FPÖ stellt Väterrechte über Kinderschutz
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Jolanda Allram
Reporterin

FPÖ stellt Väterrechte über Kinderschutz

Die FPÖ wollte ein Gesetz zum „Eltern-Entfremdungssyndrom“ in den Regierungsverhandlungen durchbringen. Dafür macht sie sich schon länger stark. Die wissenschaftlich nicht haltbare Pseudodiagnose setzt vor allem Mütter unter Druck und stellt Väter- vor Kinderrechte.


Es ist einer der rot hinterlegten Absätze in den geleakten Protokollen zu den Regierungsverhandlungen: Die FPÖ wünscht sich ein Gesetz zum sogenannten „Eltern-Entfremdungssyndrom“. „ÖVP dagegen“ steht dabei. Unabhängig von den nun geplatzten Regierungsverhandlungen lässt sich das Thema nicht einfach vom Tisch wischen.

Denn den Blauen ist ein solches Gesetz schon lange ein Anliegen. Drei Entschließungsanträge gab es seit 2011 von FPÖ-Nationalratsabgeordneten dazu. ___STEADY_PAYWALL___ Zuletzt war Harald Stefan dabei federführend, er verhandelt bei den aktuellen Koalitionsverhandlungen für die FPÖ das Kapitel Justiz & Wohnen. Stefan ist kein Unbekannter: Er ist Mitglied der deutschnationalen Verbindung Gothia Meran und ehemaliges Mitglied der rechtsextremen Burschenschaft Olympia. Zuletzt machte er Schlagzeilen durch seine Aussagen am heimlich gefilmten FPÖ-Stammtisch, davor als Teilnehmer des Begräbnisses eines Olympia-Mitglieds, bei dem vermeintlich SS-Lieder gesungen wurden.

Wissenschaftlich nicht anerkannt

Das Eltern-Entfremdungssyndrom, auch Parental Alienation Syndrom (PAS) genannt, geht auf den US-amerikanischen Kinderpsychiater Richard Gardner zurück. Es soll dann auftreten, wenn ein Elternteil das Kind so beeinflusst, dass es das andere Elternteil ablehnt. Die Konsequenz: Aussagen des Kindes seien nicht glaubwürdig, weil sie angeblich aus der Beeinflussung resultieren. In der Praxis richtet sich der Vorwurf meistens gegen Mütter, denen unterstellt wird, ihre Kinder gegen die Väter aufzuhetzen.

Gardner selbst gilt als umstritten: Er verharmloste sexuellen Missbrauch von Kindern und vertrat die These, die Gesellschaft reagiere überempfindlich auf Pädophile. Aussagen, wie man müsse einem Kind nur erklären, dass sexueller Missbrauch durch einen Vater normal sei, dann würde es auch nicht traumatisiert, gehörten zu seinem Repertoire. Seine Ansichten sind zudem nicht nur frauenfeindlich, sondern auch antisemitisch

Wissenschaftlich ist Gardners Konzept nicht anerkannt. Es findet sich weder im ICD-10 /11 noch im DSM-5 (international anerkannte Klassifikationssysteme, die zur Erstellung von Diagnosen herangezogen werden). Das deutsche Bundesverfassungsgericht äußerte sich 2023 zum Eltern-Entfremdungssyndrom: Es gelte fachwissenschaftlich als widerlegt und reiche nicht als Entscheidungsgrundlage vor Gericht. Die UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen, Reem Alsalem, bezeichnet das Parental Alienation Syndrom als ein „unwissenschaftliches Pseudokonzept, das in familienrechtlichen Verfahren von Missbrauchstätern als Instrument benutzt wird, um ihren Missbrauch und ihre Nötigung fortzusetzen.“ Es würde Mütter diskreditieren, die versuchen, ihre Kinder zu schützen, indem sie Besuchskontakte verweigern. In Österreich ist man für das Thema noch nicht sonderlich sensibilisiert, das zeigen Medienberichte wie dieser

Mütter unter Druck

Was die FPÖ unter dem Deckmantel des Kinderschutzes durchsetzen will, macht Ulrike Altendorfer-Kling, Kinderpsychiaterin und Generalsekretärin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, große Sorgen. „Weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass viele Elternteile ihre Kinder dann nicht zum Besuchskontakt herausgeben wollen, wenn es zum Beispiel Vorwürfe von Gewalt oder sexuellem Missbrauch gegeben hat.“ In der Praxis führe das PAS dazu, dass vor allem Müttern und Kindern in solchen Situationen nicht geglaubt würde. „Dann wird betont, dass die Ablehnung des Kindes ungerechtfertigt ist. Selbst wenn das Kind von sexuellem Missbrauch oder von Schlägen spricht, heißt es, das Kind sei bloß beeinflusst worden.“ 

„Ich mache mir Sorgen, dass der Kinderschutz ausgehebelt wird.“ Ulrike Altendorfer-Kling, Kinderpsychiaterin

Die Kinderpsychiaterin sagt: „Ich mache mir Sorgen, dass der Kinderschutz ausgehebelt wird“. Sie schildert den Fall eines Buben, der mehrere Jahre lang vor Gericht immer wieder gesagt hätte, er habe Angst vor seinem Vater und möchte ihn nicht unbegleitet besuchen. Der Bub erzählte von Gewalt, musste aber dennoch die Wochenenden und jeweils einen Wochentag beim Vater verbringen. Geglaubt habe man dem Kind nicht, „Diagnose“: Eltern-Entfremdungssyndrom. Nachdem Altendorfer-Kling die Situation schließlich dokumentiert und eine Gefährdungsmeldung ans Jugendamt gemacht hatte, wurde der Fall neu aufgerollt, dem Kind wurde endlich geglaubt. Der Vater wurde nun strafrechtlich verurteilt.

