„30 Prozent der Österreicher*innen sagen, ich darf hier nicht sein“
Emil Biller's Picture
Emil Biller
Reporter

„30 Prozent der Österreicher*innen sagen, ich darf hier nicht sein“

Die extrem rechte FPÖ hat zum ersten Mal in der Geschichte eine Nationalratswahl gewonnen. Wir haben gefragt, wie es euch mit dem Wahlergebnis geht.


Foto: privat

Almir, 27 Jahre alt, studiert Informatik

Ich spüre Verzweiflung und Wut, weil ich mich frage, wozu ich mir so viel Mühe gemacht habe, mich „zu integrieren“. Ich, als jemand, der zwar hier geboren, aber bosnischer Staatsbürger ist. Ich wollte mich immer anpassen und zur weißen Mehrheitsgesellschaft gehören. Hab’ mich bemüht, die Sprache richtig zu sprechen, auch den Dialekt in Kärnten, wo ich aufgewachsen bin. Ich habe viele Freunde, die Österreicher*innen ohne Migrationsgeschichte sind. Integration hat für mich immer bedeutet, all diese Teile, von denen ich glaubte, dass sie nicht zu mir gehören dürfen, zu verstecken oder aus meinem Leben cutten zu müssen, weil ich Österreicher sein wollte. Jetzt denke ich mir, 30 Prozent der Österreicher*innen sagen, ich darf hier nicht sein oder wählen eine Partei, die offen sagt, dass ich nicht hier sein darf. Es ist ein Trauerspiel … es ist ein Brocken, den man schlucken muss.


Foto: Merve Ceylan

Rahel, 28 Jahre alt, Musikerin

Ich mache mir Sorgen, welche Konsequenzen es hat, wenn die FPÖ so viel mitentscheiden darf und so viele finanzielle Mittel haben wird. Sorgen macht es mir auch deshalb, weil ungarische Freund*innen mir erzählt haben, wie schlimm es unter Orbán ist. Kickl nimmt Ungarn als Vorbild. Ich frage mich, was der Wahlsieg für die Kunst- und Kulturwelt bedeuten wird. Außerdem will die FPÖ scheinbar, dass Lehrpersonen in Schulen, die sich FPÖ-kritisch äußern, im schlimmsten Fall gekündigt werden können.

Ich weiß einfach nicht, was das bedeutet, für die Sachen, für die wir gekämpft haben und kämpfen. Ich weiß nicht, was das bedeutet für queere Menschen. Ich mache mir Sorgen, dass es Rückschritte gibt beim Klimaschutz. Ich möchte nicht, dass Wiederbetätigung normalisiert wird, was die FPÖ ja permanent macht. 

Zusammengefasst: Ich habe große Sorge, dass wir schrittweise – was ja gerade schon passiert – in eine Zeit zurückkehren, von der wir immer wieder sagen, nie wieder. 


Marija (Name von der Redaktion geändert), 24 Jahre alt, studiert Geschichte

Ich habe Angst vor dem Auftreten der FPÖ-Wähler*innen in den sozialen Medien. Uns Ausländer*innen machen sie zu Objekten und projizieren ihre Ängste und Stereotypen auf uns. In ihren Augen sind wir offenbar keine Menschen. Das ist für mich sehr gruselig. 

Bei FPÖ-Wähler*innen wird die Partei oft zu ihrer Persönlichkeit, zu ihrer Identität. Es wirkt für mich wie ein hetzerischer Kult. Alles, was ihrer Meinung nach nicht dazu passt oder fremd ist, gehört weg.

Ich habe Angst davor, dass ich öfter in Situationen kommen werde, in denen ich wegen meines Nachnamens oder meines Aussehens oder weil ich das R rolle, benachteiligt oder auch angegriffen werde. In Kärnten ist das schon oft passiert.

Es macht mir Sorgen, dass die FPÖ alle Ausländer*innen, die keine Staatsbürgerschaft haben oder sich nicht so integrieren, wie sie sich das vorstellt, abschieben will. Wir sollten zu 100 Prozent integriert sein, wir müssen alles zurücklassen, unsere Identität einfach löschen, weil wir sonst in ihren Augen nicht „richtig“ sind. 

Es ist in Österreich schon jetzt extrem schwer, die Staatsbürgerschaft zu bekommen, vor allem sehr teuer. Ich bin in Österreich geboren, meine Mama ist in Österreich geboren, aber ich bekomme die Staatsbürgerschaft nicht einfach so, sondern muss dafür zahlen. Das ist absurd. Ich habe Angst, dass es nun noch schwieriger wird, die Staatsbürgerschaft zu bekommen.

