„Es ist ein Pulverfass“
Straflandesgericht Wien, Montag, 01. Juli: Der Angeklagte vor Beginn des Prozesses. Bild: Roland Schlager / APA / picturedesk.com
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Christof Mackinger
Reporter

„Es ist ein Pulverfass“

Anfang Juli wurde ein 21-jähriger Wiener zu einer Haftstrafe verurteilt: Als Teenager radikalisierte er sich online und war Mitglied der „Feuerkriegs Division“, einer besonders gewaltbereiten, internationalen Neonazi-Organisation. Der Rechtsextremismus-Experte Florian Zeller erklärt, wie diese Online-Radikalisierung funktioniert und warum sie vor allem junge Männer betrifft.



tag eins: Herr Zeller, was ist die „Feuerkriegs Division“?
Florian Zeller: Die „Feuerkriegs Division“ hat ihre Wurzeln im neonazistischen Internet-Forum „Iron March“. Dort ist 2015 die „Atomwaffen Division“ entstanden, die gewissermaßen ein Konzept zur Organisation von Neonazi-Gruppen sein sollte, etwa welche Symbolik und Ästhetik diese nutzen könnten und so weiter. Daraus sind Ableger in Australien, Kanada, Großbritannien und weiteren europäischen Ländern hervorgegangen, einer davon nannte sich die „Feuerkriegs Division“. 

Was weiß man über die „Feuerkriegs Division“? Manche ihrer Mitglieder waren sehr jung, ihr Wortführer gerade mal 13 Jahre alt.
Gruppen wie die „Atomwaffen Division“ und die „Feuerkriegs Division“ bestehen vor allem aus jungen Männern, die sich in virtuellen, sozialen Räumen finden. Ihre Ideologie baut auf Vernichtungsphantasien auf, dabei steht die Vorstellung eines „Rassenkrieges“ im Zentrum. Sie verwendet nationalsozialistische Symbolik wie das FKD-Logo, das den SS-Division-Totenkopf beinhaltet.

Im Zentrum ihrer Ideologie stehen Antisemitismus, antimuslimischer Rassismus, Antifeminismus und Homo- und Queerfeindlichkeit. Teil ihres Denkens ist die Erzählung vom Bevölkerungsaustausch, gerade im US-amerikanischen Kontext ist auch der Glaube an einen „White Genocide“, also die Vorstellung von Plänen zur Auslöschung der „weißen Rasse“, stark verbreitet. In ihrem Verschwörungsglauben denken die Handelnden, sie würden sich gegen eine vermeintliche jüdische Übermacht verteidigen. Die Verortung in solch einer Verteidigungsrolle führt zur Gewalt, die in diesen Foren vorbereitet wird. ___STEADY_PAYWALL___ Dort wird Wissen zur Vorbereitung auf Anschläge ausgetauscht, etwa wie man mit 3D-Druckern Waffen bauen kann, wie man Bomben baut, zumindest bei der „Atomwaffen Division“ in den USA sind auch Schießübungen und Kampfausbildungen bekannt. Ausgehend davon ergeht der „Call for action“. Ist diese einmal durchgeführt, scheinen auch Parallelen zum Islamismus durch, etwa eine Art Märtyrerverehrung.

Sie bezeichnen Rechtsterroristen wie den Christchurch-Attentäter als „Saints“, also als Heilige.

Zusammenfassend kann die „Feuerkriegs Division“ dem militanten Akzelerationismus zugeordnet werden.

Was bedeutet Akzelerationismus?
Das Wort leitet sich aus dem lateinischen „accelerare“ ab, also vom Verb „beschleunigen“. Die Theorie ist nicht zwangsläufig rechtsextrem, sondern entspringt einer bestimmten Kapitalismusanalyse. Die grobe Idee dahinter ist, dass der Kapitalismus bestimmte Widersprüche erzeugt. Statt diese Widersprüche aufzulösen oder in anderer Form zu bekämpfen, sollen diese zugespitzt werden. Als Vergleich: Stellt man sich den Kapitalismus als einen fahrenden Zug vor, gilt es nicht die Notbremse zu ziehen, um ihn anzuhalten, sondern ihn so anzuheizen, bis er entgleist. 

Ein Teil des Akzelerationismus kommt aus einer kapitalismuskritischen Ecke und wird in linken, philosophischen Kreisen debattiert.

In diesem Fall relevanter ist die Auslegung, die auf den Philosophen Nick Land zurückgeht. Bei ihm steht viel weniger im Fokus, dass sich der Kapitalismus überholt habe, sondern dass die Demokratie überholt sei. Er nennt das „Dark Enlightment“. Ihm schwebt ein techno-dystopisches Gesellschaftsmodell vor, eine Art kapitalistische Monarchie, an deren Spitze Konzern-CEOs schalten und walten sollen. Das ist gewissermaßen die zweite, eher ins Rechte, Reaktionäre gehende Auslegung, die auch „Neoreaktion“, kurz „NRx“ genannt wird.

An diesen Gedanken knüpfen Rechtsextreme heute an. Vor allem die Mobilisierung um die „Unite the Right“-Proteste 2017 in Charlottesville, Virginia waren ein Wendepunkt für die extreme Rechte in den USA, aber auch weltweit. Im Anschluss gewannen auch die Ideen an Bedeutung, die heute für den rechtsextremen und militanten Akzelerationismus relevant sind:

Es geht nicht mehr um einen Führerstaat, wie bei anderen Rechtsextremen.

