„Ohne EU-Regulierung könnten Tech-Unternehmen noch mächtiger werden, als sie es eh schon sind“
Vor zwölf Jahren gründete Martin Fehrensen das Social Media Watchblog; zweimal pro Woche verschicken er und Simon Hurtz ihr Briefing als Paid Newsletter an Abonnent*innen. Als einer der Fans des Briefings hat sich diese Woche Österreichs erfolgreichster Social-Media-Nutzer, Armin Wolf, geoutet.
tag eins: Was geschieht da gerade bei Mark Zuckerberg und Meta? Es sieht nach einem massiven Rechtsruck aus.
Martin Fehrensen: Wir haben beim Social Media Watchblog immer mit dem Gedanken gespielt, was eigentlich passieren würde, wenn diese Plattformen einmal von jemandem geführt werden, der nicht so liberal auf die Welt blickt, wie das ein Jack Dorsey (Anm.: Twitter-Gründer) und ein Mark Zuckerberg noch vor fünf Jahren nach außen hin getan haben. Dieses Szenario war absehbar. Jetzt stehen wir an einem Punkt, an dem wir feststellen müssen, dass dieses ganze Gerede von „Free Speech“, dieser ganze libertäre Wahnsinn, der zwischen den Zeilen bei Mark Zuckerberg über die Jahre immer wieder durchgeklungen ist, nicht nur Worte waren, um irgendjemanden zu gefallen, sondern tatsächlich Ausdruck dessen war, wessen Geistes Kind Mark Zuckerberg eigentlich ist.
Bisher war es genau umgekehrt: Nur aus dem Wunsch heraus, irgendwelchen Politikern, der Werbeindustrie und auch Mitarbeiter*innen zu gefallen, wurde von Meta Gemeinschaft beschworen und durch Fakt-Checking-Programme viel Hass und Hetze eingefangen. Das waren aber aus Zuckerbergs Sicht nur Maßnahmen, damit das Geschäft funktioniert. Er sprach in seinem Ankündigungs-Video vom Eintritt in eine neue Ära. Nun kann er sich endlich so verhalten, wie er das eigentlich immer schon wollte.
Was bedeutet das für Europa?
Wir werden sehen, was das für Europa bedeutet. Momentan sind diese Ankündigungen erstmal für die USA dramatisch, vor allem die Beerdigung des Fact-Checking-Programms. In Deutschland und überhaupt in Europa gibt es laufende Verträge bis Ende des Jahres.
Facebook und Instagram waren bislang auch nicht so stark Orte des Informationskrieges, wie das bei X (ehemals Twitter) der Fall ist. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Plattformen weiterentwickeln. Als Zivilgesellschaft wären wir gut beraten, uns auf anderen Plattformen ebenso heimisch zu fühlen und uns dort ein digitales Zuhause aufzubauen, wie das bei Facebook und Instagram über die Jahre der Fall war.
Sind diese Entwicklungen überraschend für dich?
Es ist überraschend, mit welcher Geschwindigkeit Mark Zuckerberg diese Dinge umsetzt. Dass er so über die Welt denkt und dass er sich eher dem Libertarismus zugewandt fühlt, das überrascht überhaupt nicht.
Es gab die Drohung von Donald Trump, ihn ins Gefängnis zu stecken, sollte er nicht anders agieren. Ich glaube, jeder ist gut beraten, ein solches Geschwätz von Donald Trump am Ende auch ernst zu nehmen. Aber es ist eben tatsächlich nicht nur wirtschaftlich opportun für ihn, sondern aus unserer Perspektive entspricht das schon der Geisteshaltung von Mark Zuckerberg.
Wir können nur hoffen, dass Institutionen wie zum Beispiel die EU ihm weiterhin Paroli bieten. Und dass sie nicht vor einer Trump-Administration einknicken und zum Beispiel all die Fortschritte, die mit dem Digital Services Act errungen wurden, wieder zurückbauen.
Wie und warum könnte das passieren?
Mark Zuckerberg hat im Podcast bei Joe Rogan von 30 Milliarden Dollar bzw. Euro gesprochen, die die EU dem Silicon Valley an Strafzahlungen aufgebrummt hat. Er sagt, das sind eigentlich Zölle – Zölle für Tech-Dienstleistungen, die das Silicon Valley nach Europa exportiert. Das ist natürlich aus unserer Perspektive eine wahnwitzige Interpretation, aber ich verstehe schon, warum das in der Denkweise von Zuckerberg, dem Silicon Valley und der Trump-Administration Sinn macht.
