Die Positionen der FPÖ zu Sachthemen sind wenig bekannt. Bild: Dominik Ritter-Wurnig
Dominik Ritter-Wurnig
Gründer
FPÖ-Wirtschaftsprogramm als Mogelpackung
Das FPÖ-Wirtschaftsprogramm schwankt zwischen libertärer Kürzungsphantasie und Milliarden-Steuerzuckerl für die eigene Klientel. Doch eigentlich plant die Partei eine „Schlankheitskur“ für die Republik. Bei wem gespart werden soll, will man aber vor der Wahl nicht verraten.
Statt über echte Probleme wie Inflation, Rezession, Arbeitslosigkeit oder die Pflegekrise spricht die FPÖ meistens über Themen, die sie ideologisch und kulturkämpferisch ausschlachten kann. Nichts liebt die FPÖ mehr als den emotionalen Aufreger. So kommt das Wort „Asyl“ im blauen Wahlprogramm 58 Mal vor, das Wort Pflegekrise nur einmal.
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Jede Partei hat „ihre“ Themen, für die sie bekannt sind, für die sie stehen, für die sie gewählt werden. Besonders an der FPÖ ist allerdings, dass sie trotz ihrer Größe im medialen und politischen Diskurs oft damit durchkommt, sich bei Sachthemen inhaltlich nicht zu positionieren. Oder kennst du die Positionen der FPÖ zum Pensionsantrittsalter, der Staatsverschuldung oder zur Konjunkturbelebung?
Nein? Dann wollen wir das jetzt ändern.
FPÖ sieht Politik als „Problemverursacher“
Aus dem eigentlichen Wirtschaftsprogramm der FPÖ aus dem Jahr 2017 lächelt einem noch Heinz-Christian Strache entgegen. Damals positionierten sich die Freiheitlichen noch mit dem Label „soziale Heimatpartei“, eine Formulierung, die sich im Wahlprogramm 2024 nicht mehr wiederfindet.
In den vergangenen Oppositionsjahren hat die FPÖ immer wieder soziale Forderungen (Preisregulierung in der Inflationskrise, Bankensteuer, höheres Arbeitslosengeld) erhoben, gleichzeitig spricht Herbert Kickl im ORF-Sommergespräch von Steuersenkungen in Höhe von 15 bis 20 Milliarden Euro.
Es ist der Widerspruch, der sich seit Jahrzehnten durch die Politik der FPÖ zieht: Traditionell ist die FPÖ wirtschaftsfreundlich, ihr Personal rekrutiert sich aus der Oberschicht und in der Regel sind es Akademiker*innen. Die Wähler*innen haben hingegen oftmals niedrige Bildungsabschlüssen und Abstiegsängste. Die Antworten der Wählerschaft auf soziale Fragen divergieren. Der Kitt, der die Partei zusammenhält, ist die Ablehnung von Migration und allem, was Grün ist. ___STEADY_PAYWALL___
Dieser Widerspruch, ja diese Bruchlinie, zieht sich auch durch die wirtschaftlichen Aspekte des Wahlprogramms.
So sprüht das grundlegende Eingangsstatement (siehe Screebshot) von einem libertären Geist. Der Politik und damit dem Staat wird hier global die Kompetenz abgesprochen, Probleme zu lösen; ja, der Staat ist das Problem an sich. Federführend verantwortlich für die wirtschaftliche Ausrichtung der FPÖ ist neben dem Burschenschafter und Ex-ÖBB-Manager Arnold Schiefer (Platz 15 auf der FPÖ-Bundesliste), die Wirtschafswissenschafterin Barbara Kolm, die als Sechste auf der Bundesliste der FPÖ für den Nationalrat kandidiert. Kolm bezeichnet sich auf ihrer Webseite selbst als „leading female libertarian in Europe“.
Neben der Kürzung staatlicher Leistungen strotzt das Wahlprogramm aber von Steuerzuckerl, Boni und Vergünstigungen für FPÖ-erwünschtes Verhalten.