Vielmehr geht es darum, Zellen zu bilden und Anschläge zu verüben, mit dem Ziel die Gesellschaft zu destabilisieren. Das wäre dann die zitierte Beschleunigung. Hier waren Schriften wie die „Turner Diaries“ und „Siege“ zentral. James Mason ruft in „Siege“ etwa dazu auf, durch Morde und Anschläge einen „Rassenkrieg“ auszulösen. Mason wollte keine breite Bewegung begründen, klandestine Zellen sollten diesen Plan ausführen. Das ist für den neonazistischen Akzelerationalismus bis heute ein zentrales Element.

Wie unterscheidet sich diese Art von Rechtsextremen von den herkömmlichen Neonazis?
Sie sind viel internetaffiner und betreiben kein Versteckspiel, wie wir es von vielen neonazistischen Gruppen in Österreich kennen. Diese versuchen häufig, ihren nationalsozialistischen Hintergrund teilweise zu kaschieren, um nicht über die Grenze des NS-Verbotsgesetz zu gehen. In den Foren der „Atomwaffen Division“ und Co. ist es anders: Die User agieren sehr viel expliziter, direkt neonazistisch. Sie streben keine große Partei oder Massenbewegung an. Stattdessen haben sie diese Zellenstruktur, um sich als führerlosen Widerstand zu organisieren.

Hier liegt auch die größte Gefahr: Durch den Zugang zum Internet können diese Räume schnell junge Menschen erreichen.

Rechtsextremismus steht immer im Zusammenhang mit Männlichkeit. Dieses Kriegerische, Heldenhafte spricht junge Männer an. Gerade in der Adoleszenz, in dieser Phase der Identitätsfindung, kann rechtsextreme Ideologie anknüpfen, wenn sie direkt verfügbar ist, wie in dem Fall durch soziale Medien. 

In den Chats des erwähnten jungen Wiener Neonazis waren etwa 60 bis 70 Leute aktiv. Wie groß ist diese Szene tatsächlich?
Ich kann dazu keine gesicherte Zahl nennen, würde aber von einem größeren Dunkelfeld ausgehen. Diese Gruppe, gegen die aktuell ermittelt wird, hat relativ gut verschlüsselte Online-Chats genutzt. Deswegen ist nicht genau einzuschätzen, wie viele derartige Gruppen in weiteren Online-Räumen existieren.

Der zuletzt verurteilte Neonazi hat, während er in diesen Gruppen aktiv war, seinen Dienst beim Bundesheer absolviert. Dort musste er jüdische Einrichtungen bewachen – und hat dies offenbar ohne Zwischenfälle auch getan. Sind die Mitglieder solcher Chats vielleicht auch einfach nur jugendliche Angeber? Wie groß ist die Gefahr wirklich?
In diesen Räumen werden Tausende erreicht. Selbst wenn der überwiegende Teil nicht zur Tat schreitet, tun es vielleicht ein oder zwei. Darin besteht die große Gefahr. Es werden Informationen zu Bombenbau ausgetauscht, man motiviert sich gegenseitig zu Anschlägen. Es ist ein Pulverfass, bis jemand wirklich losschlägt. Und das kommt immer wieder vor. Ein Beispiel ist der Attentäter von Halle in Deutschland, der 2019 eine Synagoge angegriffen und zwei Menschen getötet und mehrere verletzt hat. Er war davor in derartigen Netzwerken aktiv, er hat selbstgebaute Waffen benutzt, wie es in diesen Kanälen propagiert wird. Ich würde ihn ebenso diesem Spektrum zuordnen wie den Attentäter von Christchurch in Neuseeland, der 2019 51 Menschen ermordet hat.

Deshalb halte ich es für sehr gefährlich, in dem Zusammenhang von einem Einzeltäter oder einem „Lone Wolf“ zu sprechen. Es ist wichtig, diese Attentäter nicht als einzeln Handelnde zu sehen, sondern in ihren Online-Zusammenhängen, in denen sie sich fanatisiert haben. 

Was kann gegen eine solche Art der Online-Radikalisierung getan werden?
Ganz wichtige Einstiegspunkte sind erstens, dass es nicht genug Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus geben kann, und zweitens, dass es im Kampf gegen Desinformation und Verschwörungsglaube mehr Aufklärung braucht. Speziell bei diesem Phänomen ist es zudem zentral, digitale Räume als Plattformen, die Fanatisierung hervorbringen, ernstzunehmen. Das gilt nicht nur für die Behörden, sondern auch für Medien. Wenn derartige Attentäter als Einzeltäter verharmlost werden, fehlt der Blick auf die Netzwerke und Dynamiken, die dahinter stehen. Und eine spezielle Verantwortung kommt den Betreibern von sozialen Medien zu. Wenn soziale Medien und Messenger die Bildung derartiger Räume zulassen und nicht moderierend eingreifen, machen sie es den Akteuren leichter. Das Deplatforming, also das Vertreiben aus den öffentlichen, leicht erreichbaren Plattformen, hat eine Wirkung. 

Florian Zeller arbeitet in der Abteilung Rechtsextremismus beim Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). Dort beobachtet, analysiert und beforscht er Rechtsextremismus und macht Bildungsarbeit dazu.
Autor*in: Christof Mackinger

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