„Eine Bedrohung für das jüdische Leben in Österreich“
Mit der Forderung nach einem Verbot für rituelle Schächtungen geht die FPÖ auf Konfrontation mit der jüdischen Community.
Keine drei Wochen nach dem Massaker der islamistischen Terrororganisation Hamas vom 7. Oktober, haben Unbekannte antisemitische Parolen auf dem Campus der Universität Wien gesprayt. Sie wurden jedoch innerhalb weniger Stunden übermalt. Anstelle von „Free Palestine from Austrian guilt“ war dann etwa „Free Palestine from Hamas“ zu lesen. Das war eine Klarstellung: Es gibt die eine Linke, die sich gegen Antisemitismus stellt und die Morde der Hamas nicht als einen Akt der Notwehr oder gar des Widerstands verklärt.
Die Gruppe „Antifa Wien West“ veröffentlichte auf X, ehemals Twitter, die Übermalung der Parolen. Daraufhin meldete sich die israelfeindliche Aktivistin und ehemalige feministische Podcasterin Nicole S. zu Wort. Sie bezeichnete die Gruppe auf Instagram als „Antifa Ratten“ und schrieb von „imperialistischen Schoßhündchen“. Eine Tonalität, die auch für die andere Linke steht.
Seit Jahrzehnten wird innerhalb der Linken intensiv über Israel und Antisemitismus diskutiert, gerungen und gestritten. Daran zerbrechen Freundschaften, es kommt immer wieder zu Handgreiflichkeiten, Spaltungen oder Ausschlüssen. ___STEADY_PAYWALL___ Allerdings ist lediglich im deutschen Sprachraum eine Mehrheit der Linken pro-israelisch eingestellt. Das hat mit der intensiven Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der deutschsprachigen Linken zu tun.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass schon kurz nach dem Massaker der Hamas eine Demonstration in Wien stattfand, die sich gegen Antisemitismus, Islamismus und Rassismus stellte. Oder dass die Wiener SPÖ im November sieben Aktivist*innen der Organisation „Der Funke“ ausschloss, die auch führende Mitglieder der Sozialistischen Jugend (SJ) Alsergrund waren. Zuvor war bereits die betroffene SJ-Bezirksorganisation aufgelöst worden. Die Organisation „Der Funke“ bezieht sich vor allem auf Theorien des russischen Revolutionärs und kommunistischen Politikers Leo Trotzki. Eine Taktik von solchen trotzkistischen Gruppen ist der „Entrismus“: das gezielte Eindringen in linke Bewegungen oder Parteien, um dort Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen.
Der Hauptgrund für den Rauswurf der SJ-Aktivist*innen war ihre Haltung zur Hamas und zu Israel, denn die SJ tritt im Nahost-Konflikt für eine Zweistaatenlösung ein.
Einer der ausgeschlossenen „Funke“/SJ-Aktivisten hatte in einer Rede auf einer Pro-Palästina-Demonstration (bzw. israelfeindlichen Demonstration) Israel als Apartheid- und Terrorstaat bezeichnet, der weg müsse.
Antisemitismus begleitet die politische Linke seit ihrer Entstehung Mitte des 19. Jahrhunderts. In den Schriften von Wegbereitern und Theoretikern der Arbeiter*innenbewegung finden sich wüste antisemitische Tiraden. So schrieb der für den Satz „Eigentum ist Diebstahl“ bekannte französische Ökonom und Anarchist Pierre-Joseph Proudhon, dass Juden und Jüdinnen „Parasiten“ sowie ein „Feind der menschlichen Art“ seien und daher nur zwei Möglichkeiten blieben: „Man muss diese Rasse nach Asien verweisen oder vernichten.“
Auch in der 1843 von Karl Marx verfassten Schrift „Zur Judenfrage“ finden sich antisemitische Aussagen. In seinen späteren Schriften findet sich hingegen nichts Vergleichbares. Marx greift in seiner Analyse des Kapitalismus nicht auf personifizierte (jüdische) Sündenböcke zurück, da er ein System beschrieb.
Für die Antisemitismusforscherin Isolde Vogel, gibt es zwar „differierende politische Motivationen und Zugehörigkeiten“ das antisemitische Weltbild bleibt „aber immer das gleiche, ob es von Rechtsextremen, Islamisten, der gesellschaftlichen Mitte oder Linken“ kommt.
