Die Autorin Naomi Klein hat ein Problem: Und es ist „zu zu lächerlich, um ernst genommen zu werden“ und „zu ernst, um lächerlich zu sein“.
Denn die linke und antikapitalistische Autorin Naomi Klein, international bekannt für ihren 1999 erschienenen Beststeller No Logo, hat eine Doppelgängerin mit der sie sowohl online als auch offline seit Jahren immer wieder verwechselt wird und deren Äußerungen ihr zugeschrieben werden: Die ehemals liberale Feministin Naomi Wolf, die mit Mythos Schönheit ebenfalls ein Standardwerk der 1990er-Jahre schrieb. Beide sind jüdisch, nordamerikanischer Herkunft, beide schreiben, beide heißen Naomi, beide haben braune Haare.
Doch Naomi Wolf driftet im Laufe der 2010er-Jahre immer mehr ab und fällt mit merkwürdigen Äußerungen auf, eine Entwicklung, die sich in der Covid-19-Pandemie verstärkt hat. Wolf wird endgültig zur rechtsradikalen Verschwörungstheoretikerin und Impfgegnerin – und in dieser Szene ein Star. Für Naomi Klein werden die Verwechslungen mit ihrer Doppelgängerin, die anfangs eher wie ein Twitter-Witz erscheinen, immer belastender.
Um ihre Doppelgängerin zu verstehen, hört sie stundenlang Steve Bannons Podcast, wo Wolf regelmäßig auftritt. Sie taucht ab in die Rabbitholes des rechtsextremen Internets mit seinen kruden Mischungen aus esoterischen Mum-Influencerinnen, christlichen Fundamentalist*innen, Trump-Verehrer*innen und veganen Köch*innen. In ihrem Buch Doppelgänger analysiert sie nun diese Spiegelwelten, wie sie sie nennt. (A Trip into the Mirror World lautet auch der Untertitel des Originals). Dabei bleibt sie aber nicht bei ihrem eigenen Unbehagen mit ihrer Doppelgängerin stehen.
Vielmehr beleuchtet sie mit Hilfe des Motivs des Doppelgängers – dessen Symbolik in Film, Literatur und Psychoanalyse sie ausführlich beschreibt – eine von rechtem Autoritarismus und Kapitalismus bedrohte Gegenwart. Klein analysiert genau, wie hilflos Linke Verschwörungsmythen („zu zu lächerlich, um ernst genommen zu werden“, „zu ernst, um lächerlich zu sein“) und Rhetoriken der Rechten gegenüberstehen, die teils linke Schlagworte übernommen zu haben scheinen, aber in ihr Gegenteil verkehren. Die Perfide an diesen Verschwörungsmythen, so Klein, sei, dass sie eben „Verrücktes mit wahrem Kern“ berühren, etwa der Angst vor „Big Tech“ und „Big Data“ einen Ausdruck gäben. Aber Fakten völlig verdrehen und mit falschen Schlüssen und Kombinationen präsentieren. Erwiesene Verschwörungen (wie etwa der Mord an indigenen Kindern in Kanada des 19. und 20. Jahrhunderts) werden dagegen kaum beachtet.
Dabei arbeitet Klein die Pandemie auf, schreibt über das Gefühl, wenn Personen, die man schätzt, in Verschwörungsmythen und nach Rechts abdriften. Halb ernstgemeint, halb humorvoll beschreibt sie die Zutaten für den Schwenk nach Rechts: „Narzissmus + Social-Media-Sucht + Midlife-Crisis + öffentliche Demütigung“. Das holt manchmal etwas weit aus – von der Geschichte der Autismus-Diagnose bis ins Rote Wien – ist aber sehr erhellend und trotz seiner Dichte spannend zu lesen. Gerade auch nach dem erneuten Sieg Donald Trumps bei der US-Präsidentschaftswahl.
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