Ich habe auch Angst, dass die Amtswege noch schwieriger werden, als sie es eh schon sind. Ich habe zum Beispiel einen Daueraufenthaltstitel, weil ich in Österreich geboren bin. Der ist für immer gültig, aber ich muss ihn trotzdem alle fünf Jahre verlängern, weil da meine Arbeitsbefugnis dranhängt. Wenn ich das nicht mache, dann bekomme ich eine Geldstrafe. Für die Erneuerung muss ich 250 Euro zahlen. Das wird jedes Mal teurer und ich kann es mir gerade schon schwer leisten.

Ich habe Angst davor, dass der Alltagsrassismus noch üblicher wird und sich die Leute durch den Rechtsruck trauen, öffentlich noch rassistischer zu sein – vor allem in den sozialen Medien. Leute sagen ganz offen heraus, was sie denken. Ich bin der Meinung, vor zehn Jahren hätte sich das so noch niemand getraut. Ich habe so Angst davor, dass es zu noch mehr Übergriffen kommt. 


Isabel (Name von der Redaktion geändert), 26 Jahre alt, Lehrerin an einer NMS in Wien-Simmering

Ich arbeite in einer Mittelschule im 11. Bezirk in Wien. Ich dachte, dass die Kinder die Wahl eher weniger interessieren wird, weil sie noch so jung sind. Irgendwann haben die Viertklässler dann im Unterricht gefragt: Hey, wer ist Herbert Kickl? Was will die FPÖ eigentlich? Will die uns alle vertreiben? 

Man muss dazu sagen, alle 24 Kinder in dieser vierten Klasse haben einen Migrationshintergrund. Viele haben auch keine österreichische Staatsbürgerschaft, sind vor nicht allzu langer Zeit geflüchtet. Die Kinder haben vermehrt Angst bekommen, als ihnen klar wurde, die FPÖ könnte gewinnen. Sie haben gefragt, was mache ich, wenn ich abgeschoben werde? Ich habe auch Migrationshintergrund und ich glaube, deswegen vertrauen sie sich mir auch an. 

Am Montag nach der Wahl hatte ich direkt die erste Stunde, da haben wir fast die gesamte Stunde damit verbracht, zu besprechen, was die Zukunft bringt. Ich versuche sie dann halt ein bisschen runterholen und ihnen zu erklären, dass jetzt erstmal nicht sicher ist, wie es weitergeht und auch, dass sie nicht einfach weggeschickt werden können. 

Und dann kamen Fragen wie: „Okay, aber was mache ich, wenn mein Vater abgeschoben wird? Wer kümmert sich dann um unsere Familie? Wie überlebe ich? Wohin komm ich dann? Kommt dann das Jugendamt?“

Die muslimischen Mädchen haben auch Angst davor, dass das Kopftuch verboten wird und fragen: „Darf ich dann nicht mehr rausgehen? Darf ich noch in die Schule gehen? Ich darf mich ja nicht ohne Kopftuch zeigen.“

Man merkt wirklich, dass Kinder und Jugendliche Angst davor haben, was jetzt in ihrem Leben passiert. Sie spüren einfach eine Unsicherheit vor dem, was kommen wird. Das ist sehr erschreckend. Das sind keine Sorgen, die du in dem Alter haben solltest. 

Ich tue mir schwer, ihnen die Sicherheit zu geben, dass es tatsächlich nicht schlimmer wird. Ich lüge vielleicht ein bisschen vor ihnen, einfach weil ich nicht möchte, dass sie so eine Angst davor haben. Dann sage ich: „Ach, das wird schon nicht passieren. Alles wird gut werden. Die kommen sicher nicht in die Regierung.“

In dem Alter habe ich mir vor solchen Sachen keine Sorgen gemacht. Ich hatte damals schon die österreichische Staatsbürgerschaft, somit war es für mich kein Thema, abgeschoben zu werden. 

Aber ich persönlich habe auch Angst davor, was passiert, wenn die FPÖ in die Regierung kommen sollte. Auch davor, was sie mit der Bildung machen werden. Unser Bildungssystem ist jetzt schon katastrophal. Wir kommen kaum aus, es fehlt uns an Ressourcen, es fehlt uns an Personal. Es ist alles sehr schlecht organisiert. Die Situation an den Pflichtschulen ist teilweise katastrophal und ich glaube kaum, dass es besser wird, wenn wir eine rechtsextreme Regierung haben. Gerade wenn es um Schulen geht, wo der Migrationsanteil hoch ist.

Ich versuche es den Kindern nicht zu zeigen, aber ich sorge mich, wie es in den nächsten Wochen und Monaten weitergehen wird.


