Die seltsame Welt der „Liste Madeleine Petrovic“
Mehr als ein Symbolfoto: Von ihren Mitstreiterinnen gestützt, zerreißt Madeleine Petrovic ein Plakat mit dem Logo ihrer Ex-Partei. FOTO: APA/FLORIAN WIESER
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Markus Sulzbacher
Reporter

Die seltsame Welt der „Liste Madeleine Petrovic“

Madeleine Petrovic will mit einer Mischung aus Corona-Leugnung, Russland-Freundlichkeit und Transfeindlichkeit in den Nationalrat kommen. Anders als vermutet, wird der Antritt der ehemaligen Grün-Politikerin den Grünen nicht schaden.

Madeleine Petrovic hat es geschafft. Die ehemalige Chefin und langjährige Abgeordnete der Grünen wird mit ihrer „Liste Madeleine Petrovic“ bei den Nationalratswahlen bundesweit auf den Stimmzetteln zu finden sein. Gemeinsam mit ihrem Team konnte sie die dafür notwendigen Unterstützungserklärungen sammeln. Der Einzug ins Parlament ist nicht ganz ausgeschlossen. Hilfreich ist das Interesse seitens einiger Medien: Es ist einfach eine gute Story, wenn eine ehemalige Chefin (1994 bis 1996) gegen ihre einstige Partei antritt.

Eine Story war es auch, als Madeleine Petrovic Anfang 2022 bei einer sogenannten Coronademonstration als Rednerin auftrat und dort mit dem Satz „Hier sehe ich niemanden, der von Pfizer oder Bill Gates bezahlt wird“ auf eine gängige Verschwörungserzählung der Impfgegner*innen abspielte. Damit war ihr der Applaus der Anwesenden sicher, ihre einstige Partei ging auf Distanz. Frühere politische Begleiter*innen wollen nicht über sie reden. Zumindest die, bei denen tag eins angefragt hat.

Petrovic und die neue „Germanische Medizin“

Dem Milieu der Impfgegner*innen und Verschwörungsgläubigen ist die 68-jährige Petrovic in den vergangenen Jahren treu geblieben. Sie war auch in der Gruppe „Grüne gegen Impfpflicht“ aktiv, aus der die „Liste Madeleine Petrovic“ entstanden ist. Es ist eine seltsame Welt, in der sich die ehemalige grüne Galionsfigur aktuell bewegt.

Seltsam war in den 1990er-Jahren auch ihre Nähe zum Erfinder der „Neuen Germanischen Medizin“ Ryke Geerd Hamer. Einem deutschen Arzt, der aufgrund seiner fragwürdigen Behandlungsmethoden in Deutschland nicht mehr praktizieren durfte. Dieser behauptete, dass alle Krankheiten auf inneren Konflikten beruhen und sobald diese Konflikte gelöst seien, verschwindet auch die Krankheit. Und deswegen sei bei Krebs eine Chemotherapie nach der Ansicht von Hamer schädlich, gar tödlich.

Diese obskure Erzählung lieferte 1995 massenhaft Schlagzeilen, nachdem die Familie P. dem „ Wunderheiler“ Hamer Glauben schenkte und ihre Tochter Olivia zunächst nicht gegen einen bösartigen Nierentumor medizinisch behandeln ließ.

Neben obskuren Heilversprechen, vertrat der im Jahr 2017 verstorbene Hamer eine antisemitische Einstellung. In seinen Büchern finden sich Verschwörungserzählungen wie diese: „Unsere treugläubigen Gutdenk-Menschen (werden) von einer jüdischen Regierung wie die Lämmer in den Schlachthof zum Schächten dirigiert.“ Petrovic brachte 1993 parlamentarische Anfragen ein, die als Unterstützung von Hamer gesehen werden können.

Heute gehen die Grünen dazu auf Abstand: „Diese Anfrage vor 30 Jahren war nach unserem Infostand damals ein Alleingang von Frau Petrovic und wurde vom damaligen Grünen Klub auch kritisiert“, so eine Pressesprecherin der Grünen.