Die EU muss als großer Wirtschaftsraum mit 400 Millionen Bürgerinnen darauf schauen, dass sie nicht aufgrund dieser Argumentationsweise durch die USA im Gegenzug mit irgendwelchen anderen Strafzöllen belegt werden, was natürlich jedes Wirtschaften ungleich schwieriger machen würde.
Zuckerberg versucht durch diese Annäherung an Trump also Einfluss darauf zu nehmen, dass die USA die EU ein Stück weit in ihre Grenzen verweisen und die Unternehmen im Silicon Valley, allen voran natürlich Facebook, bzw. Meta, nicht zu noch mehr Strafzahlungen verdonnert werden.
Was wären mögliche Folgen dieser Einflussnahme?
Man vergisst immer, dass die EU eigentlich ein maßgeblicher Motor im Hinblick auf die Regulierung von Tech-Unternehmen ist. Die EU setzt die Standards weltweit. Was die EU macht, hat für alle anderen Vorbildcharakter. Wenn die EU jetzt anfängt, einzuknicken und sich wegzuducken, dann gibt es eigentlich kaum eine Institution auf der Welt, die überhaupt noch irgendeine Form von Regulierung von den Tech-Unternehmen anstrebt. Und dann haben wir tatsächlich eine Form von Wilden Westen, der über die Jahre immer hinaufbeschworen wurde, aber eigentlich nie existiert hat. Dann werden die Tech-Unternehmen noch mächtiger, als sie es eh schon sind
Und was bedeutet das für uns als Social-Media-Konsument*innen?
Jeder und jede Social Media-Nutzer*in sollte sich natürlich darüber im Klaren sein, dass die Inhalte, die ihr*ihm dort begegnen, nicht per se richtig sind, sondern dass dort wahnsinnig viel Falschinformationen und Schmutz unterwegs sind. Jeder sollte sich immer genau überlegen, was die Absicht des Absenders des jeweiligen Postings ist.
Es bedeutet zudem, dass gerade für marginalisierte Gruppen sehr viel mehr Anfeindungen zu befürchten sind. Wir haben über die Jahre bereits erlebt, was für Tollhäuser die Social-Media-Plattformen sein können und wie viel Anfeindungen, Häme und Spott Menschen da über sich ergießen lassen und erdulden mussten.
Was passiert dann?
Oftmals hat das dann auch die Konsequenz, dass solche Stimmen verstummen, sich zurückziehen und auf Social Media nicht mehr ihre progressiven Anliegen zum Ausdruck bringen. All dies droht weiter zuzunehmen. Wir haben das auf Twitter erlebt: Das war einer der zentralen Orte im Netz, wo Menschen sich artikulieren konnten, die vorher so keine Stimme hatten, die vorher in dem medialen Diskurs nie so richtig vorgekommen sind. Davor hatten bornierte Feuilleton-Journalisten gesagt, naja, das ist so eine Einzelmeinung, das interessiert uns nicht so richtig. Auf Twitter konnte zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich dabei um gesamtgesellschaftliche Problematiken handelt. #MeToo und #BlackLivesMatter sind prominente Beispiele, aber es gibt viele mehr.
Elon Musk hat dieses Instrument genommen, indem er all dem Hass auf X freien Lauf gelassen hat. Und jetzt droht genau das auch auf Facebook und Instagram überzugreifen.
Aber kann man etwas über die tatsächlichen Auswirkungen sagen?
Man darf nicht vergessen, Social Media ist eine Blackbox. Das heißt, wir wissen nicht, was wirklich unter der Motorhaube passiert. Wir können von außen immer nur gut begründete Theorien aufstellen, die etwa heißen: Aja, es lässt sich beobachten, dass diese und jene Inhalte weniger Sichtbarkeit erfahren, oder dass die und die Schlagwörter nicht mehr gesucht werden können. Das passiert schon seit Jahren. Aber am Ende heißt es von den Plattformen immer: „Das lässt sich so nicht verallgemeinern. Da war das Datenset zu klein. Die Studie war nicht gut gebaut.“
Es gibt also gar nicht die Möglichkeit, von außen valide darauf zu schauen. Als Zivilgesellschaft erleben wir immer nur einen Ausschnitt dessen, was auf diesen Plattformen tatsächlich passiert. Man müsste wirklich Daten in die Hand bekommen, mit denen sich zum Beispiel richtig und komplett nachvollziehen lässt, wie viel rechtsradikale Inhalte eigentlich auf TikTok lanciert werden. Oder wie viel rechte Propaganda tatsächlich auf X zirkuliert.
