Wie ein Rüstungskonzern in Österreich mit Asylunterkünften verdient
Die ORS betrieb in Österreich zum Beispiel das Asyl-Übergangsquartier in Wien-Erdberg. Das Bild stammt von 2014. Bild: HANS KLAUS TECHT / APA / picturedesk.com
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Johannes Greß
Reporter

Wie ein Rüstungskonzern in Österreich mit Asylunterkünften verdient

In Deutschland und der Schweiz steht die ORS als Tochter eines millionenschweren Rüstungsunternehmens in der Kritik, mit Flüchtlingsunterkünften unverschämte Profite zu machen. In Österreich scheint sich daran niemand zu stören. 


Vier Wochen lang lag Mamadou Djoulde Diallo in seinem Zimmer, ehe jemand den Geruch bemerkte. Der Flüchtling aus Guinea lebte in einer Asylunterkunft im Südwesten Berlins. Dort fragt man sich seither, wie seinen Tod im November 2023 niemand bemerken konnte. Die Todesursache war aufgrund der fortgeschrittenen Verwesung nicht mehr feststellbar. 

Der Betreiber der Unterkunft, die ORS Deutschland GmbH steht in der Kritik, sie habe zwar üppig kassiert, sich ansonsten aber um wenig gekümmert, wie es in Recherchen der Süddeutschen Zeitung, von AR­­­D und ZDF heißt. Die ORS Deutschland GmbH weist die Vorwürfe zurück, dennoch künd­igte das Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) den Vertrag wegen „gravierender Mängel“ und einer fehlenden Grundlage „für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit“.

Auch in der Schweiz hagelt es seit Jahren Kritik an der ORS, die WOZ bezeichnete das Unternehmen 2017 als „Profiteure des Elends“, die selbst beim Warmwasser spare, um ihre Investor*innen zufriedenzustellen. Die ORS wies die Kritik stets zurück bzw. gelobte Besserung. Im Geschäftsbericht 2022 bezeichnet die ORS die Berichterstattung als unfundiert und zumeist „ideologisch motiviert“.  

Seit 2012 betreut die Österreich-Tochter ORS Service GmbH auch hierzulande Unterkünfte. Nicht immer zur Zufriedenheit aller, aber anders als in den Nachbarländern ohne viel Aufsehen. 

Unmenschliche Behandlung“

Aktuell bietet die ORS in Österreich nach eigenen Angaben Dienstleistungen im Bereich der Betreuung, Unterbringung und Begleitung von Flüchtlingen in sechs Bundesländern und mehr als 30 Standorten an, ihr langjähriges Engagement in Österreich bezeichnet das Unternehmen als „Erfolgsgeschichte“. Die allerdings hat ihre Makel. 

Von Jänner 2012 bis Ende November 2020 betreute die ORS das Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen. Die dortigen Zustände bezeichnete Amnesty International 2015 als „schwer menschenrechtsverletzend“ und kritisierte die „unmenschliche Behandlung“ der Bewohner*innen. Die Volksanwaltschaft dokumentierte im selben Jahr den Fall eines Dialyse-Patienten im Rollstuhl, der in einem Zelt neben der Unterkunft untergebracht wurde. Diese Ereignisse seien von „vielen unabhängigen Stellen evaluiert“ worden und die „erhobenen Vorwürfe“ dadurch „alle entkräftet“ worden, heißt es von ORS auf Nachfrage von tag eins.

Fragwürdige Dienstleistungen

Anders als bei Unterkünften der Caritas, der Volkshilfe oder der Diakonie steht hinter ORS kein gemeinnütziger Träger. Die Recherchen der Süddeutschen Zeitung, von ARD und ZDF legen nahe, dass ORS vor allem seit der Übernahme durch die britische Serco Group im September 2022 unter wirtschaftlichem Erfolgsdruck steht – und entsprechend bei der Qualität der Betreuung spare. Eine Darstellung, der ORS auf Nachfrage explizit widerspricht. „Die Behauptung, dass Profit über die Menschenwürde gestellt wird, spiegelt nicht wider, wer wir sind oder wie wir arbeiten“, so ein Sprecher.

Die börsennotierte Serco Group beschäftigt 50.000 Mitarbeiter*innen in über 20 Ländern und kümmert sich, gelinde gesagt, nicht ausschließlich um humanitäre Anliegen. Unter anderem betreibt das „Dienstleistungsunternehmen“ mit einem Jahresumsatz von knapp sechs Milliarden Euro Gefängnisse, ist im Grenzschutz und Rüstungssektor tätig und war in der Vergangenheit an der Entwicklung von Atomwaffen beteiligt. Das Stockholm International Peace Research Institute listet den Konzern 2023 auf Platz 57 der 100 umsatzstärksten Waffenproduzenten.  

Dumping-Gewinne?