Dass die Mutter diese Besuche gegen den Willen des Kindes zugelassen hat, lässt sich mit dem Begriff Bindungstoleranz erklären, der im Familienrecht als ein Sorgerechtskriterium gilt. Dabei geht es um die Bereitschaft eines Elternteils, Besuchskontakte nicht nur zuzulassen, sondern auch zu unterstützen. Ein Elternteil sei nur dann bindungstolerant, wenn es das Kind auch gegen den Kindeswillen zum anderen Elternteil bringe, sagt Altendorfer-Kling. Würden sich Mütter weigern oder auch nur begleiteten Besuchskontakt zulassen, gälten sie schon als leicht „bindungsintolerant“, ein weiterer unwissenschaftlicher Begriff, der Mütter unter Druck setzt. Es drohen Beugestrafen, im schlimmsten Fall wird das Kind gerichtlich abgenommen und muss in eine Fremdunterbringung oder sogar zum mutmaßlichen Täter. 

Mutmaßliche Täter profitieren

Andrea Czak ist Obfrau des Vereins FEM.A, der sich für die Belange alleinerziehender Mütter einsetzt und eine Helpline für Mütter mit Problemen in Obsorge-, Kontaktrechts- und Unterhaltsverfahren betreibt. Sie sagt: „98 Prozent der Mütter, die bei uns anrufen, sind von Gewalt betroffen.“ Sie berichten von psychischer, physischer, finanzieller oder sexualisierter Gewalt gegen sich oder ihre Kinder, Cybergewalt und Stalking. „Da geht es nicht darum, dass die Väter sich mehr um die Kinder kümmern wollen. Es geht oft um Macht und Kontrolle, über die Trennung hinaus“, sagt Czak. Wenn Väter sich die Kinderbetreuung wirklich gleichwertig teilen möchten, würde es meist ohne Familiengericht zu einer Einigung kommen.

„Väterrechtler sind schon Wölfe im Schafspelz“ Andrea Czak, Obfrau des Vereins FEM.A

Von einem PAS-Gesetz profitieren würden vor allem mutmaßliche Täter, laut Altendorfer-Kling. Denn wenn das Urteil PAS lautet, würde nicht mehr nach weiteren Beweisen gesucht und Strafverfahren auch eingestellt. Sie sagt: „Wenn man es sich aber genau überlegt, ist jemand nicht automatisch unschuldig, wenn er wegen Mangel an Beweisen freigesprochen wurde, er ist dann möglicherweise immer noch ein Täter.“

Es sind aber vor allem sogenannte Väterrechtler, die sich politisch stark für die Anerkennung der Elternentfremdung und Bindungsintoleranz einsetzen. Laut einer Correctiv-Recherche üben diese in Deutschland massiven Einfluss auf Politik und Justiz aus und untergraben so den Gewaltschutz von Frauen und Kindern. Auch in Österreich sitzen Väterrechtler in Arbeitsgruppen des Justizministeriums. SPÖ-Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner spricht in einem Sitzungsprotokoll des Nationalrats in diesem Zusammenhang von „problematischen Väterrechlern”. „Väterrechtler sind schon Wölfe im Schafspelz“, sagt Czak. Sie seien oft nicht von seriösen Väter-Vereinen zu unterscheiden. „Einige nennen sich sogar Feministen. Dabei ist es eindeutig: Wenn sie das PAS oder Eltern-Entfremdung propagieren, dann sind das nicht die Guten“, sagt die FEM.A-Obfrau. 

Kinder ernst nehmen

Für die Kinderpsychiaterin Altenberger-Kling müsse jetzt vor allem Kindern mehr geglaubt werden. Kinderaussagen würden vor Gericht zu oft in Frage gestellt, vor allem bei jüngeren Kindern. „Ich finde es erschütternd, dass man die Kinder nicht ernst nimmt und dass das so systematisch passiert“, sagt sie. 

Es brauche auch mehr Aufklärung und Weiterbildung an Familiengerichten. 2024 hat das Justizministerium zum Thema Gewalt im Zusammenhang mit Obsorge und Kontaktrecht eine Handreiche veröffentlicht, die fachlich gut ausgearbeitet sei. Aus Gesprächen mit Müttern weiß Czak aber, dass viele Mitarbeiter*innen der Familiengerichtshilfe und Richter*innen diese nicht kennen und auch nicht erfreut reagieren, wenn sie auf diese hingewiesen werden: „Die fühlen sich davon provoziert, die wischen das zur Seite“, sagt Czak. Auch sie drängt darauf, die Aussagen von Kindern ernst zu nehmen. „Es wäre wichtig, den Fokus von den Väterinteressen zu nehmen und ihn auf den Willen der Kinder zu legen, auf ihre Bedürfnisse und was sie sagen. Weil Kinder können auch schon wenn sie sehr klein sind, sehr gut formulieren, was sie wollen und was sie nicht wollen. Man muss ihnen nur zuhören und sie ernst nehmen.“

Autor*in: Jolanda Allram

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