„Journalistische Startups werden beim Markeintritt behindert statt unterstützt.“
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Markus Sulzbacher
Reporter

„Journalistische Startups werden beim Markeintritt behindert statt unterstützt.“

Die österreichische Medienbranche steckt in einer Krise. Gedruckte Tageszeitungen verschwinden, Journalisten*innen verlieren ihre Jobs, überall wird gespart. Medien-Startups stehen hingegen vor enormen Hürden. Ein Gespräch mit dem Medienforscher Andy Kaltenbrunner.

 

Wie dramatisch ist die aktuelle Medienkrise? Wodurch wurde sie ausgelöst?

Die Disruption [Anm. der Red.: die zerstörerische Veränderung] des traditionellen Printmediensektors durch Digitalisierung, Internet und Globalisierung gibt es seit drei Jahrzehnten. In Österreich schlägt sie im internationalen Vergleich aber mit einiger Verspätung auf. Wir hätten also mehr Zeit gehabt zu lernen.

Aber offensichtlich haben sich einige Medienhäuser nicht ausreichend darauf vorbereitet?

Das liegt daran, dass der kontinuierliche Abstieg bei einem sehr hohen Ausgangssockel  begann: 75 Prozent der Bevölkerung in Österreich haben zur Jahrtausendwende täglich Zeitung gelesen– das war ein Europarekord. Dazu kommt ein geringer Wettbewerb, da viele Medien bei relativ wenigen Eigentümern konzentriert. Dadurch entstand ein ökonomischer Polster. Als das Publikum begann verloren zu gehen, war dadurch unangenehme Maßnahme zum Ausgleich möglich.

 Wie hat das überhaupt so lange gut gehen können?

Seit der Jahrtausendwende wurde das journalistische Personal um gut ein Viertel reduziert und die Abo-Preise stiegen stärker als die Inflationsrate. Gleichzeitig wurde das Gratiszeitungsmodell mit massiver öffentlicher Hilfe in den Markt platziert. Das hat regionalen und nationalen Kaufzeitungen mit höheren Ansprüchen das Leben schwer gemacht. Laut Media-Analyse lesen heute immer noch 50 Prozent der österreichischen Bevölkerung Printzeitungen – aber das ist eigentlich eine Fiktion. Die Hälfte der Zeitungsexemplare für diese Leser sind gratis im Umlauf. Bei Menschen unter 30 Jahren ist die reale wöchentliche Verweildauer bei Printprodukten zwischen fünf und null Minuten. Hohe Papierpreise und Inflation sind jetzt nur ein Beschleuniger beim Flächenbrand. Wir haben also viele Printmedien im Hospiz – aber eigentlich keine Krise des Journalismus. Der ist wichtiger denn je.

Zur Person Andy Kaltenbrunner

Der langjährige Journalist Dr. Andy Kaltenbrunner forscht am Medienhaus Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaft zur Transformation von Journalismus und Medien.

Für die Verleger*innen stehen die Hauptschuldigen für die Krise schon seit Ewigkeiten fest. Seit über einen Jahrzehnt wird immer wieder gegen orf.at sowie die Internetkonzerne Meta und Google Stimmung gemacht – gleichzeitig arbeiten Medien mit den US-Konzernen zusammen. War das ein Fehler?

It depends, wie die Juristen gerne sagen. Das „Frenemy“-Konzept [Anm. der Red.: Frenemy ist ein Kofferwort aus den englischen Wörtern friend und enemy und meint in etwa "falscher Freund"] geht nur für wenige ökonomisch auf, andrerseits sehen sehr viele Verlage keine Alternative. Jeder Top-TikTok-Influencer hat hundertmal so viel junges Publikum wie die beste, gut gemeinte Magazingeschichte für Jugendliche. Auch viele Traditionstitel binden deswegen ihr Publikum stark über gute Formate in Social-Media-Kanälen an die Marke.

Während Corona haben wir in unseren nationalen Befragungen gemeinsam mit dem Gallup-Institut etwa gemessen, dass gerade bei digital aktiven Qualitätszeitungen wie „Der Standard“ drei Viertel des Publikums ihre Pandemie-Info digital und stark über Social-Media-Kanäle und Kurzinfodienste bezogen. Manche steuern dann die Zeitungs-Websites an und auch traditionelle Medien bauen entsprechend Markenbeziehung über viele Kanäle auf. Manche bleiben dann journalistisch gute Marken „formerly known as a newspapers“. Die Medienhäuser machen sich aber dabei von den Strategien und Algorithmen der US-Plattformen abhängig. Jahrelang haben sie sogar ihre besten Ideen bei Google abgegeben, um von der „Digital News Initiative“ [Anm. der Redaktion: ein Fördertopf von Google für europäische Medienunternehmen] vielleicht Innovationsförderung zu bekommen.