Wie wäre das möglich?
Künftig könnte das über den Digital Services Act ermöglicht werden. Das wäre sehr gut. Allerdings befinden wir uns da noch im Aushandlungsprozess. Noch ist unklar, wie viel Daten Wissenschaftler*innen wirklich künftig an die Hand gegeben werden. Und es gibt immer noch ein entscheidendes Nadelöhr. Die Plattform kann immer noch sagen: „Nein, das betrifft zu sehr unser Geschäftsinteresse, da machen wir nicht mit.“ Um das dann trotzdem durchzusetzen, braucht es eine entsprechende politische Power.
Aber solange das noch nicht der Fall ist, schauen wir von außen immer nur auf diese Plattformen und sagen etwa am Beispiel Deutschland: Ja, wahrscheinlich hat die AfD auf TikTok am meisten Erfolg. Aber man weiß es eigentlich nicht.
Warum ist das wichtig?
Ein AfD-Video wird 200.000 Mal geteilt, das ist für TikTok ein Indikator, dass das Video relevant ist, und für Beobachter von außen ist das ein Indikator, dass das Video gut performt hat. Aber ob dieses Video eigentlich 190.000 Mal von Menschen wurde, die gesagt haben, guckt euch mal diese Scheiße an, das kann ja wohl nicht wahr sein, dass es dieses Video auf TikTok gibt und nur von 10.000, die gesagt haben, jawohl, da bin ich voll dafür und das ist genau meine Meinung, das hat ja eine ganz andere Relevanz. Und genau das können wir von außen nicht feststellen. Doch daraus erspinnen sich auch mediale Diskurse.
Da heißt es dann, die AfD ist auf TikTok besonders erfolgreich. Daraus erspinnt sich das Narrativ, sie habe TikTok und die Jugend verstanden. Und weiter das Narrativ, die AFD sei deshalb in Deutschland zum Beispiel bei den Landtagswahlen besonders erfolgreich bei den jungen Leuten.
Und das verselbstständigt sich. Wir sind aber als Zivilgesellschaft an dem Punkt, wo man sagen muss, ja, das sind gut begründete Hinweise, aber wissenschaftlich valide ist das nicht. Wir müssen erst wirklich verstehen, was dort passiert und dann erst könnte ich wirklich vollumfassend beantworten, ist das jetzt schlimm, was in den sozialen Medien passiert oder nicht?
Wie besorgniserregend findest du diese Entwicklungen auf einer Meta-Ebene? Etwa hinsichtlich der Datenmacht, die bei diesen Plattformen liegt. Könnte da in Zukunft auch Missbrauch damit stattfinden?
An dem Punkt. dass Daten genutzt werden, um Personen gezielt anzugehen oder unter Druck zu setzen sind wir zum Glück garantiert nicht. Das wäre wirklich eine Dystopie und höchst dramatisch und tragisch: Da gibt es ein diktatorisches Regime und das hat jetzt alle Möglichkeiten, Personen ganz gezielt auszuspähen, sie zu bedrohen, oder sie in ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement zu beschneiden.
Zum Abschluss könnte man resümieren: Das, was da auf und mit diesen Plattformen passiert, hängt direkt und massiv mit politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zusammen.
Das ist ja der Grund, warum wir das Social Media Watchblog schreiben. Viele Menschen finden uns aus Marketinggründen interessant oder wollen Inspiration von uns, wie sie am Ende ihre Turnschuhe besser verkaufen können. Die erleben dann aber oft, dass wir uns um diese Fragen am allerwenigsten kümmern, sondern für uns ist wirklich in allererster Linie interessant, welche Auswirkungen Social-Media-Plattformen auf Politik und Gesellschaft haben. Was bedeutet das für jeden Einzelnen von uns? Was bedeutet das für die Medienwelt da draußen?
Anfang 2025 scheint bei vielen durch die Nähe von Elon Musk zu Donald Trump, aber eben auch durch diese Ankündigung von Mark Zuckerberg, der Groschen gefallen zu sein, wie politisch Social Media ist und wie viel mehr Hintergrund-Wissen und Verständnis es dafür braucht, wie diese Plattformen funktionieren und welche politische Agenda eigentlich die Besitzer dieser Plattformen verfolgen.