briefing: Wir reden schon wieder über die falschen Sachen
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Emil Biller
Reporter

briefing: Wir reden schon wieder über die falschen Sachen

Es ist Freitagmorgen und du liest das tag eins briefing. Jede Woche bieten wir dir hier Perspektiven, Einschätzungen und Analysen zu Politik & Medien – so wie in einer guten Diskussion unter Freund*innen.

Im schnellen Überblick ...

Diese Woche haben wir für dich:
❏ Einen Kommentar über den Umgang von Österreichs Politik und Medien mit der veränderten Situation in Syrien nach dem Sturz des Diktators Bashar al-Assad.
❏ Der gebürtige Syrer Judi Alhussein erzählt, wie es ihm damit geht und welche Gedanken er dazu hat
❏ Einen Ausflug in den rechten Mediensumpf rund um das Netzwerk des Onlinemediums Exxpress.

Am Dienstag war internationaler Tag der Menschenrechte. Mich beschleicht aber das Gefühl, Österreich didn't get the message. Am Dienstag war nämlich auch unser Innenminister Gerald Karner im Ö1-Morgenjournal und hat als Reaktion auf den Sturz des syrischen Langzeitdiktators Bashar al-Assad stolz verkündet, dass Österreich als erstes Land in Europa laufende Asylverfahren von Syrer*innen gestoppt hat und schnellstmöglich Abschiebungen durchgeführt werden sollen. Dabei ist vollkommen unklar, wie es in Syrien weitergeht und ob es wirklich in naher Zukunft zu einem „sicheren“ Herkunftsland wird.

Warum schreibe ich heute darüber? Dieser Diskurs hat mich die ganze Woche über verfolgt – oder besser gesagt gehaunted. Für mich ist an dieser Stelle wichtig offenzulegen, wir verfügen in der Redaktion über keine ausgewiesene Expertise zum syrischen Bürgerkrieg, andere können das besser runterbrechen und erklären. Trotzdem will ich den Finger in die Wunde legen und offen ansprechen, was sich viele denken: Der Diskurs in Österreich ist schon wieder einmal viel zu schnell nach Rechts abgebogen. Mit meinem Österreich-Was-ist-mit-dir?-Kommentar geht es weiter nach dieser Einleitung.

Uns ist es wichtig verschiedene Perspektiven zu einem Thema anzubieten. Aus diesem Grund hat meine Kollegin Jolanda Allram einen seit 2015 in Österreich lebenden Syrer interviewt. Der Friseursalonbetreiber Judi Alhussein erzählt, wie es ihm mit der Situation im Moment geht und was er über die österreichischen Reaktionen darauf denkt. Außerdem widmen sich Dominik Ritter-Wurnig und Markus Sulzbacher im Artikel der Woche dem rechten Mediensumpf und holen die „Berichterstattung“ von Exxpress und Nius vor den Vorhang.

Angesichts der politischen Weltlage kann man schnell die Nerven verlieren. Dagegen hilft manchmal ein kleiner Realitycheck. Es ist nämlich nicht alles nur furchtbar, es gibt auch positive Entwicklungen. Sie gehen im Strom der schlechten Nachrichten aber oft unter. Die Medien bilden nicht die ganze Realität ab. Dem wollen wir bei tag eins etwas entgegensetzen.

Das machen wir zum Beispiel mit unserem Na Gut Newsletter für die Wiener Zeitung. Du denkst jetzt wahrscheinlich, schon wieder ein Newsletter, irgendwann reicht es doch... aber ehrlich gesagt, jeden Mittwoch kurz in meine Emails zu schauen und einige gute Nachrichten zu lesen, hilft mir dabei (als Journalist), nicht komplett den Kopf in den Sand zu stecken. Ich hoffe, du denkst dir jetzt: Na Gut, überzeugt. Dann hier entlang für ein kostenloses Abo. Aber jetzt viel Spaß mit dem heutigen tag eins Briefing!

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Chronologie eines fehlgeleiteten Diskurses

von Emil Biller 📧

Als sich am vergangenen Sonntag die Meldung über den Sturz des Assad-Regimes in Syrien verbreitete, war es schwer zu fassen, wie schnell das Thema Abschiebungen in Österreich aufs politische Tapet gebracht wurde. Damaskus war kaum von dem Regime befreit, der Diktator Bashar al-Assad hatte kaum das Land verlassen, forderten schon die Ersten die Rückkehr der nach Österreich geflüchteten Syrer*innen in ihr Herkunftsland.

