„Es ist zu spät“
Der Untergangs-Hans macht es sich in seinem eigenen Fatalismus bequem. Bild: Annechien Hoeben, klimapsychologie.com
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Thomas Brudermann
Kolumnist

„Es ist zu spät“

Klimaschutz ist eh irgendwie gut. Darauf können sich die meisten Menschen einigen. Trotzdem flüchten sich viele in Ausreden, wenn es um konkreten Klimaschutz geht. Der Psychologe Thomas Brudermann nimmt diese Ausreden in unserer Serie unter die Lupe. Heute: Der Untergangs-Hans


„Es ist zu spät. Wir können nichts mehr machen. Vor 20, 30 Jahren, da hätten wir etwas tun sollen. Jetzt ist es eh schon wurscht.“ Das sagt der Untergangs-Hans, die Personifizierung des Klimafatalismus. Ihm zufolge ist Klimaschutz aussichtslos und deswegen sind jegliche Anstrengungen obsolet. Er wird nicht müde, seine Erkenntnis bei jeder Gelegenheit mit anderen zu teilen.

Das Gefühl, man könne sowieso nichts mehr machen, ist angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre nachvollziehbar: Die Folgen des Klimawandels werden nach und nach sichtbar, Extremwetterereignisse richten immer mehr Schäden an und in den österreichischen und deutschen Bergen wurden bereits Trauerprozessionen für die nicht mehr zu rettenden Gletscher abgehalten.

Derweil ging ein weiterer Strohhalm der Hoffnung in Flammen auf, als die globalen Klimakonferenzen von der Ölindustrie gekapert wurden. Und als ob das nicht schlimm genug wäre, taumeln politische Parteien — allen voran die einflussreichen konservativen – zwischen Krisenverharmlosung, unangebrachtem Technologieoptimismus und Verantwortungsverweigerung.  

Die Bequemlichkeitsfalle

Das „Es ist zu spät“ ist angesichts dieser Faktenlage auch Ausdruck von gefühlter Hilflosigkeit – man sieht die Welt in die Katastrophe gleiten und nimmt wahr, wie die politisch Verantwortlichen dabei zusehen. ___STEADY_PAYWALL___ Ohnmachtsgefühle killen die Motivation für eigene Beiträge zum Klimaschutz und senken auch die Akzeptanz für vermeintlich ohnehin schon hinfällige politische Maßnahmen. 

Eine Portion Selbstschutz schwingt bei Klimafatalismus ebenfalls mit: Von „Pseudo-Enttäuschungsprophylaxe“ spricht zum Beispiel die deutsche Psychologin Lea Dohm: Wenn wir es versuchen würden mit dem Klimaschutz, dann könnten diese Versuche ja scheitern. Und wenn wir scheitern, dann wären wir enttäuscht. Um das zu vermeiden, versuchen wir es besser erst gar nicht. Oder anders gedacht: Wenn man nichts mehr machen kann, dann muss man auch nichts mehr machen. Selbst im Angesicht des Katastrophe schlägt die Bequemlichkeitsfalle zu.

Lässt sich Klimafatalismus überwinden und gibt es für den Untergangs-Hans einen Ausweg aus der Negativspirale? Tatsächlich lassen sich verfestigte Denkmuster nur schwer aufbrechen. In der klinischen Psychologie behandelt man erlernte Hilflosigkeit mittels aufwändiger kognitiver Verhaltenstherapie, in der man den eigenen destruktiven Gefühlen nach und nach auf den Grund geht und die bestehenden Gedanken und Verhaltensweisen durch positivere und nützlichere ersetzt. 

Klimaschutz ist kein Zug, der abfährt

Für leichte Formen des Klimafatalismus helfen vielleicht Vergleiche mit anderen bekannten Situationen. Man stelle sich vor, es ist Weihnachten: Unbeschwert überhäuft man sich gegenseitig mit Geschenken und freut sich über die vielen neuen, völlig unnötigen Goodies. Eingenommen vom Wunder des Konsumrauschs merkt man erst spät, dass der Weihnachtsbaum zu brennen begonnen hat. Das ist die Stunde des Untergangs-Hans, der scharfsinnig bemerkt: „Jetzt ist es zu spät. Der Abend ist ruiniert. Daran ändern Löschversuche oder die Feuerwehr rufen auch nichts mehr. Das können wir gleich sein lassen. Kosten wir unseren Konsumrausch noch aus, so lange es geht.“

Auch wenn der Untergangs-Hans nicht ganz Unrecht hat und einige Dinge nicht mehr zu retten sind (der Baum, der idyllische Abend, die Gletscher) – die Schlussfolgerung, man müsse deshalb gar nichts mehr tun, ist absurd, egal ob es um den brennenden Baum oder den erhitzten Planeten geht. Klimaschutz ist kein Zug, der abfährt. Klimaschutz ist ein Zug, auf den man immer noch aufspringen kann. Aber je später man aufspringt, desto ungemütlicher wird die Fahrt. 

Thomas Brudermann ist Psychologe und Professor für Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Graz. Sein humorvolles Sachbuch „Die Kunst der Ausrede. Warum wir uns lieber selbst täuschen, statt klimafreundlich zu leben“ wurde 2023 mit dem Eunice Foote Preis für Klimakommunikation ausgezeichnet. 
Autor*in: Thomas Brudermann

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Klimaschutz ist eh irgendwie gut. Darauf können sich die meisten Menschen einigen. Trotzdem flüchten sich viele in Ausreden, wenn es um konkreten Klimaschutz geht. Der Psychologe Thomas Brudermann nimmt diese Ausreden in unserer Serie unter die Lupe. Heute: Die ÖKO-Hanna.