Mit den heutigen Grünen hat die Liste Petrovic wenig am Hut. „Die Grüne Führungsspitze betreibt aktuell die Politik, die sie früher bekämpft hat“, heißt es dazu in der Beantwortung einer schriftlichen Anfrage. Selbst verortet sich die „Liste Madeleine Petrovic“ „am ehesten als mitte-links-liberal“.

Für die Grünen ist hingegen klar, dass die Liste Petrovic „ein gänzlich anderes Publikum anspricht“. „Seit Frau Petrovic sich mit rechten Verschwörungsmythikern die Bühne teilt, ist es augenscheinlich, dass ihre Agenda weit entfernt davon ist, wofür die Grüne Bewegung in Europa steht“, heißt es in einer Stellungnahme. Auch war die „Entfremdung“ mit ihrer (ehemaligen) Partei „für alle seit Beginn der Pandemie bemerkbar, mit den ersten öffentlichen Auftritten gemeinsam mit der wissenschaftsfeindlichen MFG war sie offenkundig.“

Partei der Corona-Demonstrationen

Hauptsächlich gleichen die politischen Schwerpunkte der „Liste Madeleine Petrovic“ dem, was in die Reden und Forderungen bei Coronademonstrationen genannt wird. Brennende Themen wie Bildung, Inflation, Pflege, die Unterstützung von benachteiligten Gruppen oder anderen sozialen Themen kommen in der Petrovic-Partei kaum vor. Dafür macht sie sich für die „Entschädigung der Impfopfer“ stark oder pflegt das Feindbild ORF, der angeblich nicht „ ausgewogen“ berichten würde, wie auf ihrer Homepage zu lesen ist.

Dort ist auch zu lesen, dass die Liste der ehemaligen Chefin der Grünen von „Weltuntergangsszenarien“ in Bezug auf den Klimawandel spricht, ganz so wie aus dem Lehrbuch von Klimaleugner*innen. So hält die Liste es für eine „einseitige und unsachgemäße Betrachtung“, dass der Klimawandel „ausschließlich menschengemacht und durch CO2 / Treibhausgase verursacht“ sei. Sie will aber künftig mehr „Bäume und Sträucher“ pflanzen. In Anbetracht von Rekordtemperaturen, verschwindenden Gletschern und zunehmenden Naturkatastrophen kann man das wahlweise als Verharmlosung oder Realitätsverweigerung werten.

Auffällig ausführlich wird auf der Parteihomepage das das Thema „LGBTQ+“ behandelt. Genauer gesagt, wird gegen trans Personen polemisiert. So ist der Liste wichtig zu betonen, dass es nur „zwei biologische Geschlechter“ gebe, Pubertätsblocker gefährlich seien und „Dragqueens nicht in Kindergärten gehören“.

Vom Briefbombenopfer zu den selbsternannten Alternativen Medien

Das passt zu jenen selbsternannten „Alternativen Medien“, denen Madeleine Petrovic als Interviewpartnerin bzw. Gast zur Verfügung steht. Genauer gesagt in den rechtsextremen Propagandaplattformen Auf1 und Info Direkt, die beide im Verfassungsschutzbericht 2023 erwähnt werden und regelmäßig bekannten Rechtextremen ein Podium bieten. Die Auftritte sind beachtlich, da Petrovic über Jahre eine Stimme gegen Rechtsextremismus in Österreich war. Auch, da sie ein Ziel des Rechtsterroristen Franz Fuchs war, der ihr eine Briefbombe schickte – die jedoch rechtzeitig entschärft werden konnte.

Der Online-Sender Auf1 ist eine der größten Online-Plattformen im deutschen Sprachraum, die nicht nur Verschwörungen aller Art verbreitet, sondern etwa auch „Deutschland den Deutschen“-Shirts verkauft oder die Terroranschläge am 11. September als große Verschwörung darstellt.

