Christian Stocker bei „Das Gespräch“: Ein Strategiewechsel der ÖVP
Susanne Schnabl begrüßt bei „Das Gespräch“ jeden Sonntag Diskussionsgäste im neuen Studio. Bild: ORF
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Emil Biller
Reporter

Christian Stocker bei „Das Gespräch“: Ein Strategiewechsel der ÖVP

Christian Stocker war gestern Abend zu Gast in der Auftaktsendung des neuen Formats „Das Gespräch“ auf ORF2. Zwischen den Aussagen lässt sich ein Strategiewechsel erkennen, die ÖVP versucht sich aus der Verantwortung zu ziehen.

Während es bisher in Koalitionsregierungen üblich war, bis zu einem gewissen Grad eine gemeinsame Linie zu entwickeln und auch das gegenseitige Auftreten mitzutragen, kündigte Stocker gestern Abend an, sich nicht für die Handlungen und Aussagen der FPÖ verantworten zu wollen. Was die FPÖ mache, sei Sache der FPÖ. Der ÖVP sind die rechtsextremen „Einzelfälle“ der FPÖ also nun auch offiziell wurscht. Nur damit nachher niemand sagen kann, man hätte es nicht gewusst.

Stocker räumte zudem einen Vertrauensbruch ein, den er mit der Ankündigung mit Kickl und der FPÖ zu verhandeln aus „Verantwortung für eine handlungsfähige Regierung“ in Kauf genommen habe. Dass er jetzt etwas anderes mache, als er vor der Wahl gesagt habe, bedeute einen Reputationsverlust für die ÖVP, aber auch für ihn persönlich. Bei seiner Familie sei es ihm bereits gelungen, seine Reputation wiederherzustellen. Jetzt läge es an ihm, das auch über seine Familie hinaus zu schaffen. Warum man Stocker noch irgendetwas glauben sollte, konnte er in den 50 Minuten von „Das Gespräch“ aber nicht glaubhaft erklären.

Das neue ORF-Format „Das Gespräch“ mit der Moderatorin Susanne Schnabl ersetzt seit Sonntag nach knapp 18 Jahren die Polit-Talkshow „Im Zentrum“. Geladen waren der neue ÖVP-Obmann und nunmehrige Koalitions-Chefverhandler Christian Stocker, die ÖVP-nahe Politikberaterin Heidi Glück und die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Irmgard Griss. 

Christian Stocker gegenüber saßen Irmgard Griss und Heidi Glück. Screenshot: ORF On

Stocker musste sich vor den Diskutantinnen hinsichtlich seiner 180-Grad-Hinwendung zur Kickl-FPÖ verantworten. Das Gespräch war lebendig und erinnerte über weite Teile tatsächlich an ein „richtiges“ Gespräch. Während bei „Im Zentrum“ gefühlt oftmals das oberflächliche Phrasendreschen und gegenseitige Anpöbeln im Zentrum gestanden hat, ging es gestern zeitweise auch inhaltlich in eine Detailtiefe, die man sonst im politischen Diskurs vermisst. 

Stocker hielt sich mit „Ich werde den Gesprächen nicht vorgreifen“ und „Das werden die Verhandlungen zeigen“ zu etwaigen inhaltlichen Schwerpunkten einer neuen FPÖ-ÖVP-Regierung bedeckt. Auch ob man sich in den schwierigen Fragen zu EU- und Sicherheitspolitik mit der FPÖ einigen könne, wisse man einfach noch nicht, betonte Stocker. Aber man wolle nun schnell das Bundesbudget reparieren. Angesichts der budgetären Herausforderung, vor der er als Vizebürgermeister in Wiener Neustadt gestanden sei, seien die sechs Milliarden Euro Budgetloch im Bund „leichter“ bewältigbar. Wo die Reise diesbezüglich hingeht, haben FPÖ und ÖVP heute in einer Pressekonferenz angekündigt.

Die ÖVP bleibe in jedem Fall ihren Werten treu. Glücks harte Entgegnung, sie vermisse bei der ÖVP ein klares Profil, versuchte Stocker zwar mit dem in Buchform materialisierten Österreichplan vom Tisch zu wischen, die Kritik konnte allerdings nicht vollends entkräftet werden.

Der designierte ÖVP-Obmann Stocker hatte Nehammers Österreichplan in Buchform im Gepäck. Screenshot: ORF ON

Auf die Frage von Irmgard Griss, welche Vision die ÖVP für Österreichs Zukunft hat und wie Strafzahlungen aufgrund des Versäumens von Klimavorgaben vermieden werden können, argumentierte Stocker mit Technologieoffenheit und einem „Ende von Verboten und Geboten“. So weit nichts Neues.

Inhaltlich nochmal spannend wurde das Gespräch, als Griss das Thema der Generalstaatsanwaltschaft aufs Tapet brachte. ÖVP und Grüne konnten sich diesbezüglich in der letzten Legislaturperiode nicht einigen. Für die ehemalige Höchstrichterin ein schweres Versäumnis. Dadurch sei es nun für autoritäre Kräfte leichter möglich, die Demokratie zu schwächen und die Republik umzubauen.

Autor*in: Emil Biller

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