Die 67 Wahlzuckerl
Hier sind 67 Forderungen aus dem Wahlprogramm der FPÖ, die der Allgemeinheit Milliarden Euro kosten würden:
Senkung der Körperschaftssteuer
Abschaffung der CO2-Steuer
Deutliche Reduktion der NoVA auf Kraftfahrzeuge
Erhöhung des gesetzliche Kilometergeldes
Erhöhung des Pendlerpauschales
Mindestens ein Bankomat in jeder der 2.093 Gemeinden
Gebührenfreies Geldabheben
Günstige Wohnungen für junge, kinderreiche Familien
Aussetzung der Kapitalertragsteuer bei Sparbüchern
Erhöhung der Bausparprämie
Steuerbefreiung von Aktiengewinnen, wenn man die Aktien mind. drei Jahre hält
Gebühren für den Kauf und Verkauf von Wertpapier steuerlich absetzbar
Abschaffung der Leerstandsabgabe der Bundesländer
Abschaffung der Lohnnebenkosten
Ausbau des Angebots an Psychotherapie und Psychiatrie
Unternehmen sollen Mitarbeitern steuerfrei Mitgliedschaften in Fitnessstudios und Sportvereinen finanzieren
Gehaltserhöhung für Polizist*innen
Mehr Planstellen in der Justizwache
Erhöhung der Werbungskostenpauschale
Erhöhung des Veranlagungsfreibetrages
Mitarbeiterprämien bis 5.000 Euro sollen von Lohnsteuer ausgenommen werden
„Abgabenentlastung“ für Pflegekräfte
5.000 Euro staatliche Prämie für Lehrlinge
5.000 Euro staatliche Prämie für Meisterprüfung
Lehrlinge sollen von Lohnsteuer befreit werden
Breitbandausbau rasch vorantreiben
Preisdeckelung für Benzin und Diesel im Fall von Teuerung
temporäres Aussetzen der Mineralölsteuer im Fall von Teuerung
Ausweitung der Pauschalierung und Erhöhung der Umsatzgrenzen für Kleinunternehmer
Reduktion der Körperschaftsteuer auf 10 Prozent für kleine GmbHs (derzeit: 23 Prozent)
neuer Innovations-Investitionsfreibetrag für Unternehmen
massive Ausweitung der Steuerbefreiung auf Überstunden
massive Steuerentlastung für Berufseinsteiger unter 25 Jahren
massive Steuerentlastung für junge Unternehmensgründer*innen
Steuerermäßigung bei Familiengründung
steuerlicher Alters-Bonus für Erwerbstätige über 60 Jahren
Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge für Erwerbstätige über 60 Jahren
Steuerbefreiung für Erwerbstätige, die über das gesetzliche Pensionsantrittsalter hinaus arbeiten
Höhere Bezahlung von Unteroffizieren und Offizieren des Bundesheeres
Strom-Preisdeckel im Fall von Teuerung
Mehr Investitionen in Forschung
Steuerlicher Vorteil für „Betriebe in österreichischem Besitz, die in Österreich rot-weiß-rote Produkte erzeugen oder verarbeiten“
Kinderbetreuungszeiten bis zum Volksschulalter zählen als Pensionsversicherungszeiten
Kinderbetreuungsangebote 24/7 im ganzen Land
Steuerentlastung für Verheiratete
Erhöhung der Mindestpensionen
Wer in der Pension arbeitet, soll einen Steuerbonus bekommen und von Sozialversicherungsbeiträgen befreit sein
Steuerfreibetrag für betriebliche Pensionsversicherung
Senkung der Versicherungssteuer für Lebensversicherungen und private Pensionsversicherungen
Steuerfreies Vorsorgedepot für die Altersvorsorge
Abschaffung des ORF-Beitrags
Abschaffung der Pflichtmitgliedschaften in Wirtschafts- und Arbeiterkammer sowie der ÖH
Abschaffung des letzten Drittels der kalten Progression
Preisdeckel für Grundnahrungsmittel im Fall von Teuerung
Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundbedürfnisse im Fall von Teuerung
Steuerbegünstigung für Milizsoldat*innen sowie für ehrenamtliche Mitglieder der Blaulichtorganisationen und für ehrenamtliche Sportfunktionär*innen
Erhöhung des Freibetrags der Grunderwerbsteuer bei Unternehmensübergaben
Gesetzliche Krankenkasse soll bei dringendem Bedarf Wahlarzt bezahlen
„Anreize“ zur Medikamentenproduktion in Österreich
Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Ärzt*innen und Pflegekräfte
Gehälter von Pflegekräften sollen vorübergehend von der Lohnsteuer befreit werden
Gehalt für Pflegeschüler*innen
Zusätzlicher „Pflegescheck“ zum Pflegegeld
Mehr Geld für 24-Stunden-Pflege daheim
Schaffung eines neuen „Inklusionsfonds“
Investitionen in Infrastruktur (Schiene, Straßen, Tiefbau)
Umgekehrt finden sich gerade einmal fünf Forderungen, die sich positiv auf das Budget auswirken könnte:
Gewinne durch die Umwidmung von Grundstücken abschöpfen
Sozialleistungen nur noch für Österreicher*innen (Anm.: Das wäre laut Expert*innen verfassungswidrig.)
