„30 Prozent der Österreicher*innen sagen, ich darf hier nicht sein“
Die extrem rechte FPÖ hat zum ersten Mal in der Geschichte eine Nationalratswahl gewonnen. Wir haben gefragt, wie es euch mit dem Wahlergebnis geht.
Das Thema „Sicherheit“ (aus guten Gründen unter Anführungszeichen) ist neben restriktiver Asylpolitik ein Steckenpferd der FPÖ. Herbert Kickl hat das in seiner Zeit als Innenminister wohl etwas zu wörtlich interpretiert, anders lässt sich sein Herzensprojekt „Berittene Polizei in Wien“ nicht erklären. Die Steuerzahler*innen kostete der innenministerielle Ausflug in die Reitschule insgesamt rund 2,3 Millionen Euro.
Das Projekt hat es nie in den Realbetrieb geschafft. Übergangsinnenminister Wolfgang Peschorn stellte es aufgrund zu hoher laufender Kosten ein, die offenbar zu großen Pferde wurden wieder verkauft. Die Polizeipferde stehen jedoch sinnbildlich für Kickls Ära im Innenministerium. Was dabei aber oft in den Hintergrund rückt, sind die anderen „sicherheitspolitischen“ Maßnahmen, die der jetzige FPÖ-Chef umgesetzt hat. tag eins hat sich auf die Suche gemacht.
Im April 2018 hat der Nationalrat mit türkis-blauer Mehrheit ein großes „Sicherheitspaket“ beschlossen. Darin enthalten war etwa – als wohl umstrittenster Punkt – die Berechtigung für Sicherheitsbehörden, dass sie in Verdachtsfällen ein Programm zur Überwachung von Kommunikation auf privaten Endgeräten installieren dürfen. Diese Überwachungssoftware wird auch Bundestrojaner genannt – für tag eins hat Markus Sulzbacher hier und hier die Diskussionen rund um den Bundestrojaner und dessen Problematik beschrieben.
Zur Installation dieses Programms war auch ein Eindringen in Wohnungen bzw. eine Hausdurchsuchung ohne Inkenntnissetzung der betroffenen Person in dem Gesetzespaket vorgesehen. Darüber hinaus wurde auch eine Bestimmung zur umfangreichen verdeckten KFZ-Kennzeichenerfassung und -speicherung inklusive Identifizierung von Fahrer*innen erlassen.
Diese Punkte wurden alle 2019 vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehoben. ___STEADY_PAYWALL___ Begründung des VfGhs für die Aufhebung des Bundestrojaners war, dass er einen schweren Eingriff in die Privatsphäre darstellt, die in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgeschrieben ist. Die Kennzeichenerfassung widerspricht zusätzlich dem Grundrecht auf Datenschutz. Das Eindringen in den Wohnbereich sei außerdem nicht mit dem Recht auf Unverletzlichkeit des Hausrecht vereinbar. Was von dem Maßnahmenpaket übrig geblieben ist, ist zum Beispiel die seit 2019 verpflichtende Registrierung von Wertkartenhandys.
Ziel des von der Opposition damals massiv kritisierten Sicherheitspakets war laut Kickl, die Polizei mit dem „notwendigen Rüstzeug für die Bekämpfung der schwersten Kriminalität“ auszustatten. Für die ÖVP bildete das Sicherheitspaket zudem eine gute Balance zwischen Sicherheit und notwendigen Grundrechten. Naja, offenbar nicht ganz.
Apropos Sicherheit, Kickl wollte als Innenminister augenscheinlich nicht nur Pferde für die Polizei rekrutieren. Er schaltete auch Anzeigen zur Anwerbung von neuen Polizist*innen in rechten bis rechtsextremen Magazinen und auf Verschwörungsplattformen. Konkret berichteten „Standard“ und „Kurier“ etwa über Inserate im Magazin „alles roger!“ und in der mehrmals vom Presserat verurteilten und inzwischen eingestellten rechten Wochenzeitung „Der Wochenblick“.
Das Innenministerium entgegnete damals auf Anfrage des „Standards“, man wolle ein möglichst breitgefächertes Zielpublikum erreichen und orientiere sich an Auflagen- und Verkaufszahlen. Auch auf Plattformen wie unzensuriert.at, dem Onlineportal des inzwischen vom deutschen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuften „Compact“-Magazin sowie weiteren verschwörungsideologischen Plattformen gab es über Google AdSense Werbeschaltungen.
Ausgegeben wurden für die Kampagne zur Rekrutierung von neuen Polizist*innen in allen Medien zwischen Dezember 2017 und Juni 2018 rund 1,3 Millionen Euro, 300.000 davon gingen an die Boulevardzeitung „Österreich“. Für Kickl war die Kampagne damals ein Erfolg, argumentiert wurde auch mit zusätzlicher Sicherheit. Es sei dahingestellt, für wen solche „sicherheitspolitischen“ Maßnahmen tatsächlich höhere Sicherheit bedeuten.
