Normale Morde
12 Femizide gab es 2024 bereits in Österreich – bei allen standen die Betroffenen in einem Naheverhältnis zum Täter. Bild: kotoffei/ istockphoto.com
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Anna Mayrhauser
Redaktionsleiterin

Normale Morde

Die Hälfte des Jahres 2024 ist vorbei, 12 Femizide gab es in Österreich in diesem Jahr bereits. Eine Erinnerung daran, dass diese Morde verhindert werden könnten. 


Eine Szene am Esstisch: „Was 30 Männer sind heuer von ihren Partnerinnen umbracht worden?“ fragt ein älterer Herr. „Nein, Berti, umgekehrt! Frauen von ihre Männer“ sagt die Ehefrau. „Aso, normal…“ sagt der Herr. 

Dieser Comic von Stefanie Sargnagel, der letztes Jahr im Rahmen einer Anti-Sexismus-Kampage der Stadt Linz erschienen ist, bringt es auf den Punkt: Normal. 

Erschreckende Zahlen

Die Hälfte des Jahres 2024 ist vorbei. Der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) zählt bis Mitte Juni im Jahr 2024 12 Femizide laut Medienberichten auf seiner Website. Die Täter waren u.a. Ehemänner, Söhne, Väter. Sie gingen teils spektakulär durch die Medien, teils nicht. 

Die letzten beiden Fälle: Im Juni tötete in Wien-Floridsdorf ein 26-Jähriger seine 22-jährige Mitbewohnerin. Ebenfalls im Juni tötete ein Mann in Italien eine Innsbruckerin, seine Ex-Frau. Sie hinterlässt zwei Kinder. 

Außerdem listet der Verein bis Ende Mai laut Medienberichten 25 Fälle schwerer Gewalt, in 23 davon standen die Betroffenen in einem Naheverhältnis zum Täter. Bei den Morden sind es null. Opfer und Täter kannten sich in allen Fällen. 

Im Jahr 2023 wurden 28 Frauen ermordet, 26 Fälle bezeichnet der AÖF als Femizide. Im Jahr 2022 waren es 29, davon entsprechen 27 Fälle laut AÖF der Definition des Femizids. 

Auch Amnesty International Österreich listet die Zahlen der letzten zehn Jahre auf: 19. 17. 28. 36. 41. 39. 31. 28. 29. Die Zählung endet im Jahr 2022.

In Deutschland wurden im Jahr 2023 155 Frauen im Jahr getötet: alle zwei bis drei Tage, laut Statistik des Bundeskriminalamts.

Weltweit wurden nach einem viel zitierten UN-Bericht fast 89.000 Frauen und Mädchen im Jahr 2022 ermordet, davon um die 48.800 von nahestehenden Personen oder Familienangehörigen. Die UN spricht von der höchsten erfassten Zahl seit 20 Jahren. Insgesamt machen Frauen und Mädchen etwa 20 Prozent der Mordopfer aus (Kriegerische Auseinandersetzungen zählen hier nicht mit). Aber über 50 Prozent der weiblichen Opfer werden zu Hause getötet, 66 Prozent von einem Intimpartner. Hingegen werden 12 Prozent der ermordeten Männern und Buben von Familienangehörigen oder Intimpartnern getötet. Die UN spricht von alarmierenden Zahlen, die Dunkelziffern seien jedoch noch höher. Der Bericht spricht nicht über trans oder non-binäre Personen.  

Die Statistiken sind bekannt, das Problem bleibt

Man kann diese Zahlen überall finden und referieren, so wie gerade geschehen, das Problem bleibt bestehen. 

