Wie Krieg die Klimakrise beeinflusst
„Würde das Militär als Land gezählt, wäre dieses Land selbst in Friedenszeiten der global viertgrößte Emittent nach den USA, China und Indien“ sagt der Klimaforscher Lennard de Klerk. Bild: Mykyta Ivanov / iStock
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Thomas Krumenacker
Reporter

Wie Krieg die Klimakrise beeinflusst

Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten bringen Tod und Leid für Hunderttausende Menschen. Sie sind zugleich Umweltkatastrophen von gigantischem Ausmaß. Erstmals versuchen Forscher*innen, die Klimafolgen beider Konflikte zu berechnen.



Gleich zwei Kriege erschüttern Europa und die Nachbarregion Nahost. Neben Zehntausenden Toten und unermesslichem menschlichen Leid sind die gewaltsam ausgetragenen Konflikte in der Ukraine und im Gaza-Streifen auch Umweltkatastrophen von gigantischem Ausmaß. Zehntausende Bomben und Raketen verseuchen Böden, Flüsse und Quellen. Brände verwüsten ganze Ökosysteme. „Unsere Umwelt ist ein stummes Opfer dieses Krieges“, sagt der ukrainische Umweltminister Ruslan Strilets. „Jeden Tag leidet die Natur unter Angriffen und jeden Tag werden riesige Mengen an giftigen Schadstoffen in die Luft ausgestoßen, gegen die die gesamte zivilisierte Welt andernorts kämpft.“

In der Ukraine erfasst die Regierung das Ausmaß der Angriffe und ihre Folgen für die Umwelt vom ersten Tag des russischen Angriffskriegs an akribisch – auch deshalb, weil sie die Kosten dafür eines Tages den Machthabern in Moskau vor einem internationalen Tribunal in Rechnung stellen will. ___STEADY_PAYWALL___ Strilets beziffert den Schaden durch Umweltzerstörung auf 100 Millionen Euro – pro Tag. Mindestens 60 Milliarden will man nach dem Krieg von Russland allein für mehr als 4.000 von der Ukraine als Ökozid bezeichnete Fälle von Umweltverbrechen einklagen.

Kann man über die Klimakosten eines Krieges sprechen, ohne zynisch zu sein?

Noch deutlich höher dürfte diese Summe ausfallen, wenn die Rechnung einer weiteren Konsequenz des Krieges präsentiert wird: die der Klimakosten durch den Konflikt. An beiden Kriegsschauplätzen, in der Ukraine und im Nahen Osten, haben sich in den vergangenen Monaten Wissenschaftler*innen daran gemacht, die Auswirkungen der Konflikte auf den Kampf gegen die Erderhitzung zu ermitteln.

„Klimaforschung über den Krieg zu betreiben, wenn gleichzeitig jeden Tag Menschen darin sterben – das kann schnell kaltherzig wirken und auch ich war unsicher.“ Lennard de Klerk, Klimaforscher

Aber kann man angesichts des menschlichen Leids die Auswirkungen der Konflikte auf Umwelt und Klima in den Mittelpunkt rücken, ohne zynisch zu wirken oder das Leid zu relativieren? Diese Frage hat sich auch Lennard de Klerk gestellt. Der niederländische Klimaforscher versucht seit Kriegsbeginn in der Ukraine, die Folgen des Konflikts für das Weltklima zu bilanzieren. „Klimaforschung über den Krieg zu betreiben, wenn gleichzeitig jeden Tag Menschen darin sterben – das kann schnell kaltherzig wirken und auch ich war unsicher“, sagt de Klerk im Gespräch. Aber ukrainische Kolleg*innen hätten ihn von Anfang an bestärkt und Zusammenarbeit angeboten. „Wir wollen zeigen, welchen Schaden der Krieg der ganzen Welt zufügt“, zitiert er seine Kolleg*innen.

