„Wer rechte Inhalte übernimmt, stärkt letztlich das Original.“
Rechtsextreme Parteien feiern Wahlerfolge in ganz Europa. Warum sie so erfolgreich sind, welche Fehler andere Parteien machen und was man dagegen tun kann: Ein Gespräch mit der Politikwissenschaftlerin Gabriela Greilinger.
Angst vor dem sozialen Abstieg, Protest gegen „die da oben“ – die Gründe für den Aufstieg rechtsextremer Parteien sind vielfältig. Doch was passiert, wenn ihre Ideen zum Mainstream werden? Gabriela Greilinger forscht zu Rechtsextremismus, Parteienwettbewerb und Diskursverschiebungen in westlichen Demokratien. Sie beobachtet mit Sorge, wie die Grenzen des Sagbaren verschoben werden.
Frau Greilinger, warum sind rechtsextreme Parteien in vielen westlichen Demokratien so erfolgreich?
Gabriela Greilinger: Es gibt unterschiedliche Erklärungsansätze in der Politikwissenschaft. Die zentrale Debatte ist jene zwischen ökonomischen und kulturellen Erklärungen, die es entweder als eine Folge von Angst vor sozialem Abstieg oder als eine Gegenreaktion zu soziokulturellen Veränderungen erklären.
Bei Letzterem geht es vor allem um Immigration und die Ablehnung einer multikulturellen Gesellschaft. Beide Erklärungen sind in gewisser Weise miteinander verknüpft, aber eines zeigt die Forschung sehr deutlich: Die zentrale Ursache ist die ablehnende Haltung gegenüber Migration. Diese Einstellung mobilisiert Wähler*innen stärker als wirtschaftliche Ängste. Gleichzeitig wurden rechtsextreme Ideen in den letzten Jahrzehnten zunehmend normalisiert – das hat sie gesellschaftlich akzeptabler und politisch relevanter gemacht.
Was bedeutet „normalisiert“ in diesem Zusammenhang?
Nach dem italienischen Politikwissenschafter Giovanni Sartori gelten Parteien als relevant, wenn sie Koalitionsbildungen beeinflussen – direkt oder indirekt. Direkt, wenn sie Koalitionspotential haben, also aktiv in Erwägung gezogen werden; Indirekt, indem sie über „Erpressungspotenzial“ verfügen und alternative, präferierte Koalitionen unmöglich machen können. Rechtsextreme Parteien wie die FPÖ in Österreich sind längst nicht mehr nur Randphänomene, sondern strukturieren den Parteienwettbewerb mit. Viele andere Parteien übernehmen mittlerweile ihre Themen oder ihre Sprache. Wenn diese Ideen, die einst als radikal galten, nun als normal betrachtet werden, sind sie normalisiert. Das macht sie anschlussfähig.
„Studien belegen: Linke Wähler*innen wollen linke Politik.“
Gibt es Strategien, wie demokratische Parteien damit umgehen können?
Ja, in der Forschung werden vier Strategien unterschieden: Demarkation – also der klare Ausschluss rechter Positionen. Konfrontation – aktive Gegnerschaft. Kooptation – Übernahme rechter Ideen, ohne mit den Parteien zu koalieren. Die dänische Sozialdemokratie ist dafür ein Beispiel. Und schließlich Incorporation – das Übernehmen extrem rechter Positionen sowie auch das offene Regieren mit rechtsextremen Parteien. So wie etwa die ÖVP unter Sebastian Kurz. Letzteres ist nachweislich die schädlichste Variante, weil es die Normalisierung weiter vorantreibt.
Was bringt die Kooptation, also rechte Themen zu übernehmen, aber mit den Parteien nicht zu koalieren?
Das kann kurzfristig Stimmen bringen, aber langfristig ist diese Strategie nicht erfolgreich. Wer rechte Inhalte übernimmt, stärkt letztlich das Original. Die Forschung zeigt klar: Die glaubwürdigste und nachhaltigste Strategie wäre, auf klare inhaltliche Abgrenzung zu setzen.
Was wäre aus Ihrer Sicht ein erfolgversprechender Weg für Mitte-links-Parteien wie die SPÖ?
Eine progressive, sozialpolitisch fokussierte Linie. Studien belegen: Linke Wähler*innen wollen linke Politik. Wer soziale Absicherung, Bildung, Arbeitsbedingungen oder Pflege in den Mittelpunkt stellt, kann auch Menschen erreichen, die von Abstiegsängsten betroffen sind. Themen wie Bildung oder Gesundheitspolitik müssen nicht immer durch die Migrationsbrille gesehen werden.
