Die Gummistiefel-Frage
Wird das Hochwasser mit seinen verheerenden Folgen die kommende Nationalratswahl beeinflussen? Nur wenn klare Verantwortlichkeiten thematisiert werden.
Heute – ganz im Sinne einer etwas leichteren Sommerkolumne – drehen wir den Spieß einmal um: Üblicherweise bestimmen ja Journalist*innen, welche Themen mediale Aufmerksamkeit erhalten, oder über welche Aspekte von medialen Dauerbrennern wie dem Klimawandel (Wortspiel beabsichtigt) vermehrt berichtet wird. Aber was finden Menschen am Klimawandel eigentlich beachtenswert? Was besorgt sie? Woran kann die Politik anknüpfen, um die Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen zu erhöhen?
Viele Daten gibt es dazu nicht, vor allem nicht, wenn es um eher praktisches Interesse an Klimawandel-Subthemen geht, anstatt um Gefühle wie Ängste und Sorgen.___STEADY_PAYWALL___ Zum Beispiel könnten sich Menschen dafür interessieren, welche Verhaltensänderungen am effektivsten Emissionen reduzieren, oder welcher bisher kühle Küstenstreifen in einer heißeren Zukunft für den Strandurlaub attraktiv wird.
Bei der Betrachtung der Sorgen sind Ländervergleiche populär. So sind laut Umfragen des Thinktanks Pew Research und des Marktforschungsinstituts Ipsos etwa Israelis tendenziell weniger besorgt als Deutsche oder Französ*innen, dass der Klimawandel ihnen persönlich im Verlauf des Lebens Schaden zufügen könnte.
Leicht zu interpretieren sind diese Daten nicht. Im Fall Israel ließe sich vielleicht vermuten, dass die überdurchschnittlich gebildete Bevölkerung der technologieorientierten „Startup-Nation“ davon ausgeht, dem Klimawandel schon irgendwie mit Innovation begegnen zu können. Allerdings korreliert ein höherer Bildungsgrad eigentlich mit größeren Klimasorgen.
Österreich wurde in den oben genannten Studien nicht abgedeckt. Umfragen der Meinungsforschungsinstitute Integral und Spectra zeigten aber zuletzt, dass vor allem bei Jugendlichen der Klimawandel im Vergleich zu anderen Themen wie etwa der Inflation weniger Besorgnis hervorrief.
Insgesamt sind die Sorgen rund um den Klimawandel jedoch global angestiegen. Pew Research führt seit 2013 Umfragen zum Thema Klimawandel durch und verzeichnet seitdem in den meisten Ländern immer mehr „Klimabesorgte“. Ipsos beobachtet immerhin einen schwachen Anstieg seit 2021. Deutlich rascher verändert hat sich aber die Sorge um Inflation (verstärkt) und um das Coronovirus (abgeschwächt).
Frauen sind, zumindest im globalen Norden, tendenziell besorgter beim Thema Klimawandel als Männer. Dieser Unterschied ergibt sich aus Umfragen immer wieder, wird aber bislang kaum aufgegriffen.
Wie viele Parteien oder private Firmen setzen auf Kampagnen, die sich etwa auf die Vorteile des Klimaschutzes für Frauen (Stichwort Cleantech Jobs, die im Durchschnitt besser bezahlt sind als typische „Frauenberufe“) konzentrieren? Oder umgekehrt, die Männer auf ihr vergleichsweise höheres Risiko hinweisen, von Hitzeschlägen betroffen zu sein?
Ein maßgeschneiderter Ansatz könnte auch in Ländern des globalen Süden greifen, wo Frauen tendenziell stärker von Klimaschäden betroffen sind als Männer, weil etwa ein größerer Anteil in der Landwirtschaft arbeitet und daher Dürre und Überschwemmungen direkt ausgesetzt ist. Oder weil Frauen tendenziell zuerst unter Unterernährung oder Wassermangel leiden, wenn sie etwa für ihre Kinder auf Mahlzeiten verzichten, oder in ihrem Haushalt die Verantwortung für die Wasserversorgung übernehmen.
Nicht nur in punkto Sorgen, auch in der medialen Behandlung des Themas Klimawandel hat sich einiges verändert – zum Positiven. Eine 2019 erschienene Studie über einige der einflussreichsten Medien der USA zeigte etwa, dass Artikel über die hohen Kosten des Klimaschutzes und die Unsicherheiten in der Klimawissenschaft seit den späten 1980er-Jahren weniger geworden sind. Hingegen sind Artikel über die ökonomischen Vorteile des Klimaschutzes häufiger geworden.
Solche Beiträge bewegen Menschen naheliegenderweise eher dazu, Klimaziele zu unterstützen. Im Gegensatz dazu sorgen Information über Unsicherheiten in der Klimawissenschaft für Verwirrung und geringere Unterstützung.
Dass weniger über Klimaunsicherheiten berichtet wird, hängt auch mit dem steigenden wissenschaftlichen Konsens zusammen, an dem Journalist*innen schwer vorbei schreiben können. Mit jedem neuen Bericht des Weltklimarats liegt mehr Beweismaterial vor, werden mehr offene Fragen und Widersprüche durch vergleichende Studien beantwortet und behoben.
Im Gegensatz zur Tagesberichterstattung sind Diskussionen von Unsicherheiten bezüglich des Klimawandels allerdings in Meinungskolumnen heute nicht weniger häufig. Mit anderen Worten: Die Kluft ist größer geworden zwischen der in wissenschaftlichen Publikationen dokumentierten Realität, und der von provokativen Kolumnist*innen behandelten Scheinwelt. Die Daten stammen aus den USA, das Ergebnis könnte der Wahrnehmung nach aber auch auf andere Länder zutreffen.
Und wie werden sich die Hitzewellen dieses Sommers auf die Wahrnehmung des Klimawandels auswirken? Nach derzeitigem Wissenstand reagieren Menschen auf persönliche Klimaerfahrungen, wie etwa extreme Wettereignisse, tendenziell mit größerer Sorge und Unterstützung für Klimapolitik, können aber eher starke, kurzfristige als langsame, langfristige Veränderungen wahrnehmen.
Individuelle Reaktionen sind dabei nicht unabhängig von politischer Orientierung oder generellem Interesse am Klimawandel — wer Klimapolitik schon vor einer Hitzewelle unterstützt hat, wird klimatische Veränderungen in der Temperatur mit größerer Wahrscheinlichkeit wahrnehmen und mit dem menschengemachten Klimawandel in Verbindung bringen. Ein kausaler Zusammenhang nach dem Motto „mehr Hitze, mehr Unterstützung für Klimapolitik“ lässt sich also auf Basis der Vergangenheit noch nicht etablieren.
Die wichtigere Frage ist aber: Werden Menschen eher bereit sein, selbst Initiative zu ergreifen, wenn der Klimawandel deutlicher wahrnehmbar wird? Werden sie etwa öfter den Bus nehmen, eine PV-Anlage oder ein Elektroauto kaufen, wenn sie zum zweiten oder dritten Mal eine Hitzewelle oder Überschwemmung erleben?
Diese Frage bleibt derzeit weitgehend unbeantwortet. Eine erste Studie aus England zeigt, dass Menschen ihr Verhalten nach Hitzewellen eher nicht ändern. Die meisten Studien konzentrieren sich aber auf Meinungen und antizipiertes, nicht realisiertes Verhalten. Würden Menschen eher handeln, je mehr sie den Klimawandel selbst wahrnehmen, wäre das wohl einer der wenigen positiven Effekte steigender Temperaturen.
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