Foto: Zoe Opratko

Steffi Stanković, 32 Jahre alt, Comedian und LGBTQI*-Aktivistin

Natürlich war es vorhersehbar, dass die FPÖ gewinnen wird. Ich habe zumindest gehofft, dass die ÖVP dritter sein wird und die SPÖ zweiter. Es ist beängstigend, dass sich Österreich so weit nach hinten entwickelt hat, dass es mich an die 1940er-Jahre erinnert. Diese Pläne: Remigration, Menschen abschieben, irgendwelche Lager in Afrika, das ist beängstigend. 

Was mich aber auch nervt, ist, dass ÖVP, SPÖ und die Grünen ihre Arbeit nicht wirklich richtig gemacht haben und sich so viele Skandale und Fehler geleistet haben. Ich würde auch den Linken zuschreiben, dass die FPÖ gewonnen hat. 

Als Migrantin erster Generation und als trans Frau treffen mich die Wahlergebnisse doppelt und dreifach. Es macht mir Sorgen, was das für uns als marginalisierte Gruppen bedeutet, ob wir überhaupt noch einen Platz haben werden in dieser Gesellschaft. Obwohl man immer bei der Linken davon ausgeht, dass sie Cancel Culture betreiben, ist es die Rechte, die immer schon zensiert hat, die Menschen unterdrückt und mundtot gemacht hat. Ich muss mir als queere Künstlerin, Aktivistin und Migrantin die Frage stellen, ob das Land eigentlich noch sicher ist für mich. Das ist absurd.

Es gibt natürlich sehr viele Menschen, die sich jetzt extrem bestärkt fühlen werden, Hass zu verbreiten. Ich befürchte, der Rassismus und die Queerfeindlichkeit werden befeuert.  ___STEADY_PAYWALL___

Es wird auch mehr Gewalt geben, denke ich. Natürlich befeuert das auch wieder Gewalt auf der anderen Seite. Zum Beispiel werden radikale Linke vielleicht noch aggressiver werden oder Menschen mit Migrationshintergrund, die eh schon das Gefühl haben, dass sie nicht dazugehören. Es ist ein Chaos der Gefühle. Und ein tatsächliches Chaos, das auch ausbrechen könnte – das macht mir große Sorgen.


Foto: privat

Kerstin Maier-Posch, 42 Jahre alt, Volksschullehrerin

Ich bin in einem emanzipierten Haushalt aufgewachsen und heute Mama einer wunderbaren, achtjährigen Tochter. Für meinen Mann und mich ist es eine logische Konsequenz, diese Werte an unsere Tochter weiterzugeben. Bereits von klein auf sieht sie, dass Mama und Papa beide berufstätig sind, der Haushalt gemeinsam erledigt und gegendert wird. Long Story Short: Wir sind ein Haushalt, der Chancengleichheit und Gleichberechtigung lebt. 

Dass nun eine Partei an die Macht gewählt wurde, deren höchste Prämisse Ausgrenzung ist, macht mir Angst. Es macht mir Angst, dass FPÖ-Familien Rückenwind erhalten. Dass sie all die Attribute toxischer Männlichkeit an ihre Söhne weitergeben und ihren Töchtern vermitteln, dass sie wertlos sind. Und dass Kinder außerhalb binärer Geschlechterrollen in diesem Weltbild schlicht nicht vorkommen oder existieren dürfen. 

Dieser Wertekanon wird Teil der Gesellschaft sein, in der unsere Achtjährige aufwächst. Sie wird sich mehr denn je behaupten müssen. Sie wird doppelt so hart sein müssen. Zu sich selbst und zu ihrem toxischen, patriarchalen Umfeld. Sie wird sich in einer Welt wiederfinden, die an die 1950er-Jahre erinnert, kombiniert mit Social Media, das von rechten Meinungsmacher*innen verwendet wird, um Gift zu verspritzen.

Als Frau und überzeugte Feministin erschüttert und ängstigt es mich zutiefst, dass all das, wofür meine Oma und meine Mama gekämpft haben, innerhalb kürzester Zeit zu verschwinden droht.

Autor*in: Emil Biller

Diese Recherche haben die Mitglieder von tag eins ermöglicht. Werde Mitglied, wenn du unabhängigen Journalismus ermöglichen willst.

tag eins bist du.

Nur mit deiner Unterstützung, deinem regelmäßigen Mitgliedsbeitrag, können wir unabhängig recherchieren und sorgfältigen Journalismus machen.

30 Tage kostenlos testen

Das haben wir auch noch für dich: