Die FPÖ in Talkshows? Ganz normal
Politische Talkshows laden auffällig oft Gäste aus dem FPÖ-Umfeld ein, zeigt eine exklusive Datenanalyse von tag eins.
Christoph Pöchinger, Anzugweste, Haare im Seitenscheitel nach links gegelt, kritisiert im Abendprogramm von ServusTV, dass die AfD als rechtsextrem bezeichnet wird, bloß „weil vier Funktionäre Unsinn reden“.
Der Geschäftsführer einer Kommunikationsberatung ist ein „mitteilungsbedürftiger Mensch“, sagt er tag eins am Telefon. Auch deswegen trat er seit Anfang 2024 mindestens 19 Mal in österreichischen Polit-Talkshows auf.
Pöchinger gilt als FPÖ-nahe – eine Beschreibung, die ihn früher geärgert habe, ihm mittlerweile aber „wurscht“ sei. Seine Verbindungen zu den Freiheitlichen und seine Sympathien für die laut deutschem Bundesamt für Verfassungsschutz in Teilen gesichert rechtsextreme AfD sind für seine TV-Auftritte kein Hindernis. Im Gegenteil.
Mittlerweile würden Fernsehsender es als Aufgabe sehen, auch diesen Teil des politischen Spektrums darzustellen, sagt Pöchinger. „Ich vertrete das gerne.“ Und er vertritt es oft: Pöchinger gehört zu den häufigsten Talkshow-Gästen mit Verbindungen zur FPÖ.
Freiheitliche Gäste kommen häufiger vor als SPÖ, Grüne oder NEOS
FPÖ-Funktionär*innen und Sympathisant*innen saßen seit Jänner 2024 mindestens 240 Mal in politischen Talkshows. Nur die Kanzlerpartei ÖVP kommt öfter vor – 285 Mal.
Das zeigt eine Auswertung von tag eins in Kooperation mit dem Programmierer Mario Zechner. Informationen zu 15 politischen Diskussionsformaten von sieben Sendern wurden dafür automatisiert gesammelt (hier unbereinigt frei verfügbar zum Download), bereinigt und ausgewertet.
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Über die Datenanalyse
Folgende Diskussionssendungen sind Teil der Datenauswertung: Club 3 - der Politik-Talk (Kronen Zeitung), RAINER NOWAK der Talk (Kronen Zeitung), Checkpoint (KURIER TV), Zeit im Bild 2 (ORF), Pressestunde (ORF), Report (ORF), Ö1 Journal (ORF), Talk im Hangar-7 (ServusTV), Links. Rechts. Mitte – Duell der Meinungsmacher (ServusTV), Wild Umstritten (PULS 24), Pro & Contra (PULS 24), Milborn (PULS 24), Aktuell – Der Talk (ATV), Aktuell – Die Woche (ATV), FELLNER! LIVE (OE24).
Die politischen Verbindungen von Gästen wurden entweder von der Sendungsbeschreibung übernommen oder manuell hinzugefügt. Personen ohne klare parteipolitische Verbindungen, die einen Großteil der Talkshow-Gäste ausmachten, sind von der Analyse ausgenommen.
In diesen Sendungen liegen FPÖ-nahe Diskutant*innen auf Platz 1
Manche Sendungen laden Gäste aus dem Umfeld der Freiheitlichen häufiger ein als jene mit Verbindungen zu anderen Parlamentsparteien. Bei Fellner! Live (OE24) kamen fast 40 Prozent der Auftritte aus dem Umfeld der FPÖ.
Wolfgang Fellners Show pusht die Sichtbarkeit der Freiheitlichen mit regelmäßigen „Duellen“ in fixer Besetzung, unter anderem mit Ex-Politiker Gerald Grosz (FPÖ, BZÖ), der dort mindestens 20 Mal auftrat. Ohne Fellner! Live lägen die Freiheitlichen mit ihren Auftritten hinter der SPÖ auf dem dritten Platz.
Das Diskussionsformat Links. Rechts. Mitte auf ServusTV hat ebenfalls einen Überhang an FPÖ-nahen Gästen: Sie absolvierten 22 von 48 parteipolitisch zuordenbaren Auftritten. Vier der fünf häufigsten Gäste stammen aus dem freiheitlichen Umfeld. Der einzige Ausreißer: die ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen, Eva Glawischnig.
(Über Glawischnigs Omnipräsenz und die Geschlechterverteilung bei Polit-Talks haben wir schon mal recherchiert.)
Dabei spiele die Nähe zu politischen Parteien bei der Einladungspolitik keine Rolle, heißt es aus dem Sender. Wichtig sei vielmehr, dass „alle wesentlichen Perspektiven Teil der Debatte sind – seien sie nun freiheitlich, sozialdemokratisch, grün, kommunistisch, konservativ oder liberal“, schreibt eine Sprecherin von ServusTV auf Anfrage.
