„Eine Bedrohung für das jüdische Leben in Österreich“
In Wien ist der Wahlkampf in vollem Gange. Bild: Markus Sulzbacher
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Markus Sulzbacher
Reporter

„Eine Bedrohung für das jüdische Leben in Österreich“

In ihrem Wahlprogramm fordert die FPÖ ein Verbot des rituellen Schächtens in Österreich. Das zeigt, wie tief Antisemitismus in der FPÖ verwurzelt ist. Ein Überblick.


Im aktuellen Wahlprogramm der FPÖ findet sich eine Forderung, die als „Bedrohung für das jüdische Leben in Österreich“ gesehen wird. Einer, der das so sieht und das auf X (vormals Twitter) auch schreibt, ist der Jurist Bini Guttmann, der auch Jugendvertreter im Jüdischen Weltkongress ist. Denn die FPÖ fordert das Verbot des rituellen Schächtes. Doch ohne Zugang zu koscherem Fleisch wäre (religiöses) jüdisches Leben in Österreich nicht möglich. 

Aus den Reihen der FPÖ war diese Forderung in den vergangenen Jahren immer wieder zu hören, dass sie als Ziel einer Wahl genannt wird, ist neu. Unter Parteichef Heinz-Christian Strache (2005 bis 2019) versuchte die FPÖ eine Art Annäherung an die jüdische Community. So wollte sie hauptsächlich ihren (internationalen) Ruf ändern. 

Der spielt nun offensichtlich keine Rolle mehr. Im Wahlprogramm ist nichts vom „christlich-jüdischen Abendland“ zu lesen, auf das sich die FPÖ und andere rechte Parteien in Europa in den vergangenen Jahren immer wieder berufen haben – vor allem, wenn es ihnen gelegen kam, um gegen den Islam Stimmung zu machen.

Das Ende des „christlich-jüdischen Abendlands“

Jetzt ist im aktuellen Wahlprogramm nur mehr vom „christlichen Abendland“ die Rede. „Das Kreuz als Symbol unserer christlich-abendländischen Geschichte und Kultur gehört seit langer Zeit in unsere Klassenzimmer und darf weder verleugnet noch versteckt werden“, ist darin zu lesen.

Die freiheitliche Forderung, rituelles Schächten verbieten zu wollen, war ein Grund, warum die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG) im Jahr 2018 auf maximale Distanz zur FPÖ ging, als diese eine Regierung mit der ÖVP bildete. ___STEADY_PAYWALL___ Dazu kamen die engen Verflechtungen der Freiheitlichen mit deutschnationalen Burschenschaften und Kontakte einzelner Funktionäre zu Neonazis. Einstimmig wurde daher beschlossen, dass die IKG „keine politischen Kontakte zu Vertretern der FPÖ, auch nicht zu Regierungsmitgliedern“ unterhält. Der Beschluss wurde im April 2023 erneuert. Wieder einstimmig. 

Antisemitische Codes

In den vergangenen Jahrzehnten haben freiheitliche Parteichefs mit antisemitischen Äußerungen für Schlagzeilen und Kritik gesorgt. Meist ohne Konsequenzen. Dass Antisemitismus in der FPÖ zu finden ist, bestätigt ausgerechnet der ehemalige Parteichef und Vizekanzler Strache. 

In seinem 2021 erschienen Buch „Das Ibiza-Attentat“ schreibt er auch über den Antisemitismus in den Reihen der Freiheitlichen. „Es gibt nach wie vor winzige Nester, in denen einzelne Personen leider ewiggestrigen Ideen anhängen“, so Strache. Er vermutet auch, sein „Einsatz gegen Antisemitismus und mein Eintreten für ein gutes Verhältnis zu Israel“ hätten innerparteiliche Ressentiments „kleiner, aber gut vernetzter Cliquen“ gegen ihn verstärkt.

Strache bezeichnet in seinem Buch Israel als „exponierteste Außenstelle des christlich-jüdischen Abendlandes: wenn Israel fällt, dann fällt auch Europa“ und positioniert sich ebenfalls als Bewahrer der „christlich-jüdisch abendländischen Kultur“.

Dabei wurde Strache selbst Antisemitismus vorgeworfen. Etwa als er auf Facebook eine Karikatur veröffentlichte, die antisemitische Klischees bedient. Zu sehen war ein dicker Banker, der von einem Regierungsbeamten angefüttert wurde. Der Banker wurde mit einer deutlich gekrümmten Hakennase sowie Davidsternen als Manschettenknöpfe dargestellt. Ähnlich gezeichnet wurden Juden im „Stürmer“, der antisemitischen Nazi-Hetzschrift der 1930er- und 1940er-Jahre. 