Unterschiede zeigen sich jedoch in der Äußerungsform von Antisemitismus, so Vogel im Gespräch. „Da ist in der Linken vor allem israelbezogener Antisemitismus zu finden, der aber beispielsweise über die „Schuldkult“-Erzählung, dem Wunsch nach Tilgung historischer Schuld und Verantwortung, auch direkt an rechte Narrative anknüpfen kann.“
Vorschub leiste ein Schwarz-Weiß-Denken: ein Weltbild, das nur Gut oder Böse kenne und aus undifferenzierter Solidarität mit den als unterdrückt wahrgenommenen, vermeintlich Schwachen, den „Guten“ bestehe, sagt Vogel.
Dies beinhaltete die Romantisierung von palästinensischem Aktivismus bis hin zur Befürwortung von Terrorgruppen wie der Hamas als „Widerstand“. „In einem solchen Weltbild wird nicht nur alles vermeintlich Unterdrückte positiv betrachtet – und seien es zutiefst antiemanzipatorische Gruppen oder terroristische Massaker –, die vermeintliche Gegenseite wird zugleich als absolut Böses erklärt“, sagt Vogel.
Der israelbezogene Antisemitismus ist spätestens seit 1967 ein Thema. Die Gründung Israels im Jahr 1948 wurde seitens der österreichischen Linken noch größtenteils begrüßt. Die KPÖ unterstützte zunächst die Gründung des einzigen jüdischen Staates der Welt, auch weil sie Israel als Heimstätte der Überlebenden der Shoah sah. Das war auch die Linie der Sowjetunion, die die Gründung Israels massiv unterstützte und sich so als Kämpferin gegen Kolonialismus und Rassismus darstellte.
Im Jahr 1967 kam es allerdings zum Bruch, als Israel einen Präventivkrieg (Sechstagekrieg) gegen arabische Staaten führte und in dessen Verlauf die Kontrolle über den Gazastreifen, die Sinai-Halbinsel, die Golanhöhen, das Westjordanland und Ostjerusalem erlangte. Aus den von Israel eroberten Gebieten flohen zwischen 175.000 (israelische Schätzung) und 250.000 (jordanische Schätzung) Palästinenser*innen, teils aufgrund von Vertreibungen.
Da die Sowjetunion mittlerweile an der Seite arabischer Staaten stand, diesen auch Waffen und Berater*innen schickte, änderte die KPÖ ihre Politik – sie orientierte sich ja an Moskau. Wie die damals gerade entstandene „Neue Linke“ solidarisierte sich auch die KPÖ nach dem Sechstagekrieg mit den Palästinenser*innen und deren Kampf gegen Israel. Deren Widerstand, darunter auch terroristische Aktionen, wurde als „revolutionär“ und „antiimperialistisch“ betrachtet. Der Zionismus, dessen Ziel die Errichtung eines eigenen sicheren jüdischen Staates ist, wurde mit dem Faschismus gleichgesetzt. Ein Bild, das sich teilweise bis heute bei diversen Splittergruppen gehalten hat, ebenso die Sprache, die nicht von „Juden oder Jüdinnen“ oder „Israelis“, sondern von „den Zionisten“ spricht.
Mit der sogenannten Palästina-Solidarität ging einher, dass Israel bis weit in die Reihen der SPÖ zum Feindbild wurde. Verstärkt wurde dies durch die Außenpolitik des SPÖ-Bundeskanzlers Bruno Kreisky, der sich in den 1970er- und 1980er-Jahren für die Anliegen der Palästinenser*innen engagierte und die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO im Westen salonfähig machte. Dadurch verschlechterten sich die Beziehungen zu Israel zusehends.
Zum linken Lifestyle gehörte es über Jahre das Tragen eines schwarz-weißen sogenannten Palästinensertuchs, um damit Kritik an Israel zu zeigen. Die Linke solidarisierte sich mit Steine werfenden Jugendlichen in den von Israel besetzten Gebieten. Manche verwendeten damals nicht einmal das Wort „Israel“, sondern sprachen vom „zionistischen Gebilde“, erzählt der Publizist Robert Misik, der in den 1980er-Jahren in linksradikalen Gruppen aktiv war.
Im Jahr 1986 leitete die Kandidatur und Wahl von Kurt Waldheim (ÖVP) zum Bundespräsidenten nicht nur eine Diskussion über die NS-Vergangenheit Waldheims und Österreichs ein, sondern machte auch allgegenwärtigen Antisemitismus zum Thema. Dies führte auch dazu, dass sich viele Linke mit Antisemitismus stärker auseinandersetzten, sagt Misik. Auch die Feindschaft zu Israel wurde in Frage gestellt.
