Entwicklungshilfe für Österreich
Sie sind die Retterinnen der österreichischen Pflege, und das schon seit Jahrzehnten: migrantische Pflegekräfte, u.a. aus Asien. Auch im aktuellen Pflegenotstand gelten sie als Hoffnungsträger. Doch ein Blick in die vergessene Geschichte der Pflegemigration zeigt viele Fehler, die sich zu wiederholen drohen.
Es ist Winter in Frankfurt am Main, als nach einer fast 24-stündigen Reise 128 Koreanerinnen aus dem Flugzeug steigen. Auf der Landebahn werden die Frauen von einem Transparent auf Koreanisch und Deutsch begrüßt: „Willkommen in Frankfurt Deutchland“. Vor lauter Eile hat man auf das „S“ im Namen vergessen – was aber erst später auffällt, als das Foto der Ankunft in den Zeitungen erscheint. Doch dies tut der Erleichterung keinen Abbruch. Hauptsache, die Krankenschwestern sind endlich da! Es ist das Jahr 1966.
Asiatische Gastarbeiter*innen in der Pflege
Ob in Deutschland, Österreich oder der Schweiz – schon damals war von einem „Pflegenotstand“ die Rede, der durch den Einsatz migrantischer Arbeitskräfte entschärft werden sollte. Nicht nur in Korea, auch in Indien, den Philippinen und anderen Ländern wurde Personal für Krankenhäuser und Pflegeheime angeworben. Nachdem sich die Stadt Wien das deutsche Anwerbeprogramm zum Vorbild genommen hatte, kamen im August 1972 die ersten 50 koreanischen Krankenschwestern und "Schwesternhelferinnen", wie sie damals genannt wurden, in Schwechat an. Doch sie waren nicht die ersten, die als „Gastarbeiterinnen“ geholt und in den hiesigen Spitälern eingesetzt wurden: Schon 1965 linderten diplomierte Krankenschwestern aus Indonesien den Personalmangel im heimischen Gesundheitswesen.
Vielfach galten die damaligen Anwerbeabkommen mit den armutsbetroffenen, oftmals autokratisch regierten Staaten Asiens (Korea etwa galt zu jener Zeit als sogenanntes Dritte-Welt-Land) als „Entwicklungshilfsmaßnahme“ des Westens.___STEADY_PAYWALL___ „Doch wer half hier wem?“, fragt die Koreanische Frauengruppe, ein aktivistischer Zusammenschluss ehemaliger Krankenschwestern in Deutschland. Sie konstatiert: „Die asiatischen/koreanischen Fachkräfte leisteten einen Beitrag zur Sicherung und zur Entwicklung der deutschen Gesundheitsversorgung. Das ‚Korea-Programm‘ ist deshalb eher als eine umgekehrte Entwicklungshilfe für das deutsche Gesundheitswesen zu verstehen.“
Pflegemigration: eine vergessene Geschichte
Bis heute sind es vor allem Migrant*innen, die die Krise in der Pflege auffangen. Dennoch lässt die öffentliche Debatte einen Perspektivwechsel vermissen, wie ihn die Koreanische Frauengruppe einmahnt. Ohnehin hat sich das Vokabular in Hinblick auf migrantische Pflegekräfte nur wenig geändert: War vor einigen Jahrzehnten bei den asiatischen Krankenpflegerinnen euphemistisch von den „gelben Engeln“ die Rede, werden gegenwärtig die 24-Stunden-Betreuerinnen aus osteuropäischen Ländern als „Hausengel“ beworben. Bei letzteren ist die Arbeitssituation besonders prekär: Während sie als preiswerte Lösung der öffentlichen Versorgungslücke in der Alten- und Krankenpflege herhalten, bleiben sie als Scheinselbstständige von arbeitsrechtlichen Standards weitgehend ausgenommen.
Es ist insbesondere diese „private“, an Migrant*innen ausgelagerte Sorgearbeit, die unter der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle bleibt, solange sie „normal“ funktioniert. Erst in Krisensituationen – wie etwa während der Corona-Lockdowns – entlädt sich die Anspannung des Sorgesektors, wie feministische Stimmen immer wieder betonen, und die viel beschworene „Systemrelevanz“ der großteils migrantischen Arbeiter*innen tritt zutage. Zugleich ist der „Pflegenotstand“ eben kein neues Phänomen, sondern hat Geschichte – und damit auch die schwierigen, risikoreichen Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen, in der Pflege und den Krankenhäusern. Denn schon seit seinen Anfängen im späten 18. Jahrhundert ist die organisierte (und zum „Frauenberuf“ idealisierte) Pflege durch niedrige Bezahlung, schwierige Beschäftigungsverhältnisse und mangelnde gesellschaftliche Anerkennung gekennzeichnet.
„Neue Gastarbeiter*innen“?
Rund um den „Tag der Pflege“ am 12. Mai wurden die Mahnungen angesichts des Fachkräftemangels in der Pflege wieder besonders laut. Prognosen sagen bis 2030 einen zusätzlichen Bedarf von 80.000 bis 100.000 Pflegekräften in Österreich voraus. Klar ist: In praktisch allen Industrieländern der Welt werden Pflegekräfte gesucht, doch kaum eines wird es schaffen, genügend Pflegepersonal aus eigenen Ressourcen zu rekrutieren – auch Österreich nicht, Pflegereform hin oder her. Zuwanderung ist also vorprogrammiert, würde doch das Gesundheitswesen ohne die Arbeit von Migrant*innen zusammenbrechen. Schon jetzt werben einige Bundesländer mit eigenen Abkommen selbstständig um Pfleger*innen aus Drittstaaten wie Kolumbien, Philippinen und Vietnam. Welche Auswirkungen ein solcher „Braindrain“ (sprich: die Abwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften ins Ausland) in den Herkunftsländern hat, interessiert dabei hierzulande kaum jemanden.
Ob damals oder heute: Die Suche nach Pflegekräften aus anderen Kontinenten hat Konjunktur. Dabei hat sich die Haltung, mit der professionelle Pflegende nach Österreich gerufen werden, kaum verändert. „Wir brauchen neue Gastarbeiter in der Pflege“ äußerte etwa die für Sozialwesen und Pflege zuständige SP-Stadträtin in Salzburg. Gastarbeiter*innen? Jenseits des Nützlichkeitsdiskurses sollte vielleicht besser die Frage diskutiert werden, was Österreich für Pflegearbeitende im Ausland interessant macht. Eine Sonderauswertung des Österreichischen Arbeitsklima Index aus dem Jahr 2021, herausgegeben vom Sozial- und Gesundheitsministerium, legt nahe, dass migrantische Pflegebeschäftigte im Vergleich zu ihren nicht-migrantischen Kolleg*innen u. a. über deutlich weniger Ressourcen (Gestaltungs-, Mitsprache-, Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten) verfügen, doppelt so häufig schweren körperlichen Belastungen ausgesetzt sind und gleichzeitig weniger verdienen. Traurig, aber wahr: Nicht nur der Pflegenotstand, auch die Schlechterstellung und Ausbeutung migrantischer Pflegekräfte sind die neue, alte Normalität.