu Hause war, mich ausgekannt habe und jedes Meme verstand.
In letzter Zeit hat sich das verändert. Jason Parham hat im US-amerikanischen Netzkultur-Magazin Wired 2023 sogar zum Jahr erklärt, in dem das Millennial-Internet gestorben ist. Mein Blick auf Social Media ist geprägt von meinen Erfahrungen – den ersten Chatrooms, ICQ, StudiVZ, Facebook, Instagram. 2024 ist die Generation Z die prägende Kohorte in der digitalen Welt. Ein Stück weit ist dieser Artikel auch meine Verarbeitungsstrategie, um mit dem verlorenen Raum klarzukommen. Oder wie es Parham in einem anderen Artikel sagt: „First-generation social media users have nowhere to go“.
Dass Soziale Netzwerke ungesund sein können, Hass propagieren oder den Aufstieg von Donald Trump ermöglicht haben, ist mittlerweile erwiesen.
Millennials sind jetzt mittelalt und haben schon einige soziale Netzwerke kommen und gehen gesehen. Trotzdem deutet gerade vieles darauf hin, dass die Luft draußen ist. Zum einen gibt es zwar ständig neue soziale Netzwerke und Innovationen, aber kaum einem Netzwerk gelingt es, eine kritische Masse zu erreichen.
Zweitens gleichen sich die verschiedenen Netzwerke immer stärker an. Der Unterschied zwischen Youtube Shorts, Tiktok und Instagram Reels ist minimal; Threads, Bluesky und Mastodon sind Twitter-Nachbauten. Die Lust, sich auf ein neues Netzwerk einzulassen, ist bei den User*innen verständlicherweise enden wollend.
Drittens führt das Geschäftsmodell der sozialen Netzwerke dazu, dass Profit über User Experience gestellt wird. Während in den Anfangsjahren Wachstum das wichtigste Ziel von Start-ups ist, wollen Investor*innen über kurz oder lang ihren Profit maximieren. Dieses Ziel führt zur Kommerzialisierung: Unternehmen und Brands bekommen den Vorzug gegenüber Privatpersonen, Konsum wird gefördert und Unterhaltung ersetzt politische Inhalte. Das Produkt wird darauf getrimmt, dass Nutzer*innen immer wieder kommen und möglichst lange bleiben. Dass Soziale Netzwerke ungesund sein können, Hass propagieren oder den Aufstieg von Donald Trump ermöglicht haben, ist mittlerweile erwiesen.
Berechtigterweise könnte man jetzt einwerfen, dass soziale Netzwerke wie eine Art Marktplatz der Ideen fungieren und dort die politische Meinung (mit-) ausgehandelt wird. Das stimmt. Aber diese Funktion libertären Technomilliardären (kein gendern notwendig) zu überlassen, ist ein Fehler. Politische Inhalte sind für die Plattformen in erster Linie ein Wachstumstreiber.
Es zeigt sich immer wieder ein ähnliches Playbook: So lange wie möglich ignorieren die Plattformen extreme politische Inhalte. So werden etwa rechtsextreme Verschwörungsmythen oder frauenfeindliche Gewaltfantasien dank einer libertären Anti-Zensur-Logik toleriert.
Wenn der Druck zu groß wird, gibt die Plattform nach, führt Community-Standards und Content-Moderation ein. Doch das ist messy, kostet Geld und führt zwangsläufig zu unangenehmen Moderationsentscheidungen. Die Kritik ist gewiss. Meta setzt deshalb heute bei seinen Plattformen Facebook, Instagram und Threads auf alles andere, nur nicht auf Politik. So bekommen journalistische Inhalte kaum mehr Reichweite. Gepusht wird alles, was unterhält.
Algorithmus ersetzt Kuratierung
Wir nutzen soziale Medien nicht nur, um mit Menschen in Kontakt zu bleiben, sondern als Inspiration und um über neue Inhalte und Trends zu lernen. In den letzten Jahren hat sich die Kulturtechnik, wie wir zu Empfehlungen kommen, gewandelt. „Es gab einen Wandel von stilprägenden Personen und menschlichen Gatekeepern hin zu sehr datengetriebenen Systemen, in dem nur das, was beliebt ist, beliebter wird. Und was nicht unmittelbare Aufmerksamkeit und Interaktion erhält, wird vom Algorithmus verschwiegen und kann nie zum Mainstream werden“, sagt der Autor Kyle Chayka, der gerade ein Buch darüber geschrieben hat, wie Algorithmen unseren Kulturgeschmack einebnen. Auf Basis unserer Hörgeschichte empfiehlt Spotify passende Songs. „Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch“, sagt Amazon.
Parallel zum Aufstieg der sozialen Medien verlief der wirtschaftliche Abstieg von journalistischen Medien.
Neues und Unbekanntes entdecken wir also immer stärker durch datengetriebene Empfehlungsalgorithmen. Dass uns Menschen – egal, ob die Musikkritikerin eines Magazins oder dein Kindergarten-Freund – Dinge empfehlen, nimmt an Bedeutung ab. In den sozialen Netzwerken der ersten Generation war das umgekehrt. Die Attraktivität von Facebook zu seiner Hochphase, baute auch darauf auf, dass man von so vielen und sehr weit entfernten Menschen kulturelle Empfehlungen bekam.
Kuratierung ist ein essentieller Teil des Journalismus – Informationen ordnen, Unwichtiges weglassen und Spannendes empfehlen. Parallel zum Aufstieg der sozialen Medien verlief der wirtschaftliche Abstieg von journalistischen Medien. Wer braucht noch eine Spex, wenn man den Spotify-Algo hat. Wer eine Restaurantkritik, wenn man sich Google Bewertung ansehen kann. In seinem Buch „Filterworld“ beschreibt Chayka wie ein bestimmter Stil – etwa minimalistische Coffeeshops – sich weltweit ausbreitet, ohne dass dies von irgendwem gesteuert wird. Aber nicht nur das: die Algorithmen führen einen weltweit in die gleichen minimalistischen Cafés, weil eben genau diese dem eigenen Geschmack entsprechen.
Was ist der Ausweg?
Auch wenn es für viele uninteressant und langweilig geworden ist, wird Social Media so bald nicht verschwinden. Die Macht der Plattformen ist groß und nur weil wir uns nicht mehr aktiv beteiligen, konsumieren wir trotzdem weiter passiv. Außerdem läuft über Gruppenchats und Privatnachrichten in den Social Apps ein großer Teil der zwischenmenschlichen Kommunikation. Alle Accounts zu löschen, wäre gar nicht so einfach.
Aber wie könnte die Zukunft von sozialen Netzwerken aussehen? „Kleiner und dezentral“ sagt etwa das Manifest der Initiative for Digital Public Infrastructure. Die Vision der Wissenschaftler*innen sind spezifische Mini-Netzwerke für kleine Communities, die über ein gemeinsames Framework miteinander verbunden sind. In diese Richtung geht das Fediverse, dass ein Universum aus sozialen Netzwerken bilden soll – Mastodon ist schon dabei, Threads soll Teil davon werden.
Einen einzigen dominierenden Player wie Facebook in den 2010er-Jahren wird es wohl nie wieder geben. Die Fragmentierung von Social Media wird weitergehen.