„Die Emissionen aus beiden Kriegen sind enorm und müssen stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gelangen“, sagt auch der Klimageograf Benjamin Neimark von der Queen Mary University of London im Gespräch. Gemeinsam mit Kollegen*innen hat er untersucht, wie viele klimaschädliche Treibhausgase als Folge des Gaza-Krieges nach dem Überfall von Hamas-Terroristen auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres freigesetzt wurden. Ein Team um den niederländischen Klimaforscher Lennard de Klerk hat unterdessen eine Kohlenstoff-Bilanz der ersten beiden Jahre des Krieges in der Ukraine vorgelegt. Beide Forscherteams arbeiten gerade an Aktualisierungen ihrer Analysen.

„Die endgültige Bilanz können wir zwar erst nach dem Ende der Kämpfe ziehen“, sagt Neimark. Schon jetzt sei aber klar: „Die Klimakosten bewaffneter Konflikte und der militärischen Apparate in Friedenszeiten sind viel zu groß, als dass wir sie weiter ignorieren dürfen.“

Was zählen, was nicht?

Die Analyse der Klimafolgen von Kriegen quasi in Echtzeit ist wissenschaftliches Neuland. Armeen sind notorisch öffentlichkeitsscheu, Details zum militärischen Vorgehen – wie viele Panzer, Flugzeuge, Soldaten und Bomben werden eingesetzt? Wieviele Gebäude zerstört? – unterliegen der Geheimhaltung. Eine weitere Herausforderungen besteht in der Festlegung dessen, was eigentlich unter den Begriff der kriegsbedingten Klimakosten gezählt werden soll. Weil die Forschung so neu ist, gibt es noch keine einheitliche Methodik, um zu bestimmen, wo die Grenzen kriegsbedingter Emissionen gezogen werden sollen. „Wir sind Pioniere – die Kartierung der Kohlenstoffemissionen eines größeren Konflikts ist noch nie zuvor systematisch durchgeführt worden, geschweige denn während er noch läuft“, sagt de Klerk.

Die Autoren beider Analysen entschieden sich konservativ vorzugehen und eine enge Definition kriegsbedingter Emissionen zu wählen. So werden in der Gaza-Studie der Treibhausgas-Ausstoß durch die absehbar monate- oder sogar jahrelange Versorgung der Zivilbevölkerung aus der Luft oder durch eine große Flotte aus (im besten Fall) hunderten LKW pro Tag ebensowenig einberechnet wie die Treibhaus-Kosten der Pendel-Diplomatie von Heerscharen von Politiker*innen und Diplomat*innen in der Krisenregion. „Irgendwo müssen wir eine Grenze ziehen“, sagt Neimark. Anderes müsse wegen fehlender Informationen je nach Datenlage ausgespart bleiben. So wurden in der Gaza-Studie die Klimafolgen durch die vielen Brände nicht erfasst, in der Untersuchung zur Ukraine spielen sie eine gewichtige Rolle.

Ukraine-Krieg: So viel Emissionen wie ein ganzes Industrieland im Jahr verbraucht

Für die ersten zwei Kriegsjahre in der Ukraine errechneten die Forschenden kriegsbedingte Treibhausgasemissionen von 175 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten – mehr als die jährlichen Emissionen eines hoch industrialisierten Landes wie den Niederlanden.

Ein beträchtlicher, aber bei weitem nicht der größte Teil der Emissionen entfällt auf unmittelbare Kriegshandlungen: Treibstoffverbrauch für Panzer und Laster, Herstellung und Einsatz von Waffen und Munition und der Bau kilometerlanger Befestigungsanlagen aus Stahl und Beton an der Front schlagen mit 37 Millionen Tonnen CO₂ zu Buche. Damit macht der „heiße Krieg“ rund ein Viertel aller kriegsbedingten Treibhausgasemissionen aus.

Indirekte Effekte sind noch größer. Allein die mehr als 130.000 durch Beschuss ausgebrochene Brände verursachten 22 Millionen Tonnen Emissionen – mehr als die gesamte Volkswirtschaft Litauens pro Jahr verbraucht. Großräumige Umleitungen des zivilen Flugverkehrs um das Kriegsgebiet herum tragen mit weiteren 18 Millionen Tonnen zur Bilanz der indirekten Kriegsfolgen für das Klima bei.