Der AÖF definiert Femizid als „die vorsätzliche Tötung einer Frau durch einen Mann aufgrund ihres Geschlechts bzw. aufgrund von ,Verstößen‘ gegen die traditionellen sozialen und patriarchalen Rollenvorstellungen, die Frauen zugeschrieben werden. Femizide gehören daher zu den Hassverbrechen. Die Definition geht auf die südafrikanische Soziologin und Autorin Diana Russell zurück, die 1976 eine der ersten war, die den Begriff verwendete.“ Es gibt unterschiedliche Definitionen des Begriffs, im Wesentlichen kommen sie alle zu dem Punkt „Killing of women and girls because of their gender“, wie es etwa die Vienna Declaration on Femizid der UN ausdrückt. Alle Definitionen haben gemeinsam, dass sie die strukturelle Komponente des Mordes an einer Frau betonen.

Gewalt gegen Frauen als Spitze der bestehenden geschlechtsspezifischen Machtverhältnisse

Auch wenn die Datenlage nicht so eindeutig ist, wie es manchmal scheint, bleibt Österreich in der EU eines der Länder mit der höchsten Rate an Femiziden. Auch Zypern, Lettland und Malta verzeichnen regelmäßig hohe Zahlen. Der Österreichische Gleichstellungsbericht dieses Jahres hält fest: „Die aktuelle Prävalenzstudie (Statistik Austria 2022) zeigt die hohe Gewaltbetroffenheit von Frauen in Österreich.“ 

Bezugnehmend auf eine große und viel zitierte Studie von Birgitt Haller aus dem Jahr 2023, die die Justizakten zu Femiziden in Österreich von 2016 bis 2020 analysierte, spricht der Bericht von Gewalt gegen Frauen  „als Spitze der bestehenden geschlechtsspezifischen Machtverhältnisse und patriarchalen Strukturen.“

Diese wird begünstigt durch soziale und ökonomische Abhängigkeit von Frauen, die sich so etwa nur schwer aus Gewaltbeziehungen lösen können. Der Bericht stellt aber auch einen Sensibilisierung der Gesellschaft zum Thema Femizide und einen gestiegenen Anteil an polizeilichen Anzeigen statt – auch wenn die Dunkelziffern der Taten immer noch höher liegen dürften. 

Femizid als Normalität

Dass das Bewusstsein gewachsen ist, sieht man im Moment an einigen Beispielen. Wurde der Begriff früher in Österreich wenig genutzt, er kam nur bei Expert*innen und Femist*innen vor, ist er in den letzten Jahren zumindest abseits der Boulevardmedien der Berichterstattung üblich geworden.

In Kroatien wurde dieses Jahr Femizid als strafverschärfender Tatbestand eingeführt, es ist nach Zypern und Malta das dritte Land in der EU. In vielen lateinamerikanischen Ländern ist das bereits länger üblich. Auch in Australien gab es in diesem Jahr schon besonders viele Femizide. In nur vier Monaten wurden 30 Frauen ermordet, ein Maßnahmenpaket wurde beschlossen. 

Deshalb sinkt in Spanien die Zahl der Femizide

Als positives Beispiel in Europa gilt Spanien: In einem Gesetz gegen häusliche Gewalt ist die besondere Schutzbedürftigkeit von Frauen festgeschrieben, eigene Staatsanwaltschaften zur Verfolgung häuslicher Gewalt wurden eingerichtet. Beratungsstellen wurden ausgebaut und für niederschwellig erreichbarer gestaltet, Budgets für Gleichstellung bereitgestellt. Tatsächlich geht die Femizid-Rate in Spanien zurück. 

Die deutsche Juristin und Autorin des Buches „Gegen Frauenhass“ Christian Clemm, die sich in ihrer Arbeit dem Kampf gegen Gewalt an Frauen verschrieben hat, schreibt auf Instagram über die Situation in Deutschland: „Eine Gesellschaft, die es einfach hinnimmt, dass alle 3 Minuten eine Frau von ihrem Partner misshandelt wird, dass jeden Tag einer versucht seine Frau zu töten und jeden dritten Tag dies gelingt, ist weder aufgeklärt, modern, gleichberechtigt, noch fortschrittlich. Sie ist zutiefst patriarchal.“

Sehr langsam scheint das Bewusstsein zu steigen, dass Femizide nicht normal sind. Jetzt müssen politische Maßnahmen folgen.

Autor*in: Anna Mayrhauser

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