Ambivalente Heimatbesuche
In den Ferien heißt es für viele Kinder aus migrantischen Familien: ab in die alte Heimat der Eltern. Auch unsere Kolumnistin verbrachte bis ins Teenager-Alter etliche Sommer in Korea. Dabei waren die Reisen von widersprüchlichen Gefühlen begleitet – und sind es bis heute.
Seoul. | Als Jugendliche schwor ich mir: Nie wieder Sommer in Korea. ___STEADY_PAYWALL___ Bis ich etwa 14 war, fuhr ich beinahe jedes Jahr in den großen Ferien in das Herkunftsland meiner Eltern. Wahl hatte ich keine, stand doch außer Frage, dass die „alte Heimat“ auf jeden Fall bereist werden musste. Ich verfluchte die drückende, schwüle Hitze, die sich während der Monsunzeit über das Land legt. Stolperte ständig über die Sprache, die ich nur zu einem kleinen Teil verstand und noch schlechter sprach. Wurde nervös vor den obligatorischen Besuchen bei Verwandten, die ich bestenfalls nur den Namen nach kannte und mit denen mich kaum etwas verband.
Trotzdem quoll das Reisegepäck jedes Mal über mit Geschenken für die Mischpoke (besonders beliebt: Mozartkugeln und Multivitamin-Präparate). Klar wollten alle einmal den österreichischen Teil der Familie persönlich treffen – und umgekehrt wollte man niemanden kränken, indem man eine Einladung ausschlug oder mit leeren Händen dastand.
Die Erwartungen der Verwandtschaft
Insgeheim beneidete ich meine Schulfreund*innen, die mit ihren Familien einen typisch österreichischen Sommerurlaub am Mittelmeer verbrachten und am Strand abhingen. Beliebte Reiseziele wie Griechenland oder Italien kenne ich bis heute kaum. All-inclusive-Urlaub, frei von familiären Verpflichtungen und Terminen? Träumchen!
Besonders genervt war ich von den Erwartungen der Verwandtschaft: Warum ich nicht besser Koreanisch spreche? Wann ich denn zu heiraten gedenke? Wieso ich mich nicht schminke und ob ich nicht etwas abnehmen wolle? Zugleich bedeutete meine vielen Verwandten zu treffen, ständig gefüttert zu werden: „Warum isst du so wenig? Nimm dir noch!“
In der Tat waren die großen Dinner-Runden für mich die absoluten Highlights. Wäre nicht das köstliche koreanische Essen, fiele es mir sehr viel schwerer, mich mit Land und Leuten zu versöhnen. Ich habe Freund*innen, wie ich Nachkommen koreanischer Einwander*innen, deren Vorstellung darüber, was „Koreanischsein“ ausmacht, eher vage ist, die sich aber umso mehr für koreanisches Essen begeistern: von Galbi bis Tteokbokki, Samgyeopsal bis Jjigae, Jjajangmyeon bis Kimchi – you name it!
Korea? Gibts nicht.
Abseits von Verwandtentreffs war ziemlich oft Fadesse angesagt. Schließlich gab es selbst bei einer erklecklichen Anzahl an Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen kein cooles Dauerunterhaltungsprogramm für einen Wiener Teenager. Mit dem Erwachsenenalter sind meine Korea-Reisen seltener geworden. Doch erst jetzt konnte ich das Land, aus dem meine Eltern in den 1970er-Jahren migriert sind, auf eigene Faust bereisen und auf diese Weise neu kennenlernen.
Mittlerweile strömen auch scharenweise Tourist*innen ins Land – Hallyu sei Dank. Die Strategie des gezielten Kulturexports, gefördert durch die koreanische Regierung, hat die Popularität von K-Pop, Filmen, Mode, Essen etc. "Made in Korea" global in die Höhe schießen lassen. Vor Corona-Pandemiezeiten erlebte Südkorea mit rund 18 Millionen internationaler Tourist*innen (Stand 2019) gar ein Rekordjahr. Ich erinnere mich noch an Zeiten, als vielen Österreicher*innen der asiatische Staat völlig unbekannt war. „Korea? Ein solches Land gibt’s doch gar nicht!“, entrüstete sich einmal ein Klassenkollege in der Volksschule, nachdem er mir die klassische Frage stellte: „Und, woher kommst du?“
Die nächste Generation
Die für mich prägendste Erfahrung in Korea hat im Grunde nichts mit Korea zu tun – nämlich nicht als Fremde wahrgenommen zu werden (zumindest bis zu meinen zaghaften Versuchen, Koreanisch zu sprechen). Weil ich aussehe wie alle anderen auch, habe ich hier zum ersten Mal gespürt, wie es ist, einfach in der Masse unterzugehen. Anstatt, wie in Österreich, ständig aufzufallen und häufig die einzige nicht-weiße Person im Raum zu sein. So oder so ähnlich könnte es sich also anfühlen, Teil der Mehrheit zu sein. Doch die Fremdheit bleibt eine doppelte. Koreanisch ist höchstens mein Äußeres. Was wusste ich schon darüber, wie meine Verwandten leben? Unter welchen Bedingungen sich die Migration meiner Eltern vollzog? Was es für beide Seiten bedeutet, voneinander getrennt von zu sein?
Die Korea-Besuche sind ambivalent geblieben. Denn mittlerweile birgt jede Reise auch einen Abschied. Wenn ich heute nach Seoul fahre, geht es schon mal zum Friedhof ans Grab verstorbener Verwandter. Und immer öfter stellt sich die Frage: Wird diese oder jene Person noch da sein, wenn ich das nächste Mal komme? Bei meiner aktuellen Visite sehe ich meine hochbetagte Tante mit großer Wahrscheinlichkeit das letzte Mal. Dennoch: Die Koffer werden weiterhin prall gefüllt sein mit Geschenken – für die neue Generation, die nachkommt.