Unter dem Zeit-im-Bild-Posting zur sonntäglichen Spontandemo am Wiener Ring, wo tausende Syrer*innen gemeinsam feierten, sammelten sich binnen Minuten hunderte Kommentare mit Flugzeug-Emojis und Abschiebeappellen, die auf viel Zuspruch stießen.

Nur eine Auswahl der Kommentare unter dem Zeit-im-Bild-Beitrag. Screenshot: Instagram/Zeit im Bild

Die Politik und der Boulevard sind schnell darauf angesprungen. Das erste Statement von Bundeskanzler Karl Nehammer beinhaltete bereits eine klare Stoßrichtung: „Wir werden alle Syrerinnen und Syrer, die in Österreich Zuflucht gefunden haben und zurück in ihre Heimat wollen, dabei unterstützen. Die Sicherheitslage in Syrien muss auch neu bewertet werden, um Abschiebungen künftig wieder zu ermöglichen.“

Screenshot: X/Karl Nehammer

Nehammer fällt damit wohlgemerkt ein wenig aus der Reihe, viele andere Staats- und Regierungsoberhäupter haben sich in einem ersten Schritt mit der syrischen Bevölkerung gefreut und das Ende der Ära Assad als etwas Positives hervorgehoben, ohne gleichzeitig das Wort Abschiebungen in den Mund zu nehmen.

Am Montag stoppte Österreich dann die momentan laufenden Asylverfahren von syrischen Geflüchteten. Ganz herzliche Gratulation!

„Ich bin Bundeskanzler Karl Nehammer sehr dankbar, dass er als erster Regierungschef in ganz Europa die Asylverfahren für Österreich gestoppt hat.“ – Innenminister Gerald Karner im Ö1 Morgenjournal vom Dienstag

Die Sicherheitslage in Syrien könne zum aktuellen Zeitpunkt nicht ausreichend bewertet werden können, deshalb sei das Aussetzen von Asylentscheidungen momentan durchaus eine legitime Maßnahme, das passiere auch in anderen Fällen, bestätigen Expert*innen. Aber zu propagieren, man könne jetzt schnell Leute abschieben, man arbeite bereits an einer „Prioritätenliste“ für Abschiebungen von straffälligen Asylwerber*innen, wie das der Innenminister getan hat, ist nicht nur polemisch, sondern schlichtweg rechtsstaatlich nicht umsetzbar.

Auch der Boulevard sprang mit Freuden auf den Abschiebe-Zug. Screenshot: heute.at

Asylverfahren werden gerichtlich entschieden, ein Verfahrensstopp bedeute lediglich, dass abgewartet werden muss, bis wieder eine Einschätzung der Lage möglich sei, betont etwa der Asylrechts-Experte Lukas Gahleitner-Gertz im Ö1 Mittagsjournal am Dienstag. Außerdem sei momentan auch eine Überprüfung von bestehenden Aufenthaltsgewährungen, wie sie der Innenminister angekündigt habe, aufgrund der unsicheren Situation praktisch nicht umsetzbar bzw. sinnvoll.

Zur rechtlichen Einordnung hat die Asylkoordination Österreich ein FAQ veröffentlicht: Sturz des Regimes in Syrien - 7 Fragen 7 Antworten

Sich als Innenminister mit so einem Statement hinzustellen und den Zündschlüssel der Herkules-Abschiebeflugzeuge symbolisch schon umzudrehen, ist nichts anderes als ein Einknicken vor dem rechten Diskurs, vor der rechten Hegemonie. Darüber freuen sich in erster Linie Boulevard und FPÖ.

Angesichts des gesellschaftlichen Rechtsrucks ist diese Reaktion aber leider auch nicht wirklich verwunderlich. Und auch alles andere als neu, woran uns der deutsch-bosnische Autor Saša Stanišić auf der Plattform Bluesky erinnert:

Screenshot: Bluesky/Saša Stanišić

Stanišić bezieht sich zwar primär auf Deutschland, die Geschichte ist in Österreich aber sehr ähnlich. Für die Rechten bietet das Thema ein gefundenes Fressen. Da schnelle Abschiebungen in der Praxis schwierig umzusetzen sind, kann FPÖ-Chef Herbert Kickl das Thema immer wieder aufwärmen und die Untätigkeit der Regierung anprangern. Letztlich verlieren alle – auch die ÖVP, aber vor allem die geflüchteten Menschen, um die es geht.

In einem Beitrag auf dem Instagram-Kanal vom Landesstudio ORF Wien spricht die syrische Studentin Afrah Najm vom Verein Syrian Women for Justice and Peace das auch an: „Wir hören die Wörter Abschiebung und Remigration nicht zum ersten Mal. Die syrischen Menschen fühlen sich einfach nicht akzeptiert in Österreich.“

Statt des rechten Diskurses rund um Abschiebungen sollten wir eher darüber reden, wie wir alle Menschen in Österreich dabei unterstützen können, ein gutes Leben hier zu führen. So wie das Judi Alhussein möglich ist.

„Wir müssen abwarten.“

Protokoll von Jolanda Allram 📧

Judi Alhussein ist 2015 von Syrien nach Österreich geflohen. Foto: Privat

Judi Alhussein ist 2015 mit 23 Jahren von Syrien nach Österreich gekommen. Er betreibt einen Friseursalon in Wien. Vor seiner Flucht hat er in Syrien Jus studiert. Wir haben ihn gefragt, welche Gedanken und Gefühle er hinsichtlich der Situation in Syrien und zu den Reaktionen in Österreich darauf hat.

Als ich nach Österreich gekommen bin, habe ich zuerst im Burgenland gewohnt, fast sechs Jahre lang. Mir war es wichtig, die Sprache, die Kultur und die Mentalität kennenzulernen. 2021 bin ich nach Wien gezogen. Mittlerweile wohne ich im ersten Bezirk. Es ist eine kleine Wohnung, aber meine Kunden sind immer erstaunt darüber. Vor einem Jahr habe ich meinen eigenen Friseursalon im vierten Bezirk eröffnet, direkt am Naschmarkt. Die Firma läuft gut, ich habe hier Fuß gefasst. Ich habe mir einen Kundenstamm aufgebaut, großteils Österreicher. Ich habe auch fast nur Österreicher als Freunde. Ich fühle mich wirklich wohl hier. Österreich hat mich sehr unterstützt und mir viele Chancen gegeben, dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe diese Chancen alle genutzt, weil ich auch etwas beitragen wollte. Ich finde auch, dass ich viel für dieses Land gemacht habe.

Als ich von Assads Sturz gehört habe und das Ausmaß seiner Verbrechen gesehen habe, als ich die Leute in Assads Gefängnis gesehen habe, habe ich geweint. Wie kann man diese Fotos, diese Videos sehen und nicht weinen? Viele Menschen, die dort inhaftiert waren, werden immer noch vermisst. Ich wünsche mir, dass die Medien Assads Verbrechen aufzeigen, damit er zur Rechenschaft gezogen werden kann. Oft wird in den Medien nur über den Islamismus gesprochen. Ich finde, das ist sehr oberflächlich.

Dass Assad weg ist, ist sehr wichtig. Aber trotzdem müssen wir abwarten. Ein paar Politiker sprechen sofort von Abschiebung, das ist nicht sehr menschlich. Weil ruhig ist es noch nicht: mit den Kurden, der Türkei oder Israel. Ich frage mich, wie es um die Sicherheit steht und wie sich die Wirtschaft entwickeln wird? Meine Mutter und Schwester sind in Syrien, sie sagen, dass es sehr chaotisch ist. Ich telefoniere jeden zweiten, dritten Tag mit ihnen. Je nachdem, ob sie Internet haben, denn Strom gibt es bei ihnen nur ungefähr sechs Stunden am Tag. In einigen Städten gibt es gar keinen Strom und kein Gas.

Ich habe Angst, dass Syrien radikal islamistisch wird, wir wollen das nicht. Ich hoffe, dass eine demokratische Regierung kommt. Man darf nicht vergessen, dass Assad und sein Vater 50 Jahre lang an der Macht waren. Das lässt sich nicht so schnell ungeschehen machen. Es dauert, bis ein Land wieder aufgebaut ist. Wenn ich auf Social Media Kommentare lese in Richtung Abschiebung, kann ich nur eines sagen: Das ist eine Katastrophe. Man soll auch ein bisschen menschlich sein. Wie ich haben sich viele Menschen hier gut integriert, sie haben eine Ausbildung gemacht, sie haben Arbeit gefunden oder sind selbstständig. Ich war vor kurzem im Krankenhaus und habe dort viele Krankenpfleger aus Syrien gesehen. Das finde ich super, wir werden gebraucht. Natürlich gibt es auch Syrer, die Probleme machen, aber es gibt auch viele fleißige Leute.

Ob ich wieder zurück nach Syrien möchte, sobald sich die Lage beruhigt? Die Frage kann ich nicht beantworten, ich fühle mich hier sehr wohl. Ich habe gute Freunde gefunden, sie sind wie eine Familie. Ein paar von ihnen laden mich jedes Jahr zu Weihnachten ein. Meine Heimat Syrien ist für mich nur eine Erinnerung. Ich kann mir vorstellen, dass ich zu Besuch komme, aber dort für immer leben?Das kann ich nicht sagen.

🖌️
Im rechten Netzwerk von Exxpress

von Dominik Ritter-Wurnig 📧 und Markus Sulzbacher 📧

„Don’t make stupid people famous.“ Das ist grundsätzlich ein guter und wichtiger Grundsatz. Gerade bei der Medienberichterstattung über das rechte Onlinemedium Exxpress ist das aber ein schwieriges Unterfangen.

Denn wenn ein Medium wie Exxpress, das rechte Hetze betreibt, hauptsächlich auf Krawall setzt und journalistische Qualitätsstandards ignoriert, dafür aber in der Vergangenheit staatliche Medienförderung in Millionenhöhe bezogen hat, ist das umso mehr ein Grund genau hinzusehen. Und das auch aufzuschreiben.

Dominik Ritter-Wurnig und Markus Sulzbacher haben das getan und geben einen Einblick in das Netzwerk von Exxpress: Denn das reicht vom deutschen rechtspopulistischen Onlinemedium Nius über Ex-Kanzler Sebastian Kurz bis hin zu den Identitären.

Den vollständigen Artikel kannst du hier lesen:

Das Exxpress-Netzwerk
Clickbait, rechte Hetze und APA-Meldungen - das ist das Konzept des Onlinemediums Exxpress. Mit dem Anspruch, ein gehobenes Boulevardblatt zu sein, gestartet, ist es heute vor allem ein Krawallblatt. Ein Blick in die Verbindungen des Mediums.

Die Artikel gibt es exklusiv für tag-eins-Mitglieder.


Abschließend gebe ich dir hier noch ein kleines Kampagnen-Update. Wir konnten inzwischen 15 neue Personen überzeugen, tag-eins-Mitglieder zu werden. Wir sagen Danke! Klar ist aber auch, wir brauchen noch mehr Menschen, die tag eins finanziell unterstützen. Bis Weihnachten suchen wir 100 neue Mitglieder.

Als Community-Medium sind wir auf unsere Mitglieder angewiesen. Wie schwer es insbesondere kleine, junge Medien-Start-Ups haben und warum aufgeben am Ende leider durchaus eine Option ist, hat unser Gründer Dominik Ritter-Wurnig im Ö1-Medienmagazin Doublecheck erzählt. Lies oder hör dir das hier an!

Zum Abschluss empfehle ich dir auch noch die Lektüre der gestrigen Kolumne von Ingrid Brodnig im Standard. Sie empfiehlt darin, sich angesichts des fehlenden Fachwissens rund um die Lage in Syrien – aber auch generell – stärker in „intellektueller Demut“ zu üben.

In diesem Sinne, stay humble...

Emil von tag eins

PS: Wenn du noch kein Mitglied von tag eins bist, ist das hier jetzt deine Chance. Wenn du bis zum 17. Dezember hier eine Mitgliedschaft abschließt, nimmst du an der Verlosung von 20 spannenden Büchern teil. Hilft auch bei der Stärkung des Intellekts. ;-)

Wir freuen uns jedenfalls immer noch sehr über Feedback zu diesem Newsletter!

Autor*in: Emil Biller

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