Der morgendliche Aufmacher-Artikel bei derstandard.at fragte am Donnerstag: „Muss SPÖ-Chef Babler bei neuen Verhandlungen zur Seite treten?“.
Im Ö1-Morgenjournal sagt SPÖ-Bundesgeschäftsführer Klaus Seltenheim: „Ganz klar, Andreas Babler ist als Chefverhandler gesetzt.“ Kurz danach sagt Abgeordneter Kai-Jan Krainer sichtlich belustigt bei Puls24, zu 100 Prozent bleibe Babler der Verhandlungsführer: „Sie werden in der SPÖ niemanden finden, der das anders sieht.“
Schon am Vorabend hatte der ÖVP-Chef Christian Stocker in der ZiB2 die Idee einzelner ÖVP-Landeschefs zurückgewiesen, dass die Volkspartei hier Forderungen stellen könne: „Jede Partei entscheide für sich, wen sie in Verhandlungen schicke.“
Warum berichten seriöse Medien trotzdem immer wieder über solche Gerüchte? Handelt es sich dabei um eine Kampagne der Medien oder von einzelnen Journalist*innen wie auf Bluesky immer wieder von User*innen insinuiert wird?
Medien sind extrem festgefahren in Storylines, glaubt der Kommunikationsexperte und Kenner der SPÖ Yussi Pick: „Dass Kickl ein brillanter Stratege sei, dass die niederösterreichische ÖVP so mächtig sei oder auch, dass der SPÖ-Vorsitzende innerhalb der Partei umstritten sei, sind Storylines, die so lange von den Medien wiederholt werden, bis sie dann auch wirklich stimmen. In der Netzsprache würde man sagen, es sind Memes.“
Solche Geschichten sind einfach zu produzieren, klicken gut und erfüllen die Erwartungshaltung des Publikums. Die SPÖ hat viele Mitglieder, die meisten sind Journalist*innen gegenüber aufgeschlossen und irgendeiner hat immer etwas zu sagen. Wenn es ins Narrativ passt, wird schon mal inhaltliche Kritik zur Kritik an einzelnen Personen hochstilisiert.
Dass solche Geschichten über Andreas Babler veröffentlicht werden, hat demnach weniger mit der SPÖ als mit der Logik des Journalismus zu tun. Es gehört heute zu den journalistischen Standards, thesengeleitet zu recherchieren und Storys zuzuspitzen. Das heißt, am Anfang einer Recherche steht oft eine Hypothese (z.B. „Babler muss zur Seite treten, damit die Verhandlungen Erfolg haben können“), die man als Journalist*in verifizieren will. In der Praxis werden dabei aber falsifizierende Beweise gerne mal unter den Tisch fallen gelassen. Denn sonst würde man sich ja die eigene Geschichte kaputt recherchieren.
Case closed, Babler sitzt fest im Sattel. Bauschen Medien also eine nicht-vorhandene Geschichte auf? Nicht ganz. Es stimmt schon auch, dass sich Bundes-SPÖ und SP-Wien nichts schenken.
Szenenwechsel in den Floridsdorfer Schlingerhof. Auf den Tag genau 91 Jahre bevor Herbert Kickl den Regierungsbildungsauftrag zurücklegt, tobte an dieser Stelle der kurze aber blutige österreichische Bürgerkrieg. Heute hat die Wiener SPÖ hier zum traditionellen Februar-Gedenken geladen. Es ist ein wichtiger Gedenktag für die Sozialdemokratie, die Sozialistische Jugend steht mit roten Fahnen Spalier, die Band spielt das Mitsinglied „Die Arbeiter von Wien”. Circa 300 Menschen sind gekommen und harren der Kälte aus – darunter der Wiener Bürgermeister, die halbe Stadtregierung, einige Nationalräte, der Floridsdorfer Bezirksvorsteher und auch Parteichef Andreas Babler.