Aber die Medienhäuser sind nicht zur Zusammenarbeit mit Google gezwungen worden. Es gab Geld und sie haben es sich geholt. Was aus wirtschaftlicher Sicht Sinn macht.

Google weiß damit mehr über den Innovationsstatus der europäischen Medienhäuser als alle europäischen Regierungen und die EU-Kommission. Das ist leider eine Konsequenz des Versagens von europäischer Medienpolitik. Nicht nur in Österreich, aber da besonders: Die Hilfe für marode Modelle im Printwesen stand bei uns traditionell im Zentrum.

Im Gegenteil wäre im Wettbewerb mit den großen Plattformen ein Feuerwerk innovativer Ideen, neuer Formate für nationale, regionale, hyperlokale Inhalte notwendig. Entlang der alten Frage: Welches Problem lösen wir mit unserem Journalismus? Und da sollten auf nationaler Ebene manche Antworten schlüssiger sein und demokratiepolitisch relevanter als jene von Meta oder Google.

Seit über einem Jahrzehnt vernachlässigen zahlreiche, auch große Medienhäuser ihre digitalen Hausaufgaben. Etwa bei der Zahlungsabwicklung für Abos. Kann dieses fehlende Knowhow noch aufgeholt werden? Was sollten Medienhäuser nun machen?

Sich radikal selbst in Frage stellen. Ihr Businessmodell, wo nötig, über Bord werfen und wie Entrepreneure denken. Von Google und Netflix seit 20 Jahren lernen. Sich viel mehr im direkten Kontakt von ihren Zielpublika erklären lassen, was diese wollen und wo sie überhaupt noch abzuholen sind. Meine resignierte Metapher zum aktuellen Selbstverständnis mancher Printmedienhäuser ist: Sie waren Jahrhunderte verlässliche Kutscher. Aber die Eisenbahn ist längst erfunden. Als Innovation reicht jetzt nicht, die eigenen Pferde vor die Waggons zu spannen und sich den Hafer von der öffentlichen Hand zahlen zu lassen. Das wird kein Transportmodell der Zukunft.

Weg von den großen Medien: Was müssen Medien-Startups machen, damit sie erfolgreich sind?

Hoffen, dass sie nationale und internationale Kombattanten finden. Lobbyieren, dass Medienpolitik in Österreich sich wesentlich und rasch verändert. Zuerst überhaupt Lobby-Organisationen gründen. Die jetzigen öffentlichen Fördermodelle und Markregulierungen konzentrieren sich auf öffentlichen Rundfunk und traditionelle Medien. Sie leisten auch Sterbehilfe, wo kein echter Veränderungswille besteht. Journalistische Startups werden beim Markeintritt dagegen behindert statt unterstützt.

In Ländern wie Spanien, wo es keine staatliche Medienförderungen gibt, sind nach Wirtschaftskrise und Bankencrash 2008 viele traditionelle Medien sehr schnell zusammengebrochen – aber seither hunderte neue journalistische Projekte entstanden, wie „El Diario“ oder „El Confidencial“, um nur zwei große General-Interest-Medien zu nennen, die, online only, großen/alten/traditionellen Medien wie „El Pais“ oder „El Mundo“ gute Konkurrenz machen. Dutzende dieser Startups, von national bis hyperlokal, sind inzwischen lebensfähig und geschätzt von ihren Communities.

Start-ups gibt es auch in Österreich, die zwar weniger mit steigenden Papierpreisen kämpfen, sondern mit enormen Schwierigkeiten ihren Journalismus zu finanzieren. Es gibt kaum staatliche Förderungen.

In den USA wurden solche Neugründungen vielfach von Stiftungen unterstützt. In Österreich gibt es aber solche Stiftungen nicht. In Skandinavien finden wir spannende, neuen Redaktionen, die früher auch Innovationsförderung bekamen und jetzt wichtige, neue Player sind. Der Investigativjournalismus von „Follow the Money“ in Holland etwa, oder „Zetland“ in Dänemark, um wieder nur zwei Beispiele zu nennen. Österreichischen und deutschen Medien-Startups rate ich immer dringend zu Besuchen bei den Pionieren in Nord und Süd, um von deren Entwicklung, auch den Fehlern zu lernen. Man trifft dabei meist Menschen, die von einem journalistischen Auftrag beseelt sind und vergnügt noch dazu. Das motiviert, auch wenn wir in Österreich noch ganz dicke Bretter bohren.

Autor*in: Markus Sulzbacher

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