Warum Österreich dringend seine Wälder umbauen muss
Oberlienz, Osttirol im Herbst 2023: Die Folgen des Klimawandels – hier Borkenkäferbefall – sind deutlich sichtbar. Bild: Johann Groder / EXPA / picturedesk.com
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Laura Anninger
Reporterin

Warum Österreich dringend seine Wälder umbauen muss

Wälder schützen vor Lawinen, reinigen die Luft und kühlen die Umgebung. Doch es geht ihnen nicht gut. Was muss passieren, um den Wald an den Klimawandel anzupassen?


Wälder leiden unter Schädlingen, Stürmen, Dürre und Hitze. Manfred Lexer lehrt an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien, wie sich die Ressourcen des Waldes besser und nachhaltiger nutzen lassen. Er erklärt, wie viele der heutigen Probleme hausgemacht sind – und was nun passieren muss, um den Wald an den Klimawandel anzupassen.

Was wissen wir über den Wald in Zeiten der Klimakrise?
(Lacht) Fragen Sie mich lieber, was wir nicht wissen. Wir wissen noch nicht, wie sich die Rolle des Waldes in der Gesellschaft verändert. Unsicher ist auch, wie der Klimawandel weiter ablaufen wird. Die Bandbreite an klimatischen Entwicklungen ist noch sehr breit, das geht bis hin zu fünf Grad Erwärmung bis 2100. Beim Niederschlag sind die Unsicherheiten noch viel größer. 


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Wir wissen viel darüber, was derzeit im Wald steht – also welche Baumarten. Aber was ist mit neuen Baumarten und deren genetischen Variationen? Forstgenetik ist ein Wissensgebiet, in dem gerade begonnen wird, genauer zu forschen.

Was ist die größte Bedrohung für den Wald?
Die Bedrohung ergibt sich daraus, welche Bäume im Wald wachsen. Ein Beispiel: In österreichischen Schutzwäldern dominiert mit über 50 Prozent Anteil die Fichte. Schutzwälder schützen vor Steinschlag, Lawinen, Erosion oder Muren – also Strömen von Schlamm und Schutt, die abgehen. Höher im Gebirge steigt der Fichten-Anteil noch weiter an. Diese Bäume sind aber besonders anfällig für Klimafolgen. 

Waldbau-Professor Manfred Lexer
Waldbau-Professor Manfred Lexer fordert den Umbau der Wälder. (C) BOKU Wien

Warum?
In den vergangenen zehn Jahren konnten wir beobachten, dass sich regionale und lokale starke Föhn- und Gewitterstürme häufen, die Bäume umknicken oder umwerfen. Nach solchen Ereignissen breiten sich Borkenkäfer, vor allem die Art Buchdrucker besonders schnell aus.

In weiterer Folge befallen die Käfer dann gesunde Bäume. Sie bohren sich durch die Rinde und legen im Stamm Brutgänge an. Das schwächt Bäume zusätzlich zu immer längeren Dürren weiter und bringt sie zum Absterben. 

Es ist zu befürchten, dass sich die Borkenkäfer-Problematik im Gebirge in Zukunft kaum mehr beherrschen lassen wird. 

Das passierte in den vergangenen Jahren in Südösterreich, vor allem in Oberkärnten und Osttirol, wo sich die Schäden immer weiter ausbreiten. Es werden viele Mühen aufgewendet, um die befallenen Bäume so rasch als möglich aus dem Wald zu entfernen, bevor die neue Käfergeneration sich wieder aus der Rinde ausbohrt und neue Stämme befällt. Es ist zu befürchten, dass sich die Borkenkäfer-Problematik im Gebirge in Zukunft kaum mehr beherrschen lassen wird. 

Werden Wälder durch Sturm, Schnee und Borkenkäferbefall zerstört, können sie nicht mehr vor Lawinen, Erosion oder Muren schützen. Dann ist die Wildbach- und Lawinenverbauung gefragt. Das ist eine Dienststelle des Ministeriums für Wasserwirtschaft. Ihre Expert*innen müssen den Schutz teuer und mühsam durch Schutzbauten wiederherstellen. 

Borkenkäfer und ihre Larven fressen sich durch die Rinde von Fichten.
Die steigenden Temperaturen tun Borkenkäfern gut. Sie vermehren sich exponentiell und können dabei ganze Wälder zerstören. Foto: Adobe Stock

Sind denn Käfer wie der Buchdrucker schon ausreichend erforscht?Über den Buchdrucker ist so viel bekannt, weil er seit 40 Jahren erforscht wird. Aber das ist nur eine Käferart mit ihrer Interaktion mit einer Wirtsbaumart, der Fichte. Aber was ist mit den ganzen anderen Schädlingssystemen? Das Thema endet fast nie. 

Es gibt Baumarten, etwa die Weißkiefer, die mehrere Borkenkäferarten als Wirt nutzen können, dazu kommen mehrere Pilzarten. Diese kennt man immerhin schon alle, auch wenn man noch nicht zur Gänze versteht, wie und wo es dann zu Baummortalität kommt. 

