Dicke Luft
„Luftqualität: Extrem schlecht“ – diese beunruhigende Nachricht hatten in den letzten Tagen etwa iPhone-Nutzer*innen in ihrer Wetter-App.
Daten der Europäischen Umweltagentur (EEA), zu denen tag eins Zugang hat, zeigen, dass die österreichische Gesellschaft Kosten für industrielle Luftverschmutzung im Jahr 2021 von mindestens 2,9 Milliarden Euro tragen musste. Die Berechnung ergibt sich aus den Kosten durch vorzeitige Todesfälle, Krankheiten und Schäden an Ökosystemen, die auf Luftverschmutzung zurückzuführen sind.
Basis der Kostenberechnung ist das europäische Schadstoffregister PRTR (European Pollutant Release and Transfer Register), in dem alle Industrieunternehmen ab einer bestimmten Größe die verursachte Luftverschmutzung gesetzlich anmelden müssen. Insgesamt 30.000 Industriebetriebe und 20.000 große Bauernhöfe sind verpflichtet zu melden, wie viel giftige Substanzen sie ausstoßen.
CORRECTIV.Europe hat gemeinsam mit tag eins und vielen weiteren Redaktionen die europäischen Luftverschmutzungsdaten ausgewertet und veröffentlicht die Recherche zeitgleich in vielen Ländern. Europaweit verursacht Luftverschmutzung aus Industrieanlagen und Tierfabriken einen Schaden von über 200 Milliarden Euro.
Der Großteil der errechneten Kosten für Luftverschmutzung geht auf die Treibhausgase Kohlenstoffdioxid (CO2), Methan (CH4) und Lachgas (N2O) zurück. Die Luftverschmutzung entsteht in Österreich vor allem im Energiesektor, in der Mineral verarbeitenden Industrie, in der Papier- und Holzindustrie sowie in der Metallindustrie.
Bricht man die verursachten Kosten auf einzelne Anlagen herunter, war zum Zeitpunkt der Auswertung das voestalpine Stahlwerk im steirischen Donawitz mit 447 Millionen Euro oder rund 3 Millionen Tonnen Kohlendioxid, je rund 1.000 Tonnen Stickoxiden und Schwefeloxiden sowie 129 Tonnen Feinstaub (PM10) die kostenintensivste Anlage.
In der Kostenberechnung fehlt allerdings der größte Brocken: In der Regel ist das Linzer Stahlwerk der voestalpine Österreichs größter Verursacher von Treibhausgasen. Jedoch gab es Probleme bei der Verschmutzungsmeldung beim Linzer voestalpine Werk für das Jahr 2021, die bisher nicht bekannt waren. So konnte es in der Kostenberechnung der Europäischen Umweltagentur nicht berücksichtigt werden.
Die Meldung für 2021 wurde laut Europäischer Umweltagentur verspätet nach Brüssel übermittelt. Laut EEA habe Österreich überhaupt erst im Sommer 2023 die Verschmutzungsdaten des Linzer Stahlwerks für die Jahre 2018, 2020 und 2021 übermittelt – eigentlich müssen die Daten spätestens elf Monate nach Jahresablauf nach Brüssel geschickt werden. Auch für das vergangene Berichtsjahr 2022 sowie für 2019 (!) fehlen nach wie vor die Schadstoffmeldungen im europäischen Register.
„Die Meldung 2019 musste vom Betreiber korrigiert werden und wird nach erneuter Prüfung an die EU-Kommission übermittelt, die Meldung 2022 wird aktuell geprüft“, sagt Pressesprecherin Sabine Enzinger vom österreichischen Umweltbundesamt auf Anfrage. Die voestalpine Aktiengesellschaft konnte für die Verzögerung trotz einer 6-tägigen Beantwortungsfrist keine Erklärung liefern. „Die voestalpine kommt allen gesetzlichen Melde- und Berichtspflichten nach und veröffentlicht ihre Emissionen regelmäßig“, heißt es in einem schriftlichen Statement. Der oberösterreichischen Landesregierung sind als zuständige Genehmigungsbehörde auf Anfrage keine Probleme bekannt.
Laut der verspäteten Meldung für 2021 hat das voestalpine Werk in Linz 9,34 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen – das ist mehr als dreimal so groß wie die Luftverschmutzung der nächstgrößten Anlagen, dem Stahlwerk in Donawitz. Insgesamt sorgt das voestalpine Stahlwerk für rund 12 Prozent des gesamten Treibhausgasemissionen Österreichs im Jahr 2021. Die gesellschaftlichen Kosten dafür liegen gemäß Überschlagsrechnung zwischen 1 Milliarde und 1,4 Milliarden Euro.
In den letzten Jahren hat sich die Luftqualität – dank strenger Gesetze – verbessert, trotzdem bleibt das Thema relevant. Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur verursacht Luftverschmutzung in Europa jährlich über 360.000 vorzeitige Todesfälle. Kein Kontinent erwärmt sich schneller als Europa. Die Datenauswertung zeigt, dass der Staat Österreich die europarechtliche Verpflichtung zur Meldung von Luftverschmutzung auf die leichte Schulter nimmt.
Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von tag eins mit CORRECTIV.Europe, einem Netzwerk für Lokaljournalismus, das gemeinsam mit Nachrichtenredaktionen in ganz Europa datenbasierte und investigative Recherche umsetzt. CORRECTIV.Europe ist Teil des gemeinnützigen investigativen Newsrooms CORRECTIV, der durch Spenden finanziert wird. Mehr unter correctiv.org/en/europe/
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