Dass sich ausgerechnet mit Asylunterkünften Geld machen lassen soll, mag eigenartig klingen. Gemeinnützige Träger klagen seit Jahren über fehlende Mittel, allerorts scheint es an Geld und Personal zu mangeln. Laut Gesetz gilt in Asylunterkünften – vereinfacht gesagt – ein Betreuungsschlüssel von 1:55, das heißt, eine Vollzeitkraft ist für 55 Asylwerber*innen zuständig.

Laut Lukas Gahleitner-Gertz, Sprecher der asylkoordination Österreich, reicht das „selbstverständlich nicht, um eine qualitativ hochwertige Betreuung sicherzustellen“. Gahleitner-Gertz verweist darauf, dass Geflüchtete auf ihrem Weg nach Österreich oft traumatische Erfahrungen machen, was mehr Ressourcen und Personal für eine engmaschige Betreuung und psychologische Unterstützung erfordere. Doch in finanzieller Hinsicht ist die Betreuung auf Kante genäht. Quartiergeber brauchen vollbelegte Unterkünfte, um überhaupt ihre Kosten decken zu können. 

Trotzdem wirbt die Serco Group mit Renditechancen. „Aus einer Umsatzperspektive“, so heißt es in deren Jahresabschlussbericht 2022, seien die „Verträge zur Bereitstellung von Asylunterkünften“ am erfolgsversprechendsten.  

Wie geht das? 

Die Betreuung von Flüchtlingsunterkünften wird öffentlich ausgeschrieben, oft nach dem Billigstbieterprinzip, das heißt, wer am billigsten liefert, bekommt den Auftrag. In Deutschland bekam ORS regelmäßig den Zuschlag, weil sie versprach, ihre Arbeit günstiger zu erledigen als die Konkurrenz. Mutmaßlich zuungunsten der Qualität.

So war das auch damals bei der Ausschreibung für die Betreuung für das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen. Caritas, Diakonie und Volkshilfe nahmen daran gar nicht erst teil. Der damalige Volkshilfe-Geschäftsführer Christian Schörkhuber kritisierte in den Oberösterreichischen Nachrichten das Verfahren: „Bereits bei den Ausschreibungen galt das Billigstbieter-Prinzip. Um da mitzuhalten, hätten wir unsere Standards senken müssen. Das wollten wir nicht“. Den Zuschlag erhielt die ORS. 

Kaum Mängel

Daraus abzuleiten, dass die ORS auch heute noch mangelhaft arbeitet, wäre zu einfach. Seit einer Gesetzesänderung 2020 betreut sie in Österreich keine Großquartiere des Bundes mehr, sondern lediglich kleinere Wohneinheiten mit wenigen Bewohner*innen in der Obhut der Bundesländer. Diese gelten als weniger lukrativ, aber als unkomplizierter zu handhaben. Kritik an den Zuständen in der Schweiz und in Deutschland betrafen vor allem Quartiere, in denen mehrere Hundert Personen untergebracht sind. 

Aussagen von Mitbewerbern und gesetzliche Vorgaben wolle man öffentlich nicht kommentieren, heißt es von der ORS auf Nachfrage. Zu bestehenden Verträgen wolle man sich nicht äußern. In puncto Personaleinsatz und Betreuungsschlüssel halte man sich an die gesetzlichen Vorgaben. 

Ein österreichweiter, ausführlicher Rundruf von tag eins bei verschiedenen Personen in der Flüchtlingsbetreuung und ehemaligen Mitarbeiterinnen ergibt ein zweideutiges Bild. Einzelne äußern Kritik, von fehlenden Mitteln und mangelndem Personal ist die Rede. Andere wiederum loben die Arbeit der ORS ausdrücklich. Von strukturellen Mängeln oder gravierenden Verfehlungen weiß niemand zu berichten. 

Rundum zufrieden

Außerdem hat tag eins alle sechs Landesregierungen, in denen die ORS Quartiere betreibt, angefragt. In Oberösterreich ist von einer „reibungslosen“ Zusammenarbeit die Rede, in Kärnten ist es laut Landesregierung zu „keinen Vorfällen in Bezug auf die Betreuungsqualität gekommen“. Auch in Vorarlberg zeigt man sich zufrieden, Salzburg spricht von einem „zuverlässigen und professionellen Partner“. Niederösterreich reagierte bis Redaktionsschluss nicht auf eine entsprechende Anfrage. 

Auch geben die meisten Länder an, von den Missständen aus Deutschland und die Übernahme durch die Serco Group erfahren zu haben. Auswirkungen auf die Zusammenarbeit habe das keine, wie die Landesregierungen unisono bekräftigen. Dass damit ein Rüstungskonzern, der Migrationsbewegungen im schlimmsten Fall also selbst mitverursacht, mit der „Bereitstellung von Asylunterkünften“ Geld macht, scheint niemanden zu stören. 

Autor*in: Johannes Greß

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