Die fünf drängendsten medienpolitischen Themen
Die Regierungsverhandler*innen sprechen gerade auch über die Medienpolitik. Wo gibt es Gemeinsames und wo Trennendes?
Keine roten Linien ziehen, sich nichts über die Medien ausrichten, den Verhandlungen nicht vorgreifen – die Vertreter*innen von ÖVP, SPÖ und NEOS halten sich derzeit diszipliniert an die ungeschriebenen Spielregeln heikler Verhandlungen.
Über 300 Parteienvertreter*innen sollen ab heute in sieben Hauptgruppen, zwei Sondergruppen und 33 Untergruppen den Koalitionsvertrag der Dreierkoalition aushandeln. Um die Komplexität zu verdeutlichen, habe ich mir für tag eins eine Untergruppe – Medien – herausgegriffen.
Verhandelt wird das Medienkapitel als Teil der breitgefächerten Hauptgruppe „Frauen, Staat, Gesellschaft, Internationales und EU“. Vorsitz darin führen für die ÖVP Karoline Edtstadler, für die SPÖ Eva-Maria Holzleitner und für die NEOS Nikolaus Scherak sowie Stephanie Krisper.
Neben Krisper werden Mediensprecherin Henrike Brandstötter, Ex-Kurier-Chefredakteur Helmut Brandstätter, Niko Alm (Ex-Vice Geschäftsführer) und Veit Dengler (Ex-CEO der NZZ) für die NEOS in der Untergruppe Medien sitzen. Für die ÖVP werden Mediensprecher Kurt Egger, Kabinettsmitglieder der Medienministerin Susanne Raab sowie Expert*innen das Medienkapitel verhandeln. Bis Redaktionsschluss stand das Verhandlungsteam der SPÖ noch nicht fest; ORF-Stifungsrat Heinz Lederer soll jedenfalls Teil davon sein. Los geht es mit der ersten Verhandlungsrunde am Montagnachmittag.
Die fünf wichtigsten Themen:
Der ORF-Stiftungsrat
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshof im Oktober 2023 muss der Gesetzgeber die Beschickung des Stiftungsrates sowie des Publikumsrats neu regeln. Kurz zusammengefasst: Der VfGH hat bemängelt, dass die Regierung zu viele Stiftungsräte entsende und der Spielraum zu groß sei.
Die einfachste, aber unpopuläre Lösung hierfür wäre es, den Stiftungsrat zu vergrößern, aber dafür sind die NEOS nicht zu haben. ___STEADY_PAYWALL___ NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter sagt in einem Interview Anfang November: „Der jetzige Stiftungsrat ist viel zu groß und nicht handlungsfähig. Es braucht einen professionellen Aufsichtsrat, der seine Kontrollfunktion wahrnehmen kann und eine dreiköpfige Geschäftsführung.“
Momentan hat das Aufsichtsgremium mit 35 Mitgliedern eine beachtliche Größe. Das Delikate: Der Stiftungsrat wird von fünf verschiedenen Gruppen beschickt (Regierung, Parteien, Bundesländer, Betriebsrat sowie Publikumsrat) und keine davon will sich die Kontrolle über das wichtigste Medienunternehmen des Landes wegnehmen lassen. Die Verhandlungsposition der SPÖ: „Bei der ORF-Gremienreform muss aus Sicht der SPÖ die Stärkung der Unabhängigkeit des ORF das zentrale Ziel sein.“ Im Wahlprogramm wird die Umgestaltung des Stiftungsrats zu einem operativ arbeitsfähigen Aufsichtsorgan gefordert. ÖVP-Mediensprecher Kurt Egger antwortet mit einem pragmatischen Stehsatz: „Wie man das aufsetzt ist eine Frage der Koalitionsverhandlungen. Aber im Grunde hat der VfGH den Beschickungsmechanismus bestätigt.“
tag eins-Fazit: Überwindbarer Graben
Es handelt sich hier letztlich weniger um eine ideologische als eine machtpolitische Frage. Diese lässt sich relativ einfach mit anderen Zugeständnissen abtauschen. Am meisten zu verlieren bzw. zu gewinnen, haben hier die NEOS. Ihr Markenkern ist Transparenz; schon oft haben sie die Entpolitisierung des ORF gefordert.
