ABER was ist mit China?
Klimaschutz ist eh irgendwie gut. Darauf können sich die meisten Menschen einigen. Trotzdem flüchten sich viele in Ausreden, wenn es um konkreten Klimaschutz geht. Der Psychologe Thomas Brudermann nimmt diese Ausreden in unserer neuen Serie unter die Lupe. Den Anfang macht der Aber-Hans.
Er begegnet uns im Internetforum, bei der Familienfeier oder sogar beim ORF-Sommergespräch. Er gibt sich in Zeiten von Starkregen und Waldbränden als grundsätzlich problembewusst, wenn es um Klimawandel geht. Für ernstgemeinte Handlungsbereitschaft und Akzeptanz sinnvoller Maßnahmen reicht es dann aber doch nicht. „Ich bin ja für Klimaschutz. ABER …!“ sagt er dann.
Ich nenne diesen Ausreden-Stereotyp gerne „Aber-Hans“. Ein sehr beliebtes ABER ist der Blick nach Asien: „ABER was ist mit China? Und mit Indien? So wie die sich entwickeln, nützt es doch gar nichts, wenn wir hier anfangen.“
Aus psychologischer Sicht ist das „Aber-China“-Argument verlockend, weil es dem Status Quo und somit unserer Aversion gegen Veränderungen dient, garniert mit einer Portion gefühlter Unfairness: Wir sollen für den Klimaschutz Einschnitte in Kauf nehmen, ABER China setzt auf Wachstum!? Angesichts der Größe und Bedeutung Chinas kann sich dann auch gefühlte Macht- und Hilflosigkeit einstellen, was Gift für jegliche individuelle Motivation ist.
„Woanders ist es schlimmer, also müssen wir nichts machen“
Und noch eine Erklärung hat die Psychologie parat: das Phänomen der Umwelt-Weitsichtigkeit. Demnach empfinden wir Umweltprobleme in anderen Staaten als problematisch, bei Autolawinen, Bodenversiegelung und Biodiversitätsverlust hierzulande legen wir aber eine gewisse Ignoranz an den Tag. Die sich daraus ableitende praktische Logik lautet: „Woanders ist es viel schlimmer, aber da können wir nichts machen. Bei uns ist es nicht so schlimm, da müssen wir nichts machen.“
Manche Entwicklungen in China sind ohne Frage problematisch, Stichwort Kohlekraftwerke. Dass es auch in China Positiventwicklungen gibt, kommt im europäischen Diskurs hingegen kaum an: Erneuerbare Energien werden massiv ausgebaut, die Abgasnormen sind mittlerweile strenger als in Europa. Mit Umwelt-Weitsicht übersehen wir auch, dass China (aktuell etwa 1,4 Milliarden Einwohner*innen) historisch gesehen weit weniger emittiert hat als die USA und auch nicht mehr als die EU-27. Derzeit sind die Pro-Kopf-Emissionen in China ungefähr auf dem Level von Deutschland und Österreich, wenn man nach dem Ort geht, wo Güter produziert werden. Geht man nach dem Ort, wo die produzierten Güter konsumiert werden, liegt China bei sieben Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr und damit hinter Deutschland und Österreich mit neun bis zehn Tonnen.
Solche Rechenspiele bringen uns am Ende aber ohnehin nicht weiter. Für sich kann jedes Land und jeder Mensch sagen: Mein Beitrag ist klein, ich muss nichts ändern, die anderen müssen zuerst, denn die sind ja auch keine Musterschüler*innen. Das ist der Aber-Hans in Reinform. Die Logik des Aber-Hans fährt uns beim Klimaschutz den Karren an die Wand.
Auf andere zeigen ist bequem
Die Kurve kriegen wir nur, wenn wir die Klimakrise als globale Herausforderung verstehen, die uns alle betrifft und uns alle fordert. Irgendwer muss anfangen – sonst funktioniert der Fortschritt nicht. Der Wohlstand der privilegierten Länder, zu denen wir zweifelsfrei zählen, fußt auf dem Einsatz fossiler Energieträger.
Die eigene Mitverantwortung kleinzureden und stattdessen auf andere zu zeigen, ist bequem. Für das gemeinsame Ziel – den Planeten einigermaßen bewohnbar zu halten – ist es destruktiv. Konstruktiver Klimaschutz gelingt nur, wenn wir nicht zuerst nach den Versäumnissen anderer fragen, sondern danach, welchen Beitrag wir leisten können und wie wir möglichst viele andere dabei mitnehmen. Ohne Wenn und Aber.
Thomas Brudermann ist Psychologe und Professor für Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Graz. Sein Buch „Die Kunst der Ausrede. Warum wir uns lieber selbst täuschen, statt klimafreundlich zu leben“ ist 2022 erschienen.
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