„Eine Bedrohung für das jüdische Leben in Österreich“
Mit der Forderung nach einem Verbot für rituelle Schächtungen geht die FPÖ auf Konfrontation mit der jüdischen Community.
Nach langer Wartezeit soll sie nun tatsächlich kommen: die Ermittlungs- und Beschwerdestelle (EBS) zur Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen gegenüber der Polizei. Anfang Juli passierte der dafür nötige Gesetzentwurf den Nationalrat. Ursprünglich von der schwarz-grünen Regierung bereits für 2021 angekündigt, wird die neue Behörde ab nächstem Jahr ihre Arbeit aufnehmen. „Damit bekommen die Opfer von Polizeigewalt endlich die Möglichkeit, sich an eine Stelle außerhalb der klassischen Polizeistruktur zu wenden“, verkündete Justizministerin Alma Zadić.
Schon in den 2000er-Jahren forderten zivilgesellschaftliche Organisationen diesbezüglich unabhängige Beschwerdemechanismen. ___STEADY_PAYWALL___ Doch auch wenn ihre Forderung jetzt umgesetzt scheint, bleibt ein wesentliches Problem bestehen: Die EBS ist im Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung angesiedelt – damit gehört die Stelle zum Innenministerium und ist dem*der Innenminister*in weisungsunterstellt. So wie auch die Polizei selbst.
Es sind solche strukturellen Widersprüche, die kritische Stimmen an einer echten Unabhängigkeit sowie an wirkungsvollen Untersuchungen zweifeln lassen. Fragwürdig erscheint auch der bislang noch recht intransparente Bestellprozess für die Leitung der EBS. Ein Lichtblick ist, dass der geplante Beirat teils mit Expert*innen aus der Zivilgesellschaft besetzt werden soll – wenngleich noch offenbleibt, wie viel Einfluss er wirklich nehmen kann. Doch selbst mit sehr viel Optimismus stellt sich die Frage: Kann eine Einrichtung wie die EBS einen „wirklichen Kulturwandel in unserer Polizei“ herbeiführen, wie der grüne Sicherheitssprecher meint?
Gewalt und Misshandlungen durch die Polizei sind in Österreich kein neues Thema. Jüngst waren es Bilder von Polizeibrutalität gegen Klimaaktivist*innen, die durch die Medien gingen. Doch schon in den 1990ern berichtete das „Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“ von Misshandlungen und Fehlverhalten durch die heimische Exekutive, wie der im Juni erschienene erste Bericht des Antirepressionsbüros in seiner Einleitung festhält.
Fest steht auch, dass Fälle von Polizeigewalt bislang sehr unzureichend geprüft wurden – und es daher auch kaum Konsequenzen für involvierte „Sicherheitsbeamt*innen“ gibt. Laut einer Studie des Austrian Center for Law Enforcement Sciences (ALES) von 2018 führen Misshandlungsvorwürfe gegen Polizeibeamt*innen fast nie zu einer Anklage.
Auch vor diesem Hintergrund konstatiert Amnesty International für Österreich ein „Klima der Straflosigkeit“ – mit gravierenden Folgen für die Betroffenen, denn diese „wenden sich aus Angst vor Repressalien oder aufgrund ihres fehlenden Vertrauens in die Aufklärung gar nicht erst an die Polizei.“ Dies ist auch ein Mitgrund, warum das reale Ausmaß von Polizeigewalt nicht bekannt ist und die Dunkelziffer an Gewaltopfern durch die Polizei wesentlich höher liegen dürfte.
Dabei trifft Polizeibrutalität nicht alle gleich. Vor allem für Migrant*innen und Asylwerbende – insbesondere, wenn sie Schwarz sind und einen unsicheren Aufenthaltsstatus haben – bedeuten Konfrontationen mit der Exekutive immer potenzielle Gewalt. Und nur allzu oft endet diese für sie tödlich. Daran erinnern die Fälle von Marcus Omofuma (1999), Richard Ibekwe (2000), Edwin Ndupu (2004) und Yankuba Ceesay (2005) – um nur einige zu nennen – auf schmerzliche Weise. Auch der Tod von Seibane Wague ist vielen Menschen noch im Gedächtnis: Vor genau 20 Jahren, in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2003, starb der 33-jährige Mauretanier an den Folgen eines Einsatzes von sechs Polizist*innen, drei Sanitätern und einem Notarzt im Wiener Stadtpark, nachdem er in Bauchlage am Boden fixiert und misshandelt worden war.
Das Urteil im Strafprozess gegen die beteiligten Einsatzkräfte im Jahr 2005 war niederschmetternd: Es gab acht Freisprüche, der Notarzt und ein Polizist wurden zu je sieben Monaten bedingter Freiheitsstrafe verurteilt. Im Berufungsverfahren am Oberlandesgericht Wien wurden 2007 die Freisprüche und äußerst milden Strafen der ersten Instanz bestätigt – beim verurteilten Polizisten wurde das Strafausmaß sogar auf vier Monate bedingte Freiheitsstrafe reduziert.
Auch dieses Jahr findet wieder eine Gedenkkundgebung für Seibane Wague und andere Opfer rassistischer Polizeigewalt statt. „BIPOC und Migras können sich nicht auf Recht (geschweige denn Gerechtigkeit) und Justiz verlassen“, heißt es in der Ankündigung zur Gedenkveranstaltung. Das Versagen von Polizei und Justiz im Fall von Seibane Wague hat strukturelle Ursachen – es kann nicht einfach mit individuellem Fehlverhalten und rassistischen Vorurteilen erklärt werden, sondern liegt in institutionellem Rassismus begründet. Dieser äußert sich u. a. darin, wie schnell, gründlich und unabhängig ermittelt wird, ob und wie Überlebende von polizeilicher Misshandlung in weiterer Folge geschützt werden (häufig sind sie mit Gegenklagen konfrontiert) und wer überhaupt Zugang zu Beschwerdemechanismen hat.
Die Einrichtung einer Ermittlungsstelle ist ein erster wichtiger Schritt – vorausgesetzt, die Stelle wiederholt nicht den Fehler der konsequenzlosen Selbstkontrolle –, doch um dem Gewaltproblem der Polizei zu begegnen, braucht es noch wesentlich mehr Maßnahmen.
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