Der größte Teil der kriegsbedingten Klimagase entsteht aber erst noch, wenn die Waffen schweigen. 55 Millionen Tonnen CO₂ werden beim Wiederaufbau der zerstörten Städte, Dörfer und Infrastruktur entstehen. Das entspräche einer Jahresproduktion der besonders klimaschädlichen Stahlproduktion in Deutschland.

Wie in der Ukraine verursachen auch im Gaza-Krieg die direkten Kriegshandlungen den kleineren Teil der Emissionen. Der Bau militärischer Infrastruktur wie die 65 Kilometer lange israelische Sperranlage zum Gaza-Streifen und das hunderte Kilometer lange Tunnelsystem der Hamas schlägt deutlich stärker zu Buche. Den Löwenanteil der Emissionen wird auch im Gazastreifen der Wiederaufbau verursachen. Allein für die 100.000 zerstörten Gebäude errechnete Neimarks Team Emissionen von 30 Millionen Tonnen CO₂. Das entspreche dem CO₂-Ausstoß Neuseelands.

Das „schmutzige Geheimnis des Militärs“

Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten rücken die militärisch verursachten Emissionen in das Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung. Doch auch ohne Krieg ist der Treibhausgasausstoß durch die Streitkräfte enorm. „Das schmutzig Geheimnis ist, dass die Armeen in Friedenszeiten noch viel mehr Treibhausemissionen produzieren als im Krieg“, sagt Forscher Neimark. Auch sein Kollege de Klerk sieht die Treibhausgasemissionen durch „heiße Kriege“ nur als die Spitze des Eisberges an. „Die Emissionsspitzen während akuter Konflikte können sehr intensiv sein, aber über die Zeit betrachtet sind sie nicht konstant.“ Patrouillen- und Aufklärungsflüge, Manöver, Kasernenbetrieb und beständige Verschiebungen von Munition, Material und Soldaten rund um den Globus fänden dagegen an 365 Tagen im Jahr statt und machten die Armeen zu einem der wichtigsten Treibhausgasemittenten überhaupt.

Armeen sind der viertgrößte Treibhausgasemittent weltweit

In einer 2022 veröffentlichten Studie kommen Konfliktforscher*innen zu dem Ergebnis, dass die Armeen der Welt auch in Friedenszeiten für 5,5 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind – fast doppelt so viel wie die zivile Luftfahrt. „Würde das Militär als Land gezählt, wäre dieses Land selbst in Friedenszeiten der global viertgrößte Emittent nach den USA, China und Indien“, illustriert Klimaforscher de Klerk den Wert.

In den Berechnungen des globalen Treibhausgasausstoßes und in den Strategien zum Erreichen der Klimaneutralität fehlt dieser dicke Brocken aber weitgehend.

Zwar fordern einige Wissenschaftler seit langem, die Klimafolgen des Militärbetriebs in Friedenszeiten und Kriegen stärker in den Blick zu nehmen. Die Meldung militärischer Emissionen ist im Rahmen der Klimarahmenkonvention aber freiwillig. Diese Sonderstellung wurde schon im Kyoto-Protokoll gewährt und auch im Pariser Klimaabkommen 2015 nicht verändert. Begründet wird sie mit dem Argument, dass Daten über den Energieverbrauch von Armeen sicherheitsrelevant seien.

„Die Armeen verstecken sich seit Jahrzehnten hinter Geheimhaltung und nationaler Sicherheit“, sagt Neimark. Sicherheitspolitisch sieht er darin keinen Sinn. „Wir kennen die Waffensysteme und ihren Treibstoffverbrauch, es gibt keine versteckte Superwaffe, die dadurch bekannt würde, dass die Armee ihre Treibausgasemissionen offenlegen müsste“, argumentiert der Forscher. „Es ist völlig klar, dass es darum geht, dass das Militär sich nicht im Verbrauch von Treibhausgasen beschränken lassen will.“

„Pariser Klimaziel ohne Militär nicht zu erreichen“

Bislang blieben Appelle zahlreicher Klimaforscher an das Sekretariat der Klimarahmenkonvention UNFCCC erfolglos, alle militärischen Emissionen angesichts ihrer Bedeutung in die verbindlichen Berichtspflichten der Staaten aufzunehmen. Auch das UN-Umweltprogramm UNEP stellt in einem aktuellen Report fest, dass Emissionen aus militärischen Aktivitäten im Rahmen der UNFCCC nur unzureichend berücksichtigt würden. Allerdings wächst der Druck, den blinden Fleck zu beseitigen. So verabschiedete das Europaparlament im Vorfeld der letzten Weltklimakonferenz COP28 eine Entschließung, in der eine transparente Bilanzierung der militärischen Emissionen gefordert wird.