Straches Vorgänger, Jörg Haider, hat sich hingegen von erklärten Todfeinden Israels hofieren lassen. Er besuchte den irakischen Diktator Saddam Hussein und den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi. In Reden lobte Haider nicht nur ehemalige Angehörige der Waffen-SS, sondern arbeitete mit antisemitischen Anspielungen. Er sprach sich gegen Entschädigungen für „arisierten“ jüdischen Besitz aus, der nach dem Krieg nur zögerlich und unvollständig zurückgegeben wurde. Es sei „die trügerische Hoffnung des Bundeskanzlers, dass er ungeteilten Applaus an der Ostküste bekommen“ werde, sagte Haider etwa vor einem johlenden Publikum im Jahr 2001. „Ostküste“ ist schon seit der Waldheim-Affäre das Codewort für die jüdische Bevölkerung in und um New York und ihren angeblichen Einfluss.

Kickl und der Antisemitismus

Als Redenschreiber für Haider zeichnete 2001 heutige FPÖ-Chef Herbert Kickl für eine Attacke auf den damaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Ariel Muzicant verantwortlich („Ich verstehe überhaupt nicht, wie wenn einer Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann“). Die Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak wies damals den antisemitischen Gehalt des Satzes nach. Andere Wissenschafter*innen urteilten: Haider habe antisemitische Codes bewusst eingesetzt. Kickl sagte in einem Interview 2019, er würde es „heute nicht anders machen“ und begründet dies mit Zuspitzung und Medienlogik. Er gab das Interview, als er Innenminister der türkis-blauen Koalition unter Sebastian Kurz (ÖVP) war. 

Als im Juli 2020 im Parlament beschlossen wurde, zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und für Aufklärung über den Holocaust mit dem „Simon-Wiesenthal-Preis“ zu würdigen, trat Kickl dagegen auf. Der Preis solle einen anderen Namen bekommen, so der Vorschlag der FPÖ. Kickl sprach davon, dass Wiesenthal ein Gegner der FPÖ gewesen sei, der seiner Meinung nach maßgebliche Vertreter der FPÖ zu Unrecht verurteilt habe. Allerdings gibt es an den Recherchen von Wiesenthal keine Zweifel. Er brachte unter anderem in den 1970er-Jahren ans Licht, dass der damalige FPÖ-Obmann Friedrich Peter Mitglied einer SS-Mordeinheit war, die 1941 mindestens 17.000 Juden und rund 25.000 sowjetische Kriegsgefangene ermordete.  

Impfgegner*innen verharmlosen die Shoa

Den Weg zum Parteichef führte für Kickl auch über Demonstrationen von Impfgegner*innen und Coronaleugner*innen. Er sprach vor Personen, die sich sogenannte Judensterne mit der Aufschrift „ungeimpft“ an ihr Gewand hefteten oder Plakate mit dem Satz „Impfungen macht frei“ mit sich trugen. Eine Verharmlosung des NS-Terrors, die auch zu Verurteilungen wegen NS-Wiederbetätigung geführt hat. 

In Interviews nahm Kickl diese Personen in Schutz. Er sagte in einem TV-Interview, dass der „Nationalsozialismus" ja nicht mit einem Weltkrieg begonnen habe und nicht mit irgendwelchen Vernichtungslagern, sondern damit, dass man Menschen systematisch ausgegrenzt habe. Und weiter: „Er hat damit begonnen, dass man zum Beispiel Kinder, weil sie jüdischer Abstammung gewesen sind, nicht in die Schule gelassen hat.“ Für die jüdische Hochschülerschaft war dies eine Verharmlosung der Shoa. Ihre Anzeige bei der Staatsanwaltschaft verlief im Sand.

Die Forderung nach einem Verbot für rituellen Schächtungen zeigt erneut, dass die FPÖ kein Problem hat, auf Konfrontation mit jüdischen Communitys zu gehen. Auch ist von der „Homogenität“ des Volkes in ihrem Wahlprogramm zu lesen, ebenso wie die Forderung, medizinische Leistungen für Geflüchtete einzuschränken.

 

 

 

 

 

 

 

Autor*in: Markus Sulzbacher

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