Anfang der 1990er-Jahre wurde linker Antisemitismus in Deutschland und Österreich verstärkt ein Thema. Hintergrund waren der Zerfall der Sowjetunion, die damit verbundene Wiedervereinigung Deutschlands und vor allem der Zweite Golfkrieg. Als der irakische Diktator Saddam Hussein Raketen während des Krieges auf Israel feuern ließ und das offizielle Deutschland Israel aufforderte, nicht zurückzuschlagen, solidarisieren sich ein Teil der Linken in Deutschland und Österreich mit Israel. Angesicht der israelischen Politik gegenüber den Palästinenser*innen führte das zu heftigen Zerwürfnissen unter Linken.
Die deutsche Zeitschrift Konkret, seit Jahrzehnten ein linksradikales Leitmedium, verlor tausende Abonnent*innen, nachdem sie sich an die Seite Israels stellte. „Erst aus der Niederlage wird man schlau, das gilt auch hier: Der Kollaps des realen Sozialismus und die Wiederherstellung Superdeutschlands haben in der davon übrig gebliebenen Linken ein Einsehen befördert, das mit manchen alten Gewissheiten und schlechten Gewohnheiten zu brechen versprach“, schrieb der verstorbene „Konkret“-Herausgeber Hermann Gremliza im Jahre 2001. „Auch der Zusammenhang von Antizionismus und Antisemitismus wird seither in weiten Teilen der Linken zumindest kritisch gesehen.“
Das war die Geburt einer Strömung, die sich „Antideutsche“ nannte, eine Anlehnung an Karl Marx, der in einer seiner Schriften „Krieg den deutschen Zuständen!“ forderte. Kennzeichen der „Antideutschen“ ist eine intensive Auseinandersetzung mit Antisemitismus und der Israel-Feindschaft der Linken. Wie schon die Sowjetunion bei der Gründung Israels, sehen „Antideutsche“ Israel als Heimstätte von Shoah-Überlebende. „Die Antideutschen waren Nervensägen, aber sie haben die linke Szene in Deutschland dazu gebracht, ihre Positionen zu überdenken“, hielt „Die Zeit“ unlängst in einem Artikel fest.
1996 fand die Diskussion eine Fortsetzung, nachdem Daniel Goldhagen sein Buch „Hitlers willige Vollstrecker – Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust“ veröffentlichte. Darin geht er der Frage nach, warum und wie die Shoa geschah und was ihn ermöglichte. Seine Antwort: Hitler und die Deutschen verunglimpften, verfolgten und vernichteten die Juden und Jüdinnen aus eliminatorischem Antisemitismus heraus. Die Deutschen wurden nicht gezwungen, Juden und Jüdinnen zu töten; sie taten es freiwillig, sie waren willige Vollstrecker.
Damit löste Goldhagen eine öffentliche Debatte aus, da seine Thesen bis dahin kaum thematisiert wurde. Schon gar nicht in Österreich, wo die Lüge, das erste Opfer Hitlers gewesen zu sein, erst im Jahr 1991 von offizieller Seite aufgegeben wurde. Damals übernahm der SPÖ-Bundeskanzler Franz Vranitzky vor dem österreichischen Nationalrat eine „moralische Mitverantwortung“ Österreichs für die unter Beteiligung zahlreicher Österreicher*innen begangenen Verbrechen während der NS-Zeit.
Die Goldhagen-Debatte sorgte erneut dafür, dass sich die Linke in Österreich und Deutschland intensiv mit Antisemitismus und der Shoa auseinandersetzte. Seither spielt die nationalsozialistische Vergangenheit in den Ländern und die aktive Beteiligung der Bevölkerung an der Vernichtung der Juden und Jüdinnen eine zentrale Rolle bei Diskussionen über Antisemitismus und Israel.
So verlor die israelfeindliche Linke zunehmend an Einfluss. Trotzdem sind manche dieser Aktivist*innen seit über 40 Jahren zur Stelle, wenn es gegen Israel geht. Eines ihrer Sammelbecken ist die Antiimperialistische Koordination (AIK), deren Sprecher Wilhelm Langthaler einer Rede erklärte, dass es ohne Israel keinen Konflikt im Nahen Osten geben würde.
Die mit der AIK personell eng verzahnte Palästina Solidarität Österreich (PSÖ), nannte in einem Aufruf zur Teilnahme an einer ihrer Kundgebungen das Massaker der Hamas als „eine Aktion“, mit der sich „Palästinenser*innen gewehrt“ hätten.