„Es ist ein Mythos, dass Wähler*innen von ganz links nach ganz rechts abwandern.“
Wird das in Österreich zu wenig gemacht?
Definitiv. Die FPÖ gibt oft das Thema vor, und alle anderen Parteien positionieren sich dazu. Das ist ein Modus, der rechten Kräften in die Hände spielt. Es braucht ein eigenständiges Agenda-Setting. Wer selbst Themen setzt, gibt den Ton an.
Lange hieß es: Die Arbeiter*innen wandern von der SPÖ zur FPÖ ab. Gilt das noch?
Nein, es ist gut belegt, dass die FPÖ vor allem von der ÖVP Wähler*innen gewinnt – auch, weil die ÖVP über Jahre hinweg rechte Positionen übernommen und damit normalisiert hat. Am Ende präferieren die Menschen dann das Original gegenüber der Kopie. Viele SPÖ-Wähler*innen sind heute gut ausgebildet oder jung. Die Arbeiter*innenklasse ist heute diverser, oft migrantisch geprägt – viele haben gar kein Wahlrecht. Es ist ein Mythos, dass Wähler*innen von ganz links nach ganz rechts abwandern.
Eine aktuelle Studie zeigt, dass junge Männer besonders häufig rechts wählen. Warum ist das so?
Das ist noch nicht abschließend erforscht. Aber es gibt Hinweise auf eine Mischung aus Angst vor sozialem Abstieg, Männlichkeitsbildern und allgemeiner Verunsicherung unter jungen Männern. Interessant ist: Die Einstellungen zu Migration sind bei Männern und Frauen oft ähnlich. Aber Frauen agieren anders – sie wählen seltener rechtsextrem. Möglicherweise, weil sie ihren eigenen Vorurteilen misstrauen oder sich nicht so stark von rechter Rhetorik angesprochen fühlen. Eine Studie zeigt beispielsweise auch, dass Frauen eine höhere innere Motivation zur Kontrolle von Vorurteilen haben, was unter anderem zu diesem Gender Gap in der Unterstützung für rechtsradikale Parteien führt. In Österreich gibt es diesen Gender Gap übrigens nicht; vermutlich wegen der jahrzehntelange Mainstreamisierung der FPÖ hierzulande.
„Gute Politik kann Vertrauen schaffen. Aber sie muss sichtbar und nah an den Menschen sein.“
Kurzer Einschub: Rechtsextrem, rechtsradikal, rechtsaußen oder einfach nur rechts – was ist der Unterschied zwischen diesen Begriffen?
Grundsätzlich arbeiten wird in diesem Forschungsbereich mittlerweile zunehmend mit dem Begriff „far-right“, also „rechtsaußen“, wenn wir über Parteien reden, die sich weit rechts im politischen Spektrum befinden. Laut Politikwissenschaftern wie Cas Mudde und Andrea Pirro dient „Rechtsaußen“ als Überbegriff der die populistisch radikale Rechte sowie die extreme Rechte beinhaltet – beide zeichnen sich durch Nativismus und Autoritarismus aus. Der zentrale Unterschied zwischen den beiden liegt in ihrer Haltung zur Demokratie. Während die radikale Rechte anti-liberal demokratisch ist, lehnt die extreme Rechte Demokratie gänzlich ab. Der Überbegriff „rechtsaußen“ signalisiert die zunehmend verschwimmenden Grenzen zwischen den beiden Gruppen. Darüber hinaus sieht man auch immer mehr Verbindungen zwischen rechtsradikalen Parteien und rechtsextremen Gruppierungen – jene zwischen bestimmten Parteifunktionären der FPÖ und den Identitären wäre ein Beispiel hierfür.
Eine Auswertung der Financial Times hat gezeigt: In vielen Ländern wurden 2024 die Regierungsparteien abgestraft. Ist Regieren überhaupt noch ein Stimmenbringer? Gibt es noch soetwas wie einen Amtsbonus?
Das politische Klima ist derzeit sehr schwierig. Nach Jahren der Krisen – Pandemie, Krieg, Inflation, Rezession – gibt es viel Frust. Viele Menschen haben das Gefühl, dass ihre Sorgen nicht ernst genommen werden. Wer regiert, muss oft unpopuläre Entscheidungen treffen. Dennoch glaube ich: Gute Politik kann Vertrauen schaffen. Aber sie muss sichtbar und nah an den Menschen sein.