Bei der Esche hat sich in den vergangenen Jahren überraschend eine neue Pilzart breit gemacht. Für die Baumartenwahl in der Waldbewirtschaftung kommt sie deshalb nicht mehr infrage.

Der Anteil der Fichte muss sinken. Wenn der Wald nachhaltig vor Naturgefahren schützen soll, zumindest auf unter 50 Prozent.

Wenn es zum Extremfall kommt und ganze Wälder zerstört worden sind: Was muss dann passieren? 
Das österreichische Forstgesetz gibt vor, dass Waldbesitzer*innen Kahlflächen in einer gewissen Zeitspanne wieder aufforsten müssen. Das machten sie bisher in Bergwäldern mit Fichten und einem Anteil an Lärchen – eine Sackgasse, die höchstens ein paar Jahrzehnte gut gehen kann. Dann sind die Fichtenstämme dick genug, um ein interessanter Lebensraum für den Borkenkäfer zu sein. 

Der Anteil der Fichte muss sinken. Wenn der Wald nachhaltig vor Naturgefahren schützen soll, zumindest auf unter 50 Prozent. Dazu sollte man weniger vulnerable Baumarten pflanzen.

Welche sind das? 
Im Gebirge gehen einem die Baumarten nicht aus. Welche Arten man wählen sollte, hängt auch davon ab, welche Funktion der Wald erfüllt. Die Lärche schützt weniger gegen Lawinen, weil sie im Winter kahl ist. Aber ihr Holz ist wertvoll. 

Tannen wurden bisher stiefmütterlich behandelt, auch weil Rehe, Hirsche oder Gämsen gerne ihre Triebe, Knospen und Rinde abfressen. Bei Jungbäumen ist dieser Wildverbiss ein Problem. 

Dasselbe gilt für Laubbäume wie Bergahorn oder Buche. Aber diese Arten muss man nun in den Wald bringen – auch in Höhenlagen, in denen dies bisher kein Thema war. Nimmt man auch die Zirbe als „Gebirgsbaum“ dazu, kommt man auf fünf bis sechs Baumarten. Das sollte in den Bergwäldern ausreichen.

Es werden zum Glück nicht immer gleich große Waldflächen ganz zerstört. Wie passt man Wälder an den Klimawandel an?
Die Zusammensetzung der Baumarten ist der größte Hebel. Praxis in der Forstwirtschaft ist zu warten, bis die Bäume auf einer Waldfläche so alt und dick sind, dass sie gut verkäuflich sind. Dann verjüngt man mit jungen Bäumen. 

Das gibt einem während einer Baumgeneration nur ein kleines Zeitfenster, um Einfluss darauf zu nehmen, welche Baumarten wachsen. Wenn eine Fichte 120 Jahre im Wald steht, bleiben bei dieser Methode des Altersklassenwaldes nur ungefähr 20 Jahre Zeitfenster, in denen man die Baumartenzusammensetzung der künftigen Wälder bestimmen kann. 

Viele warten noch ab mit dem Waldumbau. Die Umstände werden sie aber dazu zwingen.

Waldbesitzer*innen müssen das Zeitfenster vergrößern. Das ist ein Paradigmenwechsel, weil es bedeutet, die Bewirtschaftung umzustellen. Weg vom streifenweisen Kahlschlag, wie es im Gebirge oft passiert, hin zu kleinteiligem Hiebsflächen auf größerer Fläche. So verändert sich die Struktur des Waldes. Es stehen dann verschiedene, unterschiedlich alte Baumarten in den Wäldern.  

Solche kleinflächig strukturierten Wälder sind weniger anfällig für Störungen wie Stürme oder Schädlingsbefall. In Österreich werden nur geringe Anteile der Waldfläche aktuell so bewirtschaftet. 

Weg von Fichten-Monokulturen, hin zu klein-flächig strukturierten, vielfältigeren Wäldern: das klingt aufwendig und teuer. Wie überzeugt man Waldbesitzer*innen, das umzusetzen? 
Man muss bedenken: Bei der schlagweisen Bewirtschaftung, die jetzt noch weit verbreitet ist, gibt es viele versteckte Kosten in der Verjüngungs- und Jungwuchsphase. An der Anpassung der Baumartenzusammensetzung mit weniger Fichten kommt man nicht vorbei. 

Das schmerzt, salopp gesprochen, einfach aus ökonomischer Sicht. Darum tut sich wenig in der Umstellung der Bewirtschaftung bei Berg- und Gebirgswäldern. Viele warten noch ab mit dem Waldumbau. Die Umstände werden sie aber dazu zwingen. Dazu kommt auch: Sich zu entscheiden anders zu bewirtschaften geht schnell. Die Umsetzung dauert Jahrzehnte, man braucht einen langen Atem. 

In Gegenden, wo es fast ausschließlich Fichtenwälder gibt, ist das besonders schwierig. Ein Beispiel ist das Mölltal im Bundesland Kärnten. Dort habe ich jüngst den Besitzer eines großen Waldstückes beraten. Wir waren einen Tag lang im Wald und haben seine Optionen besprochen. 

