Im Fokus der Berichterstattung über das Attentat von Villach und den verhinderten Anschlag am Wiener Westbahnhof steht gerade die Radikalisierung von Tätern über TikTok. Sollten wir darüber gerade sprechen?
Moussa Al-Hassan Diaw: Nein, nicht wirklich. Für uns ist der Fokus auf TikTok nicht ganz erklärlich. TikTok ist nur eine von vielen Plattformen, die von unseren Klienten regelmäßig genutzt wird, um sich auszutauschen. Das gleiche gilt auch für den Meta-Konzern, unsere Klienten benutzen genauso Instagram, WhatsApp und Telegram.
Ich habe das Gefühl, es gibt eine bestimmte politische Agenda, was TikTok betrifft und man versucht das gerade zu instrumentalisieren. Man sieht die Lösungen ausschließlich darin, eine Plattform zu verbieten. Es ist aber fast lächerlich, zu glauben, dass man ohne TikTok keine Radikalisierungen, keinen Terrorismus und keinen Extremismus mehr hätte. Den gibt es schon länger.
Wie hat sich Online-Radikalisierung in den letzten Jahren verändert?Die radikalisierten Personen nutzen verschiedene Plattformen, hauptsächlich auf ihrem Mobiltelefon, um miteinander zu kommunizieren. Vor 20 Jahren haben sie halt noch den PC eingeschaltet, um das zu tun. Heute kann man schneller Videos, Fotos und Materialien transportieren. Unsere Klienten benutzen hauptsächlich Instagram und Telegram, um miteinander privat zu kommunizieren. Die Profile sind meistens auf privat gestellt.
Welche Präventionsmaßnahmen helfen aus Ihrer Sicht denn wirklich?Zum einen – was ja auch passiert – dass man Workshops anbietet und Leute gegen radikale Erzählungen immunisiert. Indem man vorwegnimmt, was sie wahrscheinlich schon gehört haben oder bald hören werden.
Das zweite ist, direkt mit den Leuten zu arbeiten, die radikalisiert sind. Da wird zumindest unserem Verein die Arbeit im Moment richtig schwer gemacht, weil die Analyse nicht stimmt. Man glaubt, es geht hauptsächlich um psychosoziale Aspekte, die eine Rolle in der Radikalisierung spielen, man sagt etwa, es sei die Pubertät und das gehe wieder vorbei. Aber so verharmlost man die Dinge. Die Arbeit jener, die an extremistischen Ideologien arbeiten, wird so beschränkt. Das ist frustrierend.
Drittens muss es einen Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren geben. Den gibt es im Moment aber nicht. Das ist vielleicht etwas systemisch, jeder kocht sein eigenes Süppchen in seiner eigenen Gruppe, seiner eigenen Berufsgemeinschaft und seinem eigenen Ministerium. Jeder wacht eifersüchtig darüber, dass ja keine Informationen rausgehen, damit man nachher sagen kann, wir waren es nicht. Auch das ist frustrierend.
Wie sieht es mit der Finanzierung von Vereinen wie DERAD aus?
Bei uns sieht es schlecht aus. Aus dem Justizministerium heißt es im Moment, mehr ist nicht möglich. Außerdem seien die meisten nicht radikal, sondern es gebe psychosoziale Problematiken und es sei nicht notwendig, dass wir mit diesen Leuten arbeiten. Wir haben ein Zwei-Zimmer-Büro.
In den Bundesländern haben wir gar kein Büro, wir müssen befreundete Organisationen fragen, ob sie uns Gespräche mit den Klienten zur Verfügung stellen. Von manchen Gerichten werden auch die Gespräche mit den Klienten, die eine Weisung vom Gericht bekommen haben, mit uns zu arbeiten, nicht mehr bezahlt. Sie weigern sich zu bezahlen. Das Justizministerium könnte hier eingreifen.
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