Wenige Gesichter machen einen Großteil der freiheitlichen Auftritte aus
Die meisten Auftritte aus dem FPÖ-Umfeld entfallen auf einige wenige Persönlichkeiten. Am häufigsten waren der ORF-Stiftungsrat Peter Westenthaler, der ehemalige EU-Abgeordnete Andreas Mölzer und der blaue Berater Heimo Lepuschitz bei Talkshows zu Gast. Gemeinsam mit Grosz und Pöchinger absolvierten sie mehr als die Hälfte der FPÖ-nahen TV-Auftritte.
(Aktive FPÖ-Politiker*innen sind seltener zu Gast. Diese Liste führt der Nationalratsabgeordnete Christian Hafenecker mit 13 Auftritten an, gefolgt vom EU-Abgeordneten Harald Vilimsky mit elf.)
Diese Persönlichkeiten sind durchaus kontrovers. Mitglieder des ORF-Stiftungsrats kritisierten Westenthaler in der Vergangenheit scharf. Der „FPÖ-Mann fürs Grobe“ (Kurier) wurde wegen Falschaussage sowie schweren Betrugs und Untreue verurteilt. Er tritt fast ausschließlich bei OE24 auf.
Der ehemalige EU-Parlamentarier Andreas Mölzer hat etablierte Verbindungen ins rechtsextreme Lager. Sogar den Freiheitlichen ging Mölzer zu weit, als er im Jahr 2014 die Europäische Union der Nazi-Herrschaft gegenüberstellte, die im Vergleich „formlos und liberal“ gewesen sei.
Den Großteil seiner TV-Auftritte absolvierte Mölzer beim PULS 24-Diskussionsformat Wild umstritten – 17 Mal saß er mit am Tisch.
Eine gewisse Konzentration lasse sich bei den Gästen nicht vermeiden, erklärt Andreas Rossmeissl, der als Chefredakteur Talk bei der Sendergruppe ProSiebenSat.1PULS4 für diese Formate verantwortlich ist.
Talk-Gäste müssen ein seltenes Profil erfüllen
Ziel sei es, bei Wild umstritten jeweils einen Gast aus Medien, der Wirtschaft und der Politik zusammenzubringen, die ad hoc über tagesaktuelle Themen reden können. Man suche Generalist*innen, die gut argumentieren können. „Dieses Profil ist schwierig zu erfüllen“, sagt Rossmeissl am Telefon zu tag eins.
Tatsächlich sind die häufigsten Gäste in diesem Format Ex-Politiker*innen: Silvia Grünberger (ehemals ÖVP-Abgeordnete zum Nationalrat) war im Untersuchungszeitraum 21 Mal zu Gast, Glawischnig 20 und Mölzer 17 Mal.
Das Team führe aber nicht Buch darüber, wie oft welche Parteien vertreten sind, sagt Rossmeissl. Der Anspruch sei es nicht, die Mehrheitsverhältnisse im Parlament direkt wiederzugeben.
Das rechtspopulistische Perpetuum Mobile
Die renommierte Sprachwissenschafterin und emeritierte Universitätsprofessorin Ruth Wodak saß vor fünf Jahren selbst neben Mölzer, um mit ihm über hetzerische Sprache zu diskutieren.
„Ich war nach dieser Stunde erschöpft, weil ich vorher schon sehr angespannt war“, sagt Wodak über die Erfahrung, die sie nicht wiederholen möchte. Diskutanten wie Mölzer seien oft aggressiv, unterbrechen die anderen Gäste, produzieren Chaos und Skandale. Das wiederum bringe Einschaltquoten, weswegen solche Gäste immer wieder eingeladen werden. Wodak nennt das: rechtspopulistisches Perpetuum Mobile.
FPÖ in Medien „nicht auszugrenzen“
Die Quote ist nicht der einzige Grund. Als Partei, die bei der vergangenen Nationalratswahl die meisten Stimmen erreichte und derzeit in fünf Landesregierungen vertreten ist, sei die FPÖ „nicht auszugrenzen“, so Wodak.
„Die FPÖ war immer schon normalisiert – aufgrund der falschen Annahme, man könnte diese zähmen“, sagt Wodak, die seit Jahren zur Diskursverschiebung nach rechts publiziert. „Anders als in Deutschland, wo die Brandmauer gegen die AfD zumindest auf der Regierungsebene noch besteht.“
Trotzdem kritisiert Wodak die Einladungspolitik der Sender. Als Beispiel nennt sie die ORF-Diskussionrunde Im Gespräch vom 2. Februar, in der Norbert Hofer, FPÖ-Spitzenkandidat im Burgenland, die rote Nationalratsabgeordnete Julia Herr immer wieder abwertend „Marxistin“ nannte. Das Diskussionsklima war schlecht, die Moderation entglitt, aber Hofers Auftritt erregte Aufmerksamkeit.
„Diese Runden sind oft sehr ungleichmäßig besetzt“, sagt Wodak. Die Aufgabe der Sender sei es, Gäste einzuladen, die sich gegen aggressive FPÖ-Rhetorik durchsetzen können. Und: „Man darf dem ökonomischen Druck nicht nachgeben.“