Wem Kickls Zeit als Innenminister wohl eher nicht geholfen hat, sind jene Frauen, die zwischen Juli 2018 und Jänner 2020 einem hohen Risiko patriarchaler Gewalt durch Männer in ihrem Umfeld ausgesetzt waren. Das Innenministerium hat 2018 nämlich ein Pilotprojekt zu sogenannten Fallkonferenzen für Hochrisikofälle in Wien abgeschafft. Dabei handelt es sich um eine gemeinsame Evaluierung des Risikos in konkreten Fällen durch Polizei, Justiz und Interventionsstellen wie Gewaltschutzzentren. Das Innenministerium argumentierte damals, dass diese Fallkonferenzen in der Realität keinen großen Mehrwert gebracht hätten und der Probebetrieb deshalb nach fast sieben Jahren eingestellt werde.
Eineinhalb Jahre zuvor war die Situation scheinbar eine andere. Nachdem die türkis-blaue Regierung wegen Ibiza implodiert war, gab es im sogenannten „freien Spiel der Kräfte“ im Nationalrat verschiedene Allianzen, unter anderem auch von den ehemaligen Koalitionspartnern. So wurde im September 2019 wenige Tage vor der Wahl von ÖVP und FPÖ unter anderem ein neues, umstrittenes Gewaltschutzpaket beschlossen, das noch auf die Regierungsarbeit zurückging. Teil davon waren neben massiven Strafverschärfungen im Sexualstrafrecht und verpflichtenden Beratungen für potenzielle Gefährder auch besagte Hochrisiko-Fallkonferenzen.
Seit ihrer Einführung Anfang 2020 werden diese Fallkonferenzen zunehmend öfter einberufen. Der Rechnungshof forderte 2023 in einem Bericht zu Gewaltschutzmaßnahmen einheitliche Kriterien für diese Fallkonferenzen. Eine Untersuchung der türkis-grünen Regierung ergab, dass die Gewaltschutzreform von 2019 durchaus Wirkung zeigte. Der Gewaltschutz bleibt angesichts der hohen Zahl an Femi(ni)ziden in Österreich aber eine Baustelle, wie Opferschutzorganisationen kritisieren.
Wie sehr Kickls Zeit als Innenminister aber auch die Sicherheit der Republik Österreich auf einer Metaebene gefährdet haben könnte, wird erst jetzt, fünf Jahre später, so richtig sichtbar.
Unter Innenminister Kickl kam es zu einer Razzia im hauseigenen Verfassungsschutz, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Die Hausdurchsuchung wurde zwar von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft beauftragt und im Schnellverfahren durch einen unabhängigen Richter genehmigt, aber im Nachhinein durch das Oberlandesgericht Wien für rechtswidrig erklärt. Durchgeführt wurde diese Durchsuchung von einer Wiener Polizeieinheit zur Bekämpfung von Straßenkriminalität (EGS) unter der Leitung eines FPÖ-Lokalpolitikers.
Mitgenommen wurden dabei unter anderem hochsensible Daten von anderen europäischen Geheimdiensten und offenbar auch Ermittlungsergebnisse zur rechtsextremen Szene. Unter anderem dieser massive Sicherheitseklat führte in Folge zu einer Distanzierung der europäischen Nachrichten- und Geheimdienste von Österreich, was nach Einschätzung von Expert*innen einem Super-Gau für die öffentliche Sicherheit gleicht.
Wie wir heute wissen, dürfte diese Causa auch in direktem Zusammenhang stehen mit einem russischen Spionage-Netzwerk rund um den ehemaligen Wirecard-Chef Jan Marsalek und die ehemaligen Beamten des BVTs, Egisto Ott und Martin Weiss. In welcher Verbindung die FPÖ dazu steht, hat Markus Sulzbacher hier für tag eins aufgeschrieben.
Übrig bleibt von Kickls Zeit als Innenminister tendenziell also eher weniger Sicherheit und nicht mehr.
Sicherheitspaket:
Parlamentsaussendung zu Sicherheitspaket
Österreich.gv.at zu Wertkartenregistrierung
Polizeiwerbung:
Standard:
Kickl sieht Erfolg bei Rekrutierung von Polizisten
Innenministerium sucht Polizeinachwuchs in rechten Medien
Kurier- Aufregung um FPÖ-Ministerien-Inserate in rechtem Magazin
Abschaffung Fallkonferenzen
Standard:
Innenministerium stoppt Projekt zu Gewalt gegen Frauen
Parlamentsaussendung zu Gewaltschutzpaket
BVT- und Spionage-Affäre
Falter: Gespräch mit Gridling
Standard:
Egisto Ott, die Jagd nach einem russischen Ex-Agenten und ein suspendierter Staatsschützer
Laut ÖVP wollte Kickl nach BVT-Razzia Ott in zentrale Stelle hieven
Profil: Spionageskandal Ott: Wie konnte das passieren?
Falter: Affäre Ott: Wie österreichische Polizisten Putin-Gegner ans Messer lieferten
Spiegel: Der Spion beim Verfassungsschutz
Pferde
Oberösterreichische Nachrichten: „Rot-blauer“ U-Auschuss
Kurier: Wie viel Millionen die Polizeipferde wirklich kosteten
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