Wenn man das gemeinsam erarbeitet, ist den Besitzer*innen klar, was die Risiken sind und was sie tun können. Aber so eine Art der Beratung ist sehr intensiv. Helfen könnten konkrete Beispiele – bereits umgebaute Wälder, die man besichtigen kann oder kleine Workshops. Solche Angebote sind aber noch rar. 

Die Altersstruktur im Wald aufzubrechen, ist also ein wichtiger Schritt. Ist es damit schon getan und der Wald klimafit?
Nein. Wir müssen die Frage des Ausgleichs von Wald und Wild lösen. Das ist besonders im Gebirge ein Schlüsselelement bei der Klimawandel-Anpassung. Gibt es zu viel Wild, können junge Bäume von den dringend benötigten Baumarten wie Tanne, Buche, Ahorn nicht hochwachsen.

Wir sollten uns als Gesellschaft im Klaren darüber sein, dass der Großteil der Waldflächen Teil einer Kulturlandschaft ist, keine Wildnis.

Schon vor 15 Jahren war klar, dass der Klimawandel ein wichtiger Treiber werden wird. Damals dachte ich mir: Das ist die Chance! Wir kommen nicht mehr daran vorbei, die Problematik zu lösen. Ich war da wohl zu optimistisch und habe mich ein wenig getäuscht. Der Klimawandel ist schon ein Treiber, aber die Wirkung auf die Lösung der Wald-Wild-Problematik ist überschaubar.

Ich kann die vier Millionen Hektar Wald, die es in Österreich gibt, nicht einzäunen. Ich kann nur ändern, wie viel Wild es auf welcher Fläche gibt, und wie der Lebensraum für dieses Wild aussieht. 

Ende September 2023 hat der österreichische Ministerrat die Novelle des Forstgesetzes beschlossen. Wie schätzen Sie diese aus Sicht der Klimawandelanpassung ein? 
Klimawandelanpassung kommt jetzt prominenter vor, und die Speicherung von Kohlenstoff wird als eine der Funktionen des Waldes hervorgehoben. Für etwas relevanter halte ich einen unscheinbaren, ergänzenden Passus. In ihm steht nun sinngemäß: Klimawandelanpassung ist eine Voraussetzung für den Erhalt der Multifunktionalität der Wälder. Das ist wichtig, weil das Wort Anpassung zuvor nicht im Forstgesetz stand. 

Es lässt sich nicht mehr argumentieren, dass Verjüngung des Waldes ausschließlich mit Fichte funktioniert, denn diese Art allein beizubehalten ist keine Anpassung an Klimafolgen. Mit dem neuen Passus ergeben sich neue Möglichkeiten und Fördermittel. Ich sehe Chancen, dadurch Maßnahmen für das integrierte Wald-Wildmanagent zu fördern.

Sollen wir Wälder nicht mehr bewirtschaften und so möglichst viel Kohlenstoff darin zu speichern?

Wir fordern viel vom Wald. Er soll schützen, Holz liefern, Lebensraum sein. Kann er all das in Zukunft noch leisten?
Wir sollten uns als Gesellschaft im Klaren darüber sein, dass der Großteil der Waldflächen Teil einer Kulturlandschaft ist, keine Wildnis. Waldflächen erbringen viele sogenannte Ökosystem-Dienstleistungen. Der Wald kann vor Lawinen, Steinschlag und Erosion schützen, die Luft reinigen, die Umgebung kühlen, Baumaterial liefern und so weiter. Dieser multifunktionale Ansatz kann nicht funktionieren, wenn Einzelinteressen nicht maximiert werden. 

Die Ökosystem-Dienstleistungen des Waldes werden wir irgendwann auch quantifizieren müssen und festlegen, was sie finanziell wert sind. Das passiert, in sehr kleinen Teilen, mit dem Kohlenstoff bereits. Es gibt eine heiß diskutierte Frage zwischen NGOs, Waldbesitzer*innen und der Holzindustrie. 

Sie lautet: Sollen wir Wälder nicht mehr bewirtschaften und so möglichst viel Kohlenstoff darin zu speichern? Oder soll man bei dem heutigen System bleiben, bei dem der Kohlenstoff in Form von geernteten Holzstämmen zum Teil abgeschöpft und in Holzprodukten gespeichert wird? 

Wie stehen Sie dazu?
Die Kohlenstoffspeicherung zu maximieren, könnte in manchen Fällen zwar die Biodiversität erhöhen. Aber sie hat negativen Einfluss auf die anderen Funktionen. So wäre beispielsweise die Schutzwirkung vor Steinschlag und Lawinen nicht nachhaltig aufrecht zu erhalten. 

Das wäre ein großes Problem, denn ein großer Teil des Alpenraums wäre so nicht mehr als Siedlungsraum zu nutzen. Das macht es auch unmöglich, die Zusammensetzung der Baumarten zu ändern. Dadurch würde das Borkenkäfer-Risiko in fichtenreichen Schutzwäldern stark ansteigen. In Summe erscheint mir das keine attraktive Lösung zu sein.

Dieses Interview ist zuerst bei Riff-Reporter erschienen.

Autor*in: Laura Anninger

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