„Luftqualität: Extrem schlecht“ – diese beunruhigende Nachricht hatten in den letzten Tagen etwa iPhone-Nutzer*innen in ihrer Wetter-App. Dass die Feinstaubbelastung an windstillen Hochnebeltagen im November überdurchschnittlich ist, ist nicht ungewöhnlich. Stichwort: Inversionswetterlage.
Ungewöhnlich ist, dass sich so viele Menschen durch Designentscheidungen von Silicon Valley-Konzernen plötzlich für Luftverschmutzung interessieren.
Dafür muss ich kurz ausholen: Ich beschäftige mich seit über zehn Jahren mit Luftqualität und habe für den rbb wiederholt über die Überschreitung des Stickstoffdioxid-Grenzwerts in Berlin berichtet. Bis 2018 wurden auch in Wien Jahr für Jahr die gesetzlichen Grenzwerte für Feinstaub und/oder Stickstoffdioxid überschritten. Die Konsequenzen waren mau.
Damals habe ich – aber auch viele Expert*innen – mich stets gewundert, warum es keinen öffentlichen Aufschrei gab. Meine These: Anders als Trinkwasserverschmutzung sieht und schmeckt man Luftverschmutzung nicht. Die gesundheitlichen Folgen sind relativ abstrakt; niemand fällt wegen Feinstaubbelastung oder Stickstoffdioxid-Vergiftung sofort tot um. Dennoch spricht die Europäische Umweltagentur (EEA) von circa 3.200 Todesfällen in Österreich im Jahr 2021 aufgrund einer zu hohen Feinstaubbelastung (in diesem Fall PM2,5, aber dazu gleich mehr). Zum Vergleich, im selben Jahr starben in Österreich 361 Menschen bei Verkehrsunfällen.
Das andere Problem: Luftverschmutzung ist kompliziert. Mit Feinstaub meint man vereinfacht gesprochen so winzigen Staub, dass er nicht mehr mit freiem Auge erkennbar ist. Im Fall der Feinstaubkategorie PM10 etwa sind die Teilchen um die 10 Mikrometer groß, 10 Mikrometer entspricht einem Hundertstel Millimeter. Aber viel gefährlicher sind noch kleinere Teile: PM2,5 ist um die 2,5 Mikrometer groß. Während größere Teile von unserer Nase abgefangen werden können, dringt dieser kleine Staub bis in die Lunge vor. Ultrafeinstaub (kleiner als 0,1 Mikrometer) gelangt sogar ins Blut und kann teilweise die Blut-Hirn-Schranke überwinden.
Das Problem: Für PM2,5 gibt es bis heute in Österreich bzw. der EU keinen gesetzlichen Tagesgrenzwert; für Ultrafeinstaub fehlt es überhaupt noch an standardisierten Messmethoden.
Das iPhone warnte die letzten Tage in Ost-Österreich vor einer hohen Feinstaubbelastung. Erstellt wird diese Karte von der Firma Breezometer, die wiederum Teil von Google/Alphabet ist. Grundlage sind einerseits die geeichten Messstellen der Behörden: Diese messen wie viel an Feinstaubmasse in einem Kubikmeter Luft ist. Das Problem: Große Teilchen sind tendenziell schwerer und lassen deshalb schneller den Alarm ausschlagen; tendenziell gesundheitsschädlicher sind aber die kleineren Teilchen. Unterschieden wird auch nicht, aus was der Staub besteht: Wüstensand, Wassertröpfchen oder Salz sind tendenziell weniger gesundheitsschädlich als Ruß oder Reifenabrieb.
Für seine “ultragenaue” Karte nimmt Breezometer aber nicht nur die Luftdaten, sondern greift alles ab, was verfügbar ist: Verkehrsdaten, Satellitenbilder, Wetterprognosen und mehr. Das Programm schmeißt all das in einen geheimen Algorithmus und modelliert daraus eine auf fünf Meter exakte Karte. Damit wird eine Scheingenauigkeit suggeriert.
PM10-Feinstaubwerte um die 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (µg/m³) sind heute die Ausnahme, aber noch vor 20 Jahren war das ein ganz normaler Wert. Im Jahr 2001 wurde an der Messstelle Don Bosco in Graz an 131 Tagen dicke Luft mit mehr als 50 Mikrogramm Feinstaub gemessen; 2023 waren dort gerade einmal 11 Tage über diesem Grenzwert.
Die Luftqualität verbessert sich kontinuierlich, gleichzeitig steigen auch unsere Ansprüche an eine saubere Umwelt. Eine Verschärfung der gesetzlichen Grenzwerte ist überfällig. Erst 2030 senkt die EU den Tagesmittelgrenzwert auf 45 µg/m³ für PM10, der dann nur noch an 18 Tagen überschritten werden darf (aktuell sind 35 Überschreitungen der 50 Mikrogramm-Grenze erlaubt). Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt dagegen schon jetzt, dass die PM10-Belastung von 45 Mikrogramm maximal an vier Tagen im Jahr überschritten werden soll.
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