Neimark kann aber bei vielen Regierungen bis heute kein großes Interesse ausmachen, die militärischen Emissionen stärker in den Blick zu nehmen. „Sie zu ignorieren, hilft ihnen, ihre Klimaziele einhalten zu können.“ Auch der Weltklimarat IPCC sei zu passiv in dieser Angelegenheit, kritisiert Neimark. „Dabei ist es eine Farce anzunehmen, dass das Pariser Klimaziel einer Erderwärmung unter zwei und möglichst unter 1,5 Grad ohne den Beitrag des Militärs erreicht werden kann“, sagt der Forscher.

„Zeitenwende“ wird Folgen für das Klima haben

„Ohne den Militärsektor werden wir die Paris-Ziele nicht erreichen können“, sagt auch Klimaforscher de Klerk. „Man käme auch nicht auf die Idee, den gesamten zivilen Flugsektor zu ignorieren.“

Der Klimaforscher weist auf eine weitere Folge des Krieges in der Ukraine für das Klima hin: Die Emissionen des Ukraine-Krieges alleine veränderten die globale Lage an der Klima-Front mit einem Beitrag von 0,2 oder 0,3 Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes für sich betrachtet zwar nicht grundlegend, sagt er. Dennoch seien die Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine und die dadurch ausgelöste „Zeitenwende“ enorm.

„Es ist klar, dass der Militärsektor insgesamt angesichts der politischen Lage in der Welt deutlich wachsen wird.“ Ob 100-Milliarden-Programm der Bundeswehr, der steigende Druck auf die Nato-Mitglieder, ihr 2-Prozent-Ziel für Rüstung zu erreichen oder die Umstellung der russischen Produktion auf Kriegswirtschaft: All das bleibe ebenso wie die steigende Rivalität zwischen China und den USA auch für den Klimabeitrag der Armeen nicht ohne Folge.

Niemand könne sagen, wie stark der Anteil am Treibhausgasausstoß in Folge steigender Militär-Bugets steigen werde. „Von 5,5 Prozent vielleicht auf zehn Prozent oder noch höher - wir wissen es nicht“, sagt de Klerk. „Aber wir wissen, dass wir wir am Ende auf Netto Null kommen müssen.“ Dabei ist es auch für den Klimaforscher klar, dass auch bei größter Anstrengung nicht alle militärischen Bereiche dekarbonisiert werden könnten. „Aber das müssen wir dann mit Kohlenstoffsenken kompensieren.“

Natürlicher Klimaschutz für die Ukraine?

Umgerechnet in aktuelle Kohlenstoffpreise ergäben die bisherigen Klimakosten eine Rechnung von rund 10 Milliarden Dollar an Aggressor Russland, rechnet de Klerk vor. Er schlägt vor, dass die Ukraine diese Summe - sollte sie sie je erhalten – dafür ausgibt, die ökologischen und Klimaschäden zu reparieren.

Naturbasierte Lösungen wie ökologische Wiederaufforstungen seien der nahe liegende und konkreteste Weg, den Schaden an Natur und Klima wenigstens in Teilen zu kompensieren. „Wir können die Uhr nicht zurückdrehen – aber mit der Wiederaufforstung lebendiger Wälder können wir einen Teil der Schäden wiedergutmachen und dafür sorgen, dass künftig wieder Kohlenstoff gespeichert werden kann“, sagt de Klerk. Wenn das mit einer ökologischen Vielfalt klimaresilienter Baumarten statt mit Monokulturen aus Nadelbäumen geschehe, könne Kohlenstoff dauerhafter gebunden werden und auch der durch den Krieg geschundenen Artenvielfalt geholfen werden.

Dieser Text ist zuerst bei Riffreporter erschienen.

Autor*in: Thomas Krumenacker

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