Die Vier-Tage-Woche ist nur für Büroangestellte. Noch!
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Elisabeth Oberndorfer
Kolumnistin

Die Vier-Tage-Woche ist nur für Büroangestellte. Noch!

Die 40-Stunden-Woche ist ein überholtes Modell. Doch in der Diskussion um die Vier-Tage-Woche kommen Berufsrealitäten jenseits des Schreibtisches oft zu kurz. Und: Nicht überall wo Vier-Tage-Woche draufsteht, ist auch weniger Arbeitszeit drin.

“Wir nennen es Arbeit”. “Die 4-Stunden-Woche”. “The Way We’re Working Isn’t Working”. Traditionelle Arbeitsmodelle wurden in den vergangenen 15 Jahren mit Büchern wie diesen in Frage gestellt. Und die Urheber – großteils Tech-Unternehmer – sorgten tatsächlich für ein progressives Verständnis von Arbeit in unserer Gesellschaft. Digitales Nomadentum, mehr Life als Work und gezieltes Outsourcing von Aufgaben an Dritte sind heute kein Nischenthema mehr – aber auch nicht massentauglich. Das zeigt die jüngste Diskussion um die Flexibilisierung von Arbeitszeitmodellen, konkret um die Vier-Tage-Woche.

Auslöser für die wieder entfachte Diskussion war das Ergebnis einer Pilotstudie in England: 60 Unternehmen beteiligten sich sechs Monate lang an dem Versuch, die Arbeitstage auf vier statt fünf Tage zu reduzieren. Die Ergebnisse: Mehr Umsätze, mehr Zufriedenheit bei den Mitarbeiter*innen und weniger Abwesenheiten. 91 Prozent der teilnehmenden Firmen wollen das Modell auch nach dem Pilotprogramm fortsetzen, nur vier Prozent sehen davon ab. Auch wenn das Resultat dieser Studie richtungsweisend ist: Initiatorin ist die Organisation “4 Day Work Week Global”, also keine neutrale Institution. Umfassende Versuche wie diese bieten aber Stoff, um über eine Flexibilisierung der Arbeitszeit nachzudenken.

KTM und Wiener Linien testen Vier-Tage-Woche

In Österreich ist die Vier-Tage-Woche zumindest in einigen Unternehmen schon Realität. Der Großteil davon sind Agenturen und Startups – also im Informations- und Technologiebereich angesiedelt, wo zeitunabhängiges Arbeiten leichter den Weg in die Praxis findet als Firmen, die zum Beispiel in Schichten arbeiten oder von bestimmten Öffnungszeiten abhängig sind.

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Ein Produktionsbetrieb, der vorübergehend verkürzte Arbeitszeiten einführte, ist der Motorradhersteller KTM. Vier Monate lang ließ das Unternehmen den Schichtbetrieb in einem 4-Tage-Rad laufen. Der Arbeitgeber war zwar zufrieden mit dem Ergebnis, wird das Modell jedoch nur dann wieder aufgreifen, wenn es die Produktionskapazitäten verlangen. Die Begründung: Ein Zehn-Stunden-Tag sei anstrengender als ein Acht-Stunden-Tag.

Das Verkehrsunternehmen Wiener Linien testet dieses Jahr ebenfalls die Vier-Tage-Woche mit 37,5 Stunden auf vier statt fünf Tagen. Von den 300 Mitarbeiter*innen, die bei dem Versuch mitmachen, arbeitet der Großteil am Schreibtisch. Der Fahrdienst ist laut dem Unternehmen ausgeschlossen, weil das Modell im Schichtbetrieb schwer umsetzbar sei und außerdem Personalnot herrsche. Sowohl KTM als auch Wiener Linien setzen bei der Vier-Tage-Woche also nicht auf eine Reduktion der tatsächlichen Arbeitszeit, sondern nur der Tage. Die Flexibilisierung der Arbeitszeiten verstehen viele Arbeitgeber also anders als die Vertreter*innen der Vier-Tage-Woche, die für weniger Stunden plädieren.

Das Zögern beim Ende der 40-Stunden-Woche könnte auch mit der Angst vor den  möglichen Folgen zusammenhängen. So würde der Fachkräftemangel sich durch eine verkürzte Arbeitszeit verschärfen, befürchtet etwa die Ökonomin Monika Turyna-Köppl von Eco Austria. Zudem könne sich dadurch auch die Wirtschaftsleistung reduzieren. Demgegenüber steht jedoch das Ergebnis der britischen Studie, die keine Reduktion der Performance erkannte. Und manche Arbeitgeber nutzen das Konzept weniger Arbeit bei gleichem Gehalt, um Arbeitnehmer*innen anzuziehen oder zu halten, was wiederum dem Fachkräftemangel abhelfen könnte.

“The 4-Day week is for white-collar workers”

Angesichts der Zeitenwende in der Wirtschaft, der Klimakrise und der digitalen Transformation ist jetzt der richtige Zeitpunkt, über eine Arbeitswelt abseits der 40 Stunden pro Woche nachzudenken. Allerdings muss auch Flexibilität und Fairness für jene Berufsfelder geschaffen werden, die in der aktuellen Diskussion noch zu kurz kommen. Übrigens ist die 40-Stunden-Woche noch gar nicht so alt: In Österreich galt ab 1959 die 45-Stunden-Woche, zehn Jahre setzte sich die SPÖ mit einem Volksbegehren für 40 Stunden ein, 1975 wurden diese schließlich als gesetzliches Vollzeitmodell eingeführt.


“The 4-Day week is for white-collar workers” – “Die Vier-Tage-Woche ist für Büroangestellte”, bringt es Kolumnist Eric Levitz im New York Magazine auf den Punkt.


Die bestehenden Arbeitszeitmodelle herauszufordern ist wichtig – aber aktuell eine elitäre Diskussion, die Realitäten abseits der  Bürowelt ignoriert. Und damit droht die Frage nach der Vier-Tage-Woche zu einer gesellschaftlichen Herausforderung werden. Denn kommen nur gut ausgebildete Beschäftigte in den Genuss eines neuen Arbeitszeitmodells, könnte das die soziale Ungleichheit verstärken.

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