„Wähler*innen sind nicht ,rechtsradikaler’ geworden.
Vielmehr haben sich ihre Prioritäten verschoben, von ökonomischen Themen hin zu soziokulturellen.“
Warum konnten rechte Parteien in den letzten 15 Jahren so stark wachsen – stärker als Konservative oder Sozialdemokraten? Eine Datenauswertung des Economist zeigt, dass die extreme Rechte europaweit nun die stärkste Kraft ist.
Weil sie sich langfristig als Alternative positioniert haben. Sie haben klare, emotional aufgeladene Narrative angeboten. Mainstreamparteien hingegen haben sich oft der Logik des Sachzwangs unterworfen, so als gäbe es keine Alternative zur neoliberalen Politik. Gerade bei der Sozialdemokratie konnte man in den 1990ern und 2000ern gut beobachten, wie sie sich nach Rechts bewegt haben. Rechtaußen-Parteien vermitteln ein klares Weltbild und eine klare Ideologie. Das fehlt vielen anderen.
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Zum Begriff Mainstreamparteien: In Anlehnung an eine
Studie von Akkerman und Kolleg*innen definiert Gabriela Greilinger Mainstreamparteien als etablierte Parteien, die programmatischen Zentrismus verfolgen und Positionen vertreten, die mit den Prinzipien der liberalen Demokratie sowie den formellen Regeln der Politik vereinbar sind.
Jahrelang gab es Kritik an der globalen Freihandelspolitik, die ungehört verpufft ist. Nun gelingt es aber ausgerechnet einem Politiker wie Donald Trump, daraus Kapital zu schlagen. Warum können gerade rechte Parteien Kritik viel eher in Erfolg ummünzen als linke Parteien?Rechtsextreme Parteien haben jahrelang daran gearbeitet, mit ihren Themen und Anliegen eine Deutungshoheit im Diskurs zu etablieren. Eine relativ neue Studie zeigt auch, dass der Erfolg rechtsradikaler Parteien nicht etwaigen Veränderungen in den Einstellungen der Wählerinnen zuzuschreiben ist – sprich, Wähler*innen sind nicht „rechtsradikaler“ geworden.
Vielmehr haben sich ihre Prioritäten verschoben, von ökonomischen Themen hin zu soziokulturellen. Das wiederum kann damit zusammenhängen, dass rechtsradikale Parteien eben in diesen Bereichen eine Deutungshoheit errungen haben.
Die etablierten Parteien haben an Profil und Ideologie verloren. Wenn man sich heute eine Mainstreampartei anschaut – egal ob Sozialdemokratie oder Konservative – ist es schwer zu sagen, wofür die Partei steht und welche Interessen sie vertritt. Bei rechtsextremen Parteien weiß man genau, wofür sie stehen, was ihre Ideen und ihre Prioritäten sind. Die Grünen sind vielleicht die einzigen, denen das auch gelungen ist.
Kann man dem überhaupt noch etwas entgegensetzen?
Es wäre möglich – aber es braucht Zeit. Ideen müssen entwickelt, Prinzipien vermittelt und Diskurse aktiv gestaltet werden. Die KPÖ zeigt etwa in Graz, wie das im Kleinen funktioniert: durch Präsenz vor Ort, durch Ansprechbarkeit, durch konkrete Hilfe. Das stärkt das Vertrauen in demokratische Strukturen. Und genau das ist der Schlüssel.
Sie forschen in den USA zu Rechtsextremismus – wie erleben Sie persönlich die politische Lage dort?
Der Druck ist spürbar, auch wenn ich persönlich bisher nicht betroffen bin. Fördermittel werden gekürzt, Visa-Vergaben schwieriger. Und natürlich fragt man sich als Wissenschafterin, wie sehr man über die eigene Forschung noch reden kann, wenn es nicht der Politik des Landes entspricht. Die Sorge ist da, es ist eine abstrakte, aber reale Gefahr. Woanders hinzugehen ist keine Option, weil ich gerade mitten in meinem Doktoratsstudium bin. Ich werde so wie hunderttausende andere ausharren und meine Arbeit so gut es geht fortführen.
Gabriela Greilinger ist Politikwissenschaftlerin und PhD-Studentin an der University of Georgia, School of Public and International Affairs. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit dem Aufstieg der radikalen Rechten, politischem Verhalten, demokratischen Erosionsprozessen und europäischer Politik. Besonders interessiert sie das Zusammenspiel von rechtsextremen Bewegungen und politischer Psychologie.