Die Akte Brunner
In diesem Haus in der Rue George Haddad in Damaskus lebte der NS-Massenmörder Alois Brunner. Dem Geheimdienst war die Adresse bekannt. Bild: Christian Springer
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Markus Sulzbacher
Reporter

Die Akte Brunner

Jahrzehntelang lebte der NS-Verbrecher Alois Brunner unbehelligt im syrischen Exil. Der deutsche Verfassungsschutz hielt die Akten unter Verschluss. Jetzt sind sie frei zugänglich und zeigen, dass Brunners Aufenthaltsort schon früh bekannt war – auch in Österreich.


Im Juni 2017 wurde Alois Brunner von der „Austrias Most Wanted“-Liste gestrichen. Wie ein Phantom geisterte der Name eines der brutalsten NS-Kriegsverbrecher seit Jahrzehnten durch die Welt. Der 1912 im Burgenland geborene Brunner war unter der Nazi-Herrschaft der wichtigste Mitarbeiter des Holocaust-Organisators Adolf Eichmann. Gemeinsam organisierten die beiden SS-Männer die Deportation der Juden und Jüdinnen aus Berlin, Wien, Frankreich und Griechenland in NS-Vernichtungslager. Spätere Ermittler*innen warfen ihm eine „regelrechte Jagd auf Juden“ vor, Eichmann soll ihn seinen „besten Mann“ genannt haben.

Während Eichmann 1960 von israelischen Agenten aus Argentinien entführt, in Jerusalem vor Gericht gestellt und 1962 hingerichtet wurde, blieb Brunner zeit seines Lebens gerichtlich unbehelligt. Nach dem Krieg lebte Brunner zunächst unter falschem Namen in Deutschland und floh um 1954 über Kairo ins syrische Damaskus. Geschützt von den Machthabern lebte er jahrzehntelang unter dem Falschnamen „Dr. Georg Fischer“, handelte mit Waffen, gab Interviews (u.a. der Bunten) und unterhielt Kontakt zu Alt- und Neonazis in Österreich und Deutschland.

1987 führte der Krone-Journalist Kurt Seinitz in Damaskus ein Interview mit Brunner, in dem dieser verkündete: „Seien Sie froh, dass ich das schöne Wien für Sie judenfrei gemacht habe.“ Seinitz berichtete, Brunner sei der widerwärtigste Mensch, der ihm je untergekommen sei.

Ende der 1990er-Jahre verloren sich seine Spuren, im März 2021 erklärte ihn das Bezirksgericht in Wien-Döbling endgültig für tot. Brunner steht für das Versagen der deutschen und österreichischen Justiz bei der Verfolgung von NS-Verbrecher*innen. Kürzlich veröffentlichte Akten werfen Fragen auf.

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Der deutsche Verfassungsschutz beantragte erst 1984 die Auslieferung

Die deutsche Tageszeitung Taz und die Plattform fragdenstaat.de haben Ende Juni dieses Jahres die deutschen Geheimdienstakten über Brunner ausgewertet und veröffentlicht. Die Verfassungsschutzakten konnten über das Bundesarchivgesetz beschafft werden, zuvor hatte sich der Verfassungsschutz jedoch gesträubt, die Akten freizugeben. Mit der Begründung, einige Informationen stünden „unter Quellenschutz“. Der Verfassungsschutz hatte also Angst, seine Informant*innen zu gefährden.

Aus den nun vorliegenden 396 Seiten geht hervor, dass der deutsche Verfassungsschutz nach dem Krieg frühzeitig über den Verbleib des NS-Schergen in Syrien im Bilde war, jedoch erst 1984 die Auslieferung beantragte. Erfolglos – Syrien leugnete, dass Brunner dort lebte. Dem Geheimdienst war sogar die Adresse Brunners in Damaskus bekannt. Er wohnte in der Rue George Haddad.

Vor Taz und FragDenStaat hatte bereits die deutsche Bild-Zeitung im Jahr 2020 einen Teil der Akten einsehen können, nachdem sie vor Gericht gezogen war, um an die Akten des Verfassungsschutzes zu kommen. Ende Juli veröffentlichte die Bild weitere Auszüge aus den Papieren. Etwa, dass das deutsche Außenministerium „wichtige und eilige“ Informationen nicht weiterleitete.

Auch als 1961 eine Briefbombe bei Brunner in Damaskus explodierte und seine Hände und ein Auge verletzte, wusste der deutsche Verfassungsschutz schnell Bescheid. Ein Hinweisgeber erklärte, der israelische Geheimdienst stecke dahinter.

Brunner stand im Kontakt mit österreichischen Neonazis

Das bestätigt auch das 2018 erschienene Buch „Der Schattenkrieg“ des Journalisten Ronen Bergman, das als Standardwerk über den Mossad gilt. Im Juli 1980 schickte der Mossad Brunner demnach eine weitere Bombe per Post. Das Päckchen wurde in Österreich, in Karlstein an der Thaya, aufgegeben. Der Absender: der „Verein Freunde der Heilkräuter“ des 2004 verstorbenen Kräuterpfarrers Hermann-Josef Weidinger, der durch seine Beiträge in der „Kronen Zeitung“ und TV-Auftritte österreichweit bekannt war. Der Absender war bewusst gewählt, Brunner galt als überzeugter Anhänger der Naturheilkunde. „Er öffnete den Brief, der daraufhin explodierte, was ihn mehrere Finger kostete“, schreibt Bergman.