Kurz bevor Alexander Van der Bellen der Nation das weitere Prozedere erklärt, trifft Babler in Floridsdorf ein. Es dauert lange, bis er sich nach vorne gekämpft hat: Selfies, Umarmung und Bussis haben Vorrang. Obwohl die Veranstaltung im Heimatbezirk von Michael Ludwig stattfindet, ist Babler der Held der Menge. Mit ihm will die SPÖ-Basis ein Selfie. Die Begrüßung zwischen Babler und Ludwig ist nicht gerade herzlich, ein paar Worte werden gewechselt, dann steht man mit einigen Schritten Abstand nebeneinander.
Michael Ludwig wird eine Rede halten, Andreas Babler ist nur zum Zuhören da. „Es ist nicht vorgesehen, dass der Bundesparteivorsitzende eine Rede hält“, heißt es dazu aus der Pressestelle der SPÖ Wien, der Veranstalterin. „Ungewöhnlich“, hört man nachher aus Parteikreisen. Und weiter: „Es war nicht ganz ausgeschlossen, dass Gewerkschaft und SPÖ Wien einen Move vorbereiten, dass Andreas Babler nicht wieder Chefverhandler wird. Aber es sieht so aus, als wäre das jetzt nicht durchgegangen.“
Die Storyline des schwachen SPÖ-Chefs bleibt auch weiter in der Welt, weil Ludwig, Doskozil, Bures und Co. in ihren Statements immer wieder Spekulationsräume offen lassen. Dabei wird Babler nicht direkt angegriffen, aber es wird ihm auch nicht der Rücken gestärkt. „So weit ich mich erinnern kann, hat Michael Ludwig nie mit einem Wort etwas anderes ausgedrückt, als die volle Unterstützung für Andreas Babler“, sagt Pick. Dass es sehr schwierig ist, solche medial vorgefertigten Storylines wegzubekommen, würden auch die beständigen Gerüchte über eine Comeback des ehemaligen ÖVP-Chefs Sebastian Kurz zeigen. „Selbst bei realen Begebenheiten wie Gerichtsverfahren und unzähligen Dementis bleiben solche Storylines bestehen“, sagt Pick.
Loswerden könne man ein solches Narrativ am besten mit unerwartetem Erfolg, sagt Pick. Vor zwanzig Jahren galt Alfred Gusenbauer als schwacher Parteichef, bis er überraschend die Wahl gewann. Die Storyline verschwand aus den Medien, Gusenbauer wurde zwei Jahre später trotzdem von Werner Faymann abgesägt.
Ein beliebtes Stilmittel, um den Medien und der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass die internen Kritiker*innen in Wirklichkeit hinter einem stehen, ist es, sie als Kulisse zu nutzen. Pamela Rendi-Wagner versuchte 2019 diese Inszenierung, das Bild missglückte jedoch und verbreitete sich eher unter dem Stichwort Trauerbild. Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl versuchte am Donnerstag mit einer solchen Inszenierung jede Diskussion im Keim zu ersticken und ließ sich von seinen beiden wortlosen Generalsekretären flankieren.
Könnte so ein Move jetzt auch Babler helfen? Kommunikationsexperte Pick ist skeptisch. „Ich würde behaupten, es wird immer einen Bürgermeister von Hintertupfing geben, der den eigenen Parteichef kritisiert und einen Journalisten, der gerne darüber berichtet.“ Tatsächlich hat die Kronen Zeitung einen solchen Bürgermeister in der südsteirischen 1200-Seelen-Gemeinde Tieschen schon gefunden.
Es wird sich zeigen, ob Journalist*innen dieser Art von Geschichten irgendwann überdrüssig werden. Dass ÖVP-Landeschefs just am historischen 12. Februar den Chef der SPÖ dazu auffordern, zurückzutreten, um der Volkspartei den Weg ins Bundeskanzleramt freizumachen, kann als geschichtsvergessene Dreistigkeit eingeordnet werden.
Und wie sieht das Ganze eigentlich derjenige selbst, über den hier geschrieben wird? „Die SPÖ entscheidet immer selber, wer sie vertritt“, sagt Andreas Babler schmunzelnd zu tag eins am Rande der Gedenkveranstaltung.
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