Die ÖVP und der „politische Islam“
Es war eine Reaktion, wie man sie von extremen Rechten kennt: Anstatt sich zu entschuldigen, setzte die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner noch eins drauf, um vom desaströsen Zustand der ÖVP abzulenken. Foto: HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com
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Markus Sulzbacher
Reporter

Die ÖVP und der „politische Islam“

Wortreich beschwört die ÖVP den Kampf gegen Antisemitismus – aber nur wenn sie sich damit gegen den Islam positionieren kann. Ein Blick hinter die politischen Botschaften zeigt, dass sie damit billigen Populismus betreibt.

Es war eine Bemerkung, die den aktuellen Zustand der ÖVP erklärt. Angesprochen auf die Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ, sprach die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner sich am vergangenen Sonntag gegen Neuwahlen aus, da es „im Kampf gegen den Islam“ konkrete Maßnahmen brauche. Die Aussage sorgte für Kritik, die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich sprach von einem „direkten Angriff auf die Würde der mehr als 700.000 Muslim*innen in Österreich“.

Screenshot: X/lukas kapeller

Nonchalant reagierte Mikl-Leitner darauf mit einem schriftlichen Statement und hielt fest: „Selbstverständlich geht es um den politischen Islam. Seit Jahren setze ich mich konsequent gegen die Radikalisierung durch den politischen Islam ein.“ Weiter schreibt sie, sie werde nicht akzeptieren, dass zu viele Zuwanderer in Österreich ihre Religion über unsere Sitten und Gesetze stellen würden und sehe nicht zu, „wenn integrationsunwillige Eltern weibliche Lehrkräfte respektlos behandeln, weil diesen Integrationsverweigerern ohnehin keine Sanktionen drohen.“ Mikl-Leitner fordert einmal mehr, die entsprechenden Gesetze zu verschärfen.

Wie man es von der extremen Rechten kennt

Es war eine Reaktion, wie man sie von extremen Rechten kennt: Keine Entschuldigung, dafür noch eins draufsetzen, um so abzulenken. Es ist eine Vorgangsweise, die zu „radikalisierten Konservativen“ passt, die seit Jahren Diskurse und Themen der extremen Rechten übernehmen. „So wie die FPÖ, nur moderner“, ist im ÖVP-Strategiepapier „Projekt Ballhausplatz“ bezüglich der Themenschwerpunkte zu lesen, das Sebastian Kurz im Jahr 2017 ins Kanzleramt am Ballhausplatz führte und den Weg für FPÖ-Chef Herbert Kickl ebnete.

Die Stimmungsmache gegen eine angebliche „Islamisierung“ ist seit den 2000er-Jahren ein Treibstoff für die extreme Rechte. Der ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz setzte stark auf die Bekämpfung des „politischen Islam“. Außer fremdenfeindlicher Stimmungsmache ist dabei wenig herausgekommen. Sinnbildlich steht dafür die „Operation Luxor“, die im November 2020 als großer Schlag gegen die islamistische Terrorgruppe Hamas und die Muslimbruderschaft vom damaligen Innenminister Karl Nehammer bezeichnet wurde.

960 Polizist*innen rückten damals in vier Bundesländern aus, um in rund 60 Wohnungen, Geschäfts- und Vereinslokalen Razzien durchzuführen. 70 Verdächtige standen im Fokus, 30 Personen wurden festgesetzt und zur sofortigen Vernehmung vorgeführt. Die gigantische Operation entpuppte sich als eine noch größere Blamage, bis heute gibt es keine einzige Anklage.

Umgang mit dem Iran

Bezeichnend ist auch der Umgang mit dem Iran. Auf Einladung des Verteidigungsministeriums nahm der iranische Verteidigungsattaché am 26. Oktober 2024, dem österreichischen Nationalfeiertag, an der Parade des Bundesheeres am Heldenplatz in Uniform teil. Dieser Auftritt sorgte auch international für Kritik. Denn die Islamische Republik Iran hat die Auslöschung Israels als Staatsziel, unterstützt Terrororganisationen wie die Hisbollah und die Hamas finanziell und militärisch, steht an der Seite von des russischen Präsidenten Putin, verübt weltweit Anschläge gegen Jüd*innen sowie iranische Dissident*innen und Kurd*innen und ist eine der Hauptakteurinnen von Spionage in Österreich.

Die Reaktion der ÖVP-Verteidigungsministerin Klaudia Tanner? Sie erklärte in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Grünen, dass derartige Einladungen im „Einklang mit internationalen Gepflogenheiten“ sowie „protokollarischen Standards und der anerkannten Neutralität Österreichs stehen.“ Nach einem entschlossenen Kampf gegen Terror oder Islamismus sieht das nicht aus.

Vor den Koalitionsverhandlungen hat die ÖVP den „Kampf gegen Antisemitismus“ zur Bedingung gemacht. Es wird spannend, wie die Freiheitlichen darauf reagieren. FPÖ-Parteichef Herbert Kickl hat jedenfalls sein erstes Interview nach der gewonnen Wahl AUF1 gegeben. Der Online-Sender fällt durch die Verbreitung von „rassistischen Stereotypen sowie antisemitischen und verschwörerischen Inhalten“ auf, wie die deutsche Wochenzeitung Die Zeit schreibt. Der österreichische Verfassungsschutz bezeichnet AUF1 als „rechtsextremes Medium“.

Autor*in: Markus Sulzbacher

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