Einschränkung der medizinischen Versorgung von Asylwerber*innen
Beseitigung der Steuervorteile für elektrische KFZ
Abschaffung des Klimabonus
Hier geht es nicht um eine Bewertung der geplanten Maßnahmen im Detail, aber jede und jeder erkennt sofort, dass die FPÖ plant, massiv Geld auszugeben, das Budgetdefizit zu erhöhen und die Staatsverschuldung in die Höhe zu treiben.
Die Wahlzuckerl kosten Milliarden, allein die geplante Senkung der Abgabenquote auf 40 Prozent hat ein Volumen von circa 20 Milliarden Euro. Doch das Wahlprogramm bleibt vage. Genaue Zahlen, wie viel die Maßnahmen kosten sollen oder wie sie finanziert werden sollen, bleiben offen. Neue Steuern, etwa auf große Vermögen- oder Erbschaften, schließt die Partei explizit aus.
Eigentlich plant FPÖ eine Schlankheitskur
Wobei: Bei der Präsentation des Wirtschaftsprogramm von Schiefer und Kolm Anfang September blitzt durch, was die FPÖ wirklich geplant hat. Die beiden geben sich freundlich und verständnisvoll; ihr Auftreten ist ganz anders als der polternde Stil von Parteichef Kickl, der in alle Richtungen austeilt.
„Wir halten nichts davon, zum jetzigen Zeitpunkt irgendwelche Sparpotenziale groß hinaus zu posaunen“, sagt Schiefer dort. Und: „So richtig gespart wurde in Österreich noch nie. Eine kleine sozialverträgliche Schlankheitskur wäre jetzt angesagt.“
Griechische Austerität als Vorbild
Anstatt den Wählern und Wählerinnen reinen Wein einzuschenken, lullt die FPÖ sie also mit Steuerzuckerln ein. Für jede Klienteluntergruppe der FPÖ scheint etwas dabei zu sein – selbst an die Unteroffiziere und Vereinsmeier hat man gedacht.
Dabei plant die FPÖ den massiven Systemumbau: Von der österreichischen sozialen Marktwirtschaft Richtung libertären Turbokapitalismus. Als Vorbild dient der FPÖ-Politikerin Kolm dabei ausgerechnet Griechenland: „Die haben das jetzt wirklich geschafft, sich selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Die haben genau das getan: mehr Freiräume für die Menschen und für die Unternehmen geschaffen und sich wenig einzumischen; also dort gibt es wirklich wenig Vorschriften und wenig Bürokratie.“
Was Kolm nicht erwähnt: Im Nachgang der Euro- und Griechenland-Krise fuhr die griechische Regierung eine rigide Spar- und Austeritätspolitik. Staatsbesitz wie Häfen, Flughäfen und Autobahnen wurden verkauft, die 6-Tage-Arbeitswoche eingeführt. Das Wirtschaftswachstum ist zwar höher als in der restlichen Eurozone, aber auf wessen Kosten? Die Arbeitslosenquote ist mit 9,9 Prozent die zweithöchste der EU, 18,9 Prozent der Griech*innen sind armutsgefährdet, das Durchschnittseinkommen beträgt gerade einmal 9.520 Euro, die Reallöhne liegen bei 71 Prozent des Vorkrisenniveaus, die Investitionsquote ist nirgends in der EU niedriger.
Insgesamt bleibt im FPÖ-Wirtschaftsprogramm das meiste im Dunklen. Was bei anderen Parteien bemängelt werden würde, rutscht im medialen Diskurs über die FPÖ durch.
Ja, die Freiheitlichen trauen sich sogar noch zu behaupten, die Stabilitätskriterien einhalten zu wollen und die Schuldenpolitik zu stoppen. „Ich glaube, dass es möglich sein müsste, über den fünfjährigen Zeitraum der Regierungsarbeit, dann in Richtung eines ausgeglichenen Budgets zu arbeiten“, sagt Schiefer, der immer wieder als möglicher Finanz- oder Wirtschaftsminister der FPÖ gehandelt wird. Das klingt nach Hokus-Pokus: Einerseits will die FPÖ viel ausgeben bzw. Steuern senken, andererseits soll gespart werden und ein ausgeglichenes Budget erreicht werden.
In Anbetracht der Fülle an teuren Forderungen kann man das eigentlich nur noch so nennen: Verorschung der Wähler*innen.
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