Die Wiener Zeitung
Mit viel Getöse wurde am 30. Juni 2023 die letzte Ausgabe der republikseigenen Tageszeitung Wiener Zeitung gedruckt. Laut SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler eine „geschichtsvergessene und kulturpolitische Schande“. Damals sagte er: „Wenn wir wieder in Regierungsverantwortung sind, dann werden wir jedenfalls Mittel und Wege suchen, um die Wiener Zeitung als gedruckte Tageszeitung zurückzuholen.“ Im SPÖ-Wahlprogramm wird die WZ dann nicht mehr erwähnt und auch im schriftlichen Statement gibt es dazu nichts Konkretes.
Neos-Verhandlerin Brandstötter wünscht sich eine breite Diskussion darüber, ob der Staat ein eigenes Medium betreiben soll und falls ja, wie das finanziert und kontrolliert werden sollte. „Das Konstrukt Wiener Zeitung an sich ist nicht richtig, diese Art der Berichterstattung sollten auch andere Medien schaffen. Ob das sieben Millionen Euro Steuergeld im Jahr rechtfertigt, stelle ich in Frage“, sagt Brandstötter. Für Egger von der ÖVP ist klar, dass die gedruckte Wiener Zeitung nicht wieder kommen soll: „Die neue Redaktion der WZ hat mittlerweile bewiesen, dass sie eine sehr gute Onlineredaktion ist, deren Recherchen auch von anderen Zeitungen übernommen werden.“
tag eins-Fazit: Überwindbarer Graben
Die gedruckte Wiener Zeitung wird Geschichte bleiben. Allein aus europarechtlichen Gründen wäre es schwierig, sie als Tageszeitung wiederzubeleben; die Chancen am Lesermarkt für eine Tageszeitung sind im Jahr 2024 sowieso nicht vorhanden. Die drei Parteien werden sich hier auf eine gesichtswahrende Option namens Evaluierung und eine Schärfung des Auftrags einigen.
Medienförderung
Im Grunde haben hier alle drei Parteien viel gemeinsam: Es brauche tendenziell eher mehr und nicht weniger Förderung für Journalismus. Knapp vor der Nationalratswahl haben sich bei der Medientage-Konferenz die Mediensprecher aller drei Verhandlungspartner dafür ausgesprochen, dass mehr Mittel aus der Digitalsteuer in den Mediensektor fließen sollen. „Das Ziel muss die Stärkung des österreichischen Medienstandorts, die Sicherung der medialen Vielfalt und ein stärkeres In-die-Pflicht-Nehmen von internationalen Online-Plattformen sein“, heißt es aus der SPÖ.
„Die Hauptaufgabe muss sein, dass unabhängiger Qualitätsjournalismus und die Medienvielfalt trotz steigender Kosten erhalten bleiben“, umschreibt ÖVP-Verhandler Egger die größte medienpolitische Herausforderung. In der letzten Legislaturperiode wurde an vielen Schrauben gedreht und nun müsse man sich anschauen, was funktioniere, sagt Egger. „Wenn sich spannende Ideen – wie in der Vergangenheit mit der Podcast-Förderung – auftun, muss man darüber reden und Kriterien wie Reichweite und Qualitätsstandards formulieren“, sagt Egger.
In eine ähnliche Richtung stößt die SPÖ: „Das bestehende Förderungswesen soll ausgebaut, zugleich jedoch vereinfacht, zielgerichteter und wissenschaftlich begleitet werden.“ Der Fokus der Medienförderung soll auf Qualität, Diversität, Innovation und Erhöhung der Medienvielfalt liegen.
Grundlegender ran an die Fördertöpfe will Brandstötter: „Die Fördertöpfe sind Silos, die dazu einladen, Projekte dafür zu erfinden. Die Förderkriterien müssen strenger werden“, sagt die NEOS-Mediensprecherin. „Der Markt ist gut abgeschottet. Wer hat, dem wird gegeben.“ Ihre Lösung: „Wir müssen mehr Möglichkeiten schaffen, dass man sich ausprobiert, ohne gleich ein Geschäftsmodell zu haben.“ Dafür solle etwa auch der ORF Sendeplätze zur Verfügung stellen. Auch eine Änderung des Stiftungsgesetzes soll dafür sorgen, dass mehr Geld in Journalismus investiert wird.
tag eins-Fazit: Im Grunde ist man sich schon vorab einig.