Trotz weitgehender politischer Isolierung schaffen es diese Aktivist*innen, Jugendliche mit ihren Demonstrationen anzusprechen.
Das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) hat bereits im Jahr 2003, also vor über 20 Jahren, „Antisemitismus im linken Gewand“ bei der AIK verortet. Es seien „Gruppen wie die AIK“, die „mit ihrer ,antizionistischen‘ Agitation den Antisemitismus schüren“, heißt es in einem Dossier. Ihre Gefährlichkeit liege darin begründet, „dass sie im Unterschied zu Rechtsextremen dies jedoch in Abrede stellen und so bei Menschen Gehör finden, die sich ansonsten solch einer Propaganda verschließen würden“. Im „linken Mäntelchen“ sei das Ressentiment von vielen nicht so rasch als solches zu erkennen.
In den vergangenen Jahren fielen Aktivist*innen der AIK durch die Unterstützung Russlands auf – auch nach dem Überfall auf die Ukraine. Über ihre Homepage verkauft die AIK Aufkleber, die zum Boykott israelischer Produkte auffordern.
Dem Boykott Israels haben sich auch Aktivist*innen verschrieben, die sich hinter dem Label BDS sammeln. Die Abkürzung steht für „Boycott, Divestment and Sanctions“. In Österreich sind BDS-Aktivist*innen auch im Verein Dar-al-Janub aktiv. Ziel der BDS-Bewegung ist, den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch zu isolieren. BDS setzt unter anderem auf den Boykott israelischer Produkte und will verhindern, dass Künstler*innen in Israel auftreten.
Die BDS-Bewegung wurde im Juli 2005 gegründet. Es ist keine feste Organisation, sondern ein loser, internationaler Zusammenschluss von 172 Akteur*innen, die eine gemeinsame Agenda verfolgen. BDS wird von islamistischen Terrorgruppen wie der Hamas sowie dem Islamistischen Jihad unterstützt, und viele BDS-Aktivist*innen sprechen Israel das Existenzrecht ab.
Selbst bezeichnen sich die Aktivist*innen der BDS als links. Allerdings wollen nur wenige linke Organisationen etwas mit ihnen zu tun haben. Die BDS-Boykottkampagnen erinnern die steirische KPÖ „an die widerwärtige ,Kauf nicht beim Juden‘-Propaganda der Nazis“, wie sie öffentlich bereits vor Jahren klar stellte. Auch antifaschistische Gruppen stellen sich ihnen bei öffentlichen Auftritten in den Weg. Diese Gegenproteste sind der Hauptgrund, warum die AIK und BDS in Österreich kaum eine Rolle spielen. Zuletzt sagte die Universität Wien eine Vortragsreihe mit BDS-Aktivist*innen ab.
Neben BDS und den Antiimperialisten, tauchte in den vergangenen Jahren eine weitere israelfeindliche Strömung auf: Postkoloniale Aktivist*innen, die vielfach auf US-Universitäten zu finden sind oder etwa auch auf der privaten „Central European University Vienna“. Vereinfacht gesagt werden die in Israel lebenden Juden und zu privilegierten weißen Quasi-Kolonialist*innen erklärt, die von der Unterdrückung der Palästinenser*innen profitieren. Dabei wird die Geschichte Palästinas, das Agieren der Kolonialmacht England und die Shoa ausgeblendet.
„Postkoloniale Akteur*innen sind eher akademisch anschlussfähig und beziehen sich auf postmoderne Theorie, fokussieren stark auch auf einen rassismuskritischen Standpunkt, betonen die Betroffenenperspektive und identifizieren sich mit den Unterdrückten, und agieren meist vornehmlich im akademischen Rahmen“, sagt Antisemitismusforscherin Vogel.
Durch ihren meist akademischen Hintergrund unterscheiden sie sich von Gruppen wie der AIK und „Der Funke!“. Neben den natürlich gerade aktuell gemeinsamen Tätigkeiten und dem Aktivismus auch auf der Straße gibt es hier „aber auch nicht zu vernachlässigende inhaltliche Überschneidungen im Weltbild, abseits des Antisemitismus.“ Die konkreten Vorwürfe gegen Israel (etwa einen Genozid zu begehen oder Kolonialpolitik zu betreiben) und der Antisemitismus (etwa die genannten Vorwürfe, aber auch die Infragestellung des Existenzrechts des jüdischen Staats), „sieht meiner Wahrnehmung nach aber sehr ähnlich aus“.
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