Aus den Verfassungsschutzunterlagen geht hervor, dass Brunner in Kontakt mit Otto Ernst Remer stand. Der frühere Wehrmachtsoffizier, der einen wesentlichen Anteil an der Niederschlagung des Staatsstreichversuches am 20. Juli 1944 hatte, gehörte zu den übelsten Altnazis, die nach 1945 weiterhin aktiv waren. Laut den Akten unterhielt Brunner auch Kontakte zum Säulenheiligen des österreichischen Rechtsextremismus, dem 2018 verstorbenen Gerd Honsik. So wird erwähnt, dass Honsik Brunner für sein Buch „Freispruch für Hitler? 37 ungehörte Zeugen wider die Gaskammer“ interviewte.

Honsik war unter anderem der Herausgeber der rechtsextremen Zeitschrift „Halt“ und Gründer verschiedener Organisationen wie der „Nationalen Front“ oder der „Ausländer-Halt-Bewegung“. Nach einer Verurteilung im Jahr 1992 setzte er sich nach Spanien ab, wo er erst 2007 festgenommen und in weiterer Folge an Österreich ausgeliefert wurde. Auf Bewährung wurde er im Jahr 2011 enthaftet. In seinem „Exil“ in Spanien betreute Honsik Otto Ernst Remer, der sich ebenfalls durch Flucht einer Haftstrafe entzogen hatte. In den von Taz und FragDenStaat veröffentlichten Akten finden sich weitere Hinweise von Brunner zu weiteren österreichischen Rechtsextremen.

Auch in Österreich liegen immer noch Akten unter Verschluss

Die österreichischen Akten über die Fahndung nach Alois Brunner wurden vom Innenministerium bereits dem Staatsarchiv übergeben. Dort sind auch ältere Dokumente zu finden, allerdings werden sämtliche Unterlagen frühestens 30 Jahren nach dem offiziellen Tod Brunners öffentlich einsehbar. Also voraussichtlich im Jahr 2051, da Brunner 2021 offiziell für tot erklärt wurde. Unter Umständen können die Akten schon zehn Jahre früher für wissenschaftliche Untersuchungen geöffnet werden.

Aus dem Staatsarchiv heißt es dazu, man wolle „nicht verschweigen, dass wir bei jüngeren Stücken, also insbesondere bei solchen, wo die im Bundesarchivgesetz geregelten Sperrfristen von 30 bzw. 50 Jahren (bei datenschutzrechtlich relevanten Inhalten, die sich u.U. auf andere, noch lebende Personen beziehen) noch nicht verstrichen sind, ohnedies keine Möglichkeit gehabt hätten, diese vorzulegen (bei Akteninhalten aus dem Jahr 2007 wären diese Stücke folglich erst 2037 zugänglich).“

Aus den bereits zugänglichen Akten geht hervor, dass auch die österreichischen Sicherheitsbehörden ab dem Jahr 1962 wussten, dass sich der NS-Verbrecher in Damaskus aufhielt. Ein Auslieferungsantrag wurde überlegt, aber nicht für umsetzbar gehalten, da „die syrischen Justizbehörden Alois Brunner nicht als verdächtig ansehen, gemeine Verbrechen begangen zu haben“, wie in einem Akt zu lesen ist. Sonst gibt es nur wenige Dokumente.

In den einsehbaren österreichischen Akten zu Alois Brunner heißt es 1962: „Die syrischen Justizbehörden sehen Alois Brunner nicht als verdächtig an, gemeine Verbrechen begangen zu haben.“ Quelle: Österreichisches Innnenministerium

„Am unangenehmsten aber war die Zusammenarbeit mit Österreich.“

Den letzten Versuch, seine Auslieferung zu erreichen, machte Kurt Waldheim 1986 als Bundespräsident bei einem Staatsbesuch in Syrien. Allerdings dementierten die syrischen Behörden Brunners Aufenthalt. Das österreichische Justizministerium setzte 2007 eine Ergreifungsprämie von 50.000 Euro aus, um Brunner vor Gericht stellen zu können. Ein symbolischer Akt.

Damit bleiben Fragen offen: etwa ob Brunner Kontakte zum österreichischen Botschafter im Libanon unterhielt, wie Honsik in seinem Buch schreibt. Oder wie intensiv die heimischen Behörden nach Brunner gefahndet haben. Aus Israel gab es diesbezüglich immer wieder Kritik. „Am unangenehmsten aber war die Zusammenarbeit mit Österreich. Die ignorieren unser Belastungsmaterial. Oft blieben unsere Anfragen einfach unbeantwortet", sagte etwa Menachem Russak von der israelischen Polizei, zu dessen Aufgaben die Ausforschung von NS-Täter*innen zählte, in einem in Österreich wenig beachteten Interview im Jahr 2003. „Die Österreicher waren nicht besser als die Syrer“, fügte er hinzu.

Autor*in: Markus Sulzbacher

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