Chronologie eines fehlgeleiteten Diskurses
Bundeskanzler Karl Nehammer postet auf X einen heute.at-Artikel zu seinen Plänen für syrische Asylanträge.
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Emil Biller
Reporter

Chronologie eines fehlgeleiteten Diskurses

Am Dienstag war internationaler Tag der Menschenrechte. Mich beschleicht aber das Gefühl, Österreich didn't get the message.

Am Dienstag war nämlich auch unser Innenminister Gerald Karner im Ö1-Morgenjournal und hat als Reaktion auf den Sturz des syrischen Langzeitdiktators Bashar al-Assad stolz verkündet, dass Österreich als erstes Land in Europa laufende Asylverfahren von Syrer*innen gestoppt hat und schnellstmöglich Abschiebungen durchgeführt werden sollen. Dabei ist vollkommen unklar, wie es in Syrien weitergeht und ob es wirklich in naher Zukunft zu einem „sicheren“ Herkunftsland wird.

Warum schreibe ich heute darüber? Dieser Diskurs hat mich die ganze Woche über verfolgt – oder besser gesagt gehaunted. Für mich ist an dieser Stelle wichtig offenzulegen, wir verfügen in der Redaktion über keine ausgewiesene Expertise zum syrischen Bürgerkrieg, andere können das besser runterbrechen und erklären. Trotzdem will ich den Finger in die Wunde legen und offen ansprechen, was sich viele denken: Der Diskurs in Österreich ist schon wieder einmal viel zu schnell nach Rechts abgebogen.

Als sich am vergangenen Sonntag die Meldung über den Sturz des Assad-Regimes in Syrien verbreitete, war es schwer zu fassen, wie schnell das Thema Abschiebungen in Österreich aufs politische Tapet gebracht wurde. Damaskus war kaum von dem Regime befreit, der Diktator Bashar al-Assad hatte kaum das Land verlassen, forderten schon die Ersten die Rückkehr der nach Österreich geflüchteten Syrer*innen in ihr Herkunftsland.

Unter dem Zeit-im-Bild-Posting zur sonntäglichen Spontandemo am Wiener Ring, wo tausende Syrer*innen gemeinsam feierten, sammelten sich binnen Minuten hunderte Kommentare mit Flugzeug-Emojis und Abschiebeappellen, die auf viel Zuspruch stießen.

Nur eine Auswahl der Kommentare unter dem Zeit-im-Bild-Beitrag. Screenshot: Instagram/Zeit im Bild

Die Politik und der Boulevard sind schnell darauf angesprungen. Das erste Statement von Bundeskanzler Karl Nehammer beinhaltete bereits eine klare Stoßrichtung: „Wir werden alle Syrerinnen und Syrer, die in Österreich Zuflucht gefunden haben und zurück in ihre Heimat wollen, dabei unterstützen. Die Sicherheitslage in Syrien muss auch neu bewertet werden, um Abschiebungen künftig wieder zu ermöglichen.“

Screenshot: X/Karl Nehammer

Nehammer fällt damit wohlgemerkt ein wenig aus der Reihe, viele andere Staats- und Regierungsoberhäupter haben sich in einem ersten Schritt mit der syrischen Bevölkerung gefreut und das Ende der Ära Assad als etwas Positives hervorgehoben, ohne gleichzeitig das Wort Abschiebungen in den Mund zu nehmen.

Am Montag stoppte Österreich dann die momentan laufenden Asylverfahren von syrischen Geflüchteten. Ganz herzliche Gratulation!

„Ich bin Bundeskanzler Karl Nehammer sehr dankbar, dass er als erster Regierungschef in ganz Europa die Asylverfahren für Österreich gestoppt hat.“ – Innenminister Gerald Karner im Ö1 Morgenjournal vom Dienstag

Die Sicherheitslage in Syrien könne zum aktuellen Zeitpunkt nicht ausreichend bewertet werden können, deshalb sei das Aussetzen von Asylentscheidungen momentan durchaus eine legitime Maßnahme, das passiere auch in anderen Fällen, bestätigen Expert*innen. Aber zu propagieren, man könne jetzt schnell Leute abschieben, man arbeite bereits an einer „Prioritätenliste“ für Abschiebungen von straffälligen Asylwerber*innen, wie das der Innenminister getan hat, ist nicht nur polemisch, sondern schlichtweg rechtsstaatlich nicht umsetzbar.

Auch der Boulevard sprang mit Freuden auf den Abschiebe-Zug. Screenshot: heute.at

Asylverfahren werden gerichtlich entschieden, ein Verfahrensstopp bedeute lediglich, dass abgewartet werden muss, bis wieder eine Einschätzung der Lage möglich sei, betont etwa der Asylrechts-Experte Lukas Gahleitner-Gertz im Ö1 Mittagsjournal am Dienstag. Außerdem sei momentan auch eine Überprüfung von bestehenden Aufenthaltsgewährungen, wie sie der Innenminister angekündigt habe, aufgrund der unsicheren Situation praktisch nicht umsetzbar bzw. sinnvoll.

Zur rechtlichen Einordnung hat die Asylkoordination Österreich ein FAQ veröffentlicht: Sturz des Regimes in Syrien - 7 Fragen 7 Antworten

Sich als Innenminister mit so einem Statement hinzustellen und den Zündschlüssel der Herkules-Abschiebeflugzeuge symbolisch schon umzudrehen, ist nichts anderes als ein Einknicken vor dem rechten Diskurs, vor der rechten Hegemonie. Darüber freuen sich in erster Linie Boulevard und FPÖ.

Angesichts des gesellschaftlichen Rechtsrucks ist diese Reaktion aber leider auch nicht wirklich verwunderlich. Und auch alles andere als neu, woran uns der deutsch-bosnische Autor Saša Stanišić auf der Plattform Bluesky erinnert:

Screenshot: Bluesky/Saša Stanišić

Stanišić bezieht sich zwar primär auf Deutschland, die Geschichte ist in Österreich aber sehr ähnlich. Für die Rechten bietet das Thema ein gefundenes Fressen. Da schnelle Abschiebungen in der Praxis schwierig umzusetzen sind, kann FPÖ-Chef Herbert Kickl das Thema immer wieder aufwärmen und die Untätigkeit der Regierung anprangern. Letztlich verlieren alle – auch die ÖVP, aber vor allem die geflüchteten Menschen, um die es geht.

In einem Beitrag auf dem Instagram-Kanal vom Landesstudio ORF Wien spricht die syrische Studentin Afrah Najm vom Verein Syrian Women for Justice and Peace das auch an: „Wir hören die Wörter Abschiebung und Remigration nicht zum ersten Mal. Die syrischen Menschen fühlen sich einfach nicht akzeptiert in Österreich.“

Statt des rechten Diskurses rund um Abschiebungen sollten wir eher darüber reden, wie wir alle Menschen in Österreich dabei unterstützen können, ein gutes Leben hier zu führen.

Autor*in: Emil Biller

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