Die Liste erklärt auf Anfrage die Auftritte von Petrovic bei den Plattformen damit, dass es nicht ihr „Demokratieverständnis“ sei, „dass (potenzielle) Volksvertreterinnen und -vertreter entscheiden, wer die 4. Gewalt ist bzw. sein darf und wer Informationen bekommen darf und wer nicht.“ Auch seien „Bürger und Bürgerinnen“ mündig genug, deren Inhalte zu bewerten.

Neben den Auftritten in rechtsextremen Medien, teilt die „Liste Madeleine Petrovic“ auf ihren Social-Media Kanälen Beiträge von Report24, einer Online-Plattform, die in der Vergangenheit u.a. durch die Verbreitung russischer Desinformation und Propaganda aufgefallen ist und als Sprachrohr der verschwörungsgläubigen Szene ist.

Russland-Freundlichkeit

Außenpolitisch hat die „Liste Petrovic“ zwei Schwerpunkte: Russland und der Gaza-Krieg. So soll sich Österreich im Krieg Russland–Ukraine neutral verhalten: „Ständig zu verurteilen, mag sich moralisch richtig anfühlen, führt aber keinen Schritt weiter Richtung Frieden“. In Bezug auf den Gaza-Krieg meint die Liste: „Die historische Verantwortung heißt: Nie wieder Genozid – unabhängig davon, welche Bevölkerungsgruppe es betrifft. Das muss immer und überall gelten“, ist dort zu lesen. Ihr ist auch wichtig, den „Kriegsverbrecher Netanjahu“ zu verurteilen.

Die Positionen zu Russland haben schon für öffentliche Kritik und Staunen gesorgt, da mit Harald Haas ein Mann für die Liste an wählbarer Stelle antritt, der einen Beitrag in der Zeitschrift für Sozialpsychologie und Gruppendynamik veröffentlichte, der nur so vor Pro-Russland-Attitüden strotzte. Der Text sorgte für Aufsehen, da Haas Hofrat im Verteidigungsministerium ist und auch als Wissenschaftler an der Landesverteidigungsakademie in Wien arbeitet. Den Angriffskrieg Russlands bezeichnet Haas in seinem Text bloß als „Intervention“, als „Spezialoperation“, die vom Westen provoziert worden sei.

Auch attestiert Haas, darin dem russischen Präsidenten Wladimir Putin „Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß“, der Europäischen Union hingegen Aggression. Die meisten Mitgliedstaaten und Brüssel würden seit Beginn des Krieges in der Ukraine „mit Macht und Gewalt“ versuchen, Russland zu schaden, heißt es dort. Die Nato-Allianz bezeichnet Haas gar als „mutmaßlich verbrecherisches Kriegsbündnis“. Das klingt wie russische Propaganda und blendet die Positionen der Ukraine aus.

Wählerpotential am rechten Rand

Die „Liste Madeleine Petrovic“ spricht vor allem das Milieu der Impfgegner*innen und Verschwörungsgläubige an, die in den vergangenen Jahren demonstrierten oder das Netz mit ihren Erzählungen fluteten. Zweifel am Klimawandel und Putin-freundliche Positionen ergänzen das Angebot. Viele inhaltliche Unterschiede zur FPÖ und zur Impfgegnerpartei MFG sind nicht auszumachen, die ebenfalls zur Wahl antritt. Mit der MFG wurde sogar über einen gemeinsamen Antritt geredet und schließlich abgeblasen. 

Für Jakob-Moritz Eberl, Wahlforscher an der Universität Wien, scheint klar, dass die Kandidatur der Liste nicht „schmerzhaft für die Grünen“ sein wird. Da ihre Kernpositionen, dazu zählt er „Impfgegnerschaft und Wissenschaftsfeindlichkeit“ bei Grünwähler*innen von heute wenig Gehör finden. Basis für seine Aussagen sind Umfragen, die im Rahmen des Austrian Corona Panel Project an der Universität Wien von ihm und anderen Forscher*innen durchgeführt wurden. Am „ehesten geht es hier um Nichtwähler- und Protestwähler*innen mit Nähe zum verschwörungsideologischen und russlandfreundlichen Milieu, die ohnehin nicht Grün gewählt hätten“, so Eberl.

Autor*in: Markus Sulzbacher

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