Solange es genug Geld gibt, sind sich alle einig. Problematisch könnte es werden, wenn die Sondergruppe Budget zum Schluss kommt, dass nicht mehr, sondern weniger Geld ausgegeben werden soll.
Inserate
In der letzten Legislaturperiode fiel die sogenannte Bagatellgrenze. Im Oktober 2024 wurden erstmals alle Werbeausgaben aller öffentlichen Stellen ab dem ersten Euro in einer Transparenzdatenbank veröffentlicht. Transparenz alleine hat aber nichts geändert, die Werbeausgaben sind nach wie vor gigantisch und der Eindruck bleibt bestehen, dass sich durch Werbeschaltungen gute Berichterstattung erkauft werden kann. Es bleibt ein heikles Thema, das in dieser Legislaturperiode auch die Gerichte beschäftigen wird: In der Causa Vorarlberger Wirtschaftsbund wurde Anfang Woche von der Staatsanwaltschaft Anklage erhoben, in der Causa Inseratenaffäre laufen die Ermittlungen weiter.
Was wollen die Parteien: „In der letzten Legislaturperiode haben wir versucht, volle Transparenz darzustellen“, sagt Egger. „Jetzt gilt es, den Aufwand genau zu bewerten und die Effektivität des Ansatzes zu prüfen.“ Evaluation ist für die SPÖ vermutlich zu wenig. Im Wahlprogramm nennt sie das jetzige System „intransparent und wettbewerbsverzerrend“, insgesamt solle weniger inseriert werden und eine Obergrenze kommen.
Henrike Brandstötter stößt in eine ähnliche Kerbe: „Die Art der Vergabe und die Höhe der Kosten für Inserate tragen dazu bei, dass das Vertrauen in Medien erodiert. Wir brauchen daher eine finanzielle Obergrenze für Inserate, denn Transparenz alleine hat nichts geändert.“
tag eins-Fazit: Großer Graben
Hier müssen die Verhandler*innen noch viele Meter aufeinander zu gehen. Während das Thema für SPÖ und NEOS Gewicht hat, kommt im ÖVP-Wahlprogramm auf 270 Seiten das Wort „Inserat“ nicht einmal vor.
Medienkompetenz
Alle drei betonen die Notwendigkeit in die Medienkompetenz der Bürger*innen zu investieren. Gut möglich, dass hier sogar eines der sogenannten „Leuchtturmprojekte“ entsteht - also eines der Vorzeigeprojekte, auf das alle drei Partner stolz sind und mit dem sie in Folge gerne durch die Medien tingeln. „All hands on deck“, fordert Brandstötter. „Wir brauchen eine Kraftanstrengung aller Player, um die Medienkompetenz zu stärken.“
Konkret schlägt die ÖVP im Wahlprogramm vor, dass alle Schüler*innen ab der 7. Schulstufe über eine eigene App Zugang zu österreichischen Tages- und Wochenzeitungen bekommen sollen.
Auch der Vorschlag „Mein-Medien-Abo“ der SPÖ unterscheidet sich da nur in Nuancen: Menschen zwischen 16 und 30 Jahren sollen auf Staatskosten jährlich ein analoges oder digitales Medienabo im Wert von 150 Euro abschließen können – auch neue und innovative Angebote sollen davon erfasst sein.
tag eins-Fazit: Im Grunde ist man sich schon einig.
Die konkrete Ausgestaltung im Rahmen der Koalitionsverhandlung ist machbar, doch ähnlich wie bei Punkt 3 Förderungen könnten die Budgetnöte noch zum Spielverderber werden. In der konkreten Umsetzung warten außerdem noch einige Stolpersteine, wie etwa die Sorge der Zeitungen, dass Gratis-Schüler*innen-Abos das eigene Abogeschäft kannibalisieren oder auch die politisch heikle Frage, welche Medien als förderbar eingestuft werden.
Anmerkung der Redaktion: In einer ursprünglich Fassung wurde fälschlicherweise Alexander Schütz als Teil des Verhandlungsteams genannt. Wir bedauern den Fehler.