wir haben dich zwar letzte Woche schon darum gebeten, aber es fehlen uns immer noch einige Antworten, um eine gute Einschätzung treffen zu können: Sag uns bitte, was du über das tag eins briefing denkst. Mach mit bei unserer Leser*innenbefragung! (Dauert keine 5 Minuten, ehrlich.)
Ob du es glaubst oder nicht, 2025 ist erst 24 Tage alt. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber für mich haben sich diese drei Wochen bisher eher angefühlt wie drei Jahre. Es ist faszinierend, wie schnell wir uns von einem Punkt mit gemischten Aussichten auf dieses Jahr zu einem Punkt bewegt haben, an dem sich alles fast nur mehr hoffnungslos anfühlt.
Nach der Angelobung und den ersten Dekreten von Donald Trump als 47. US-Präsident zeigt sich: Alles, was er versprochen hat, war ernst gemeint. Die Diskussionen Anfang der Woche darüber, ob Elon Musk bei der Inaugurationsfeier tatsächlich den Hitler-Gruß gemacht hat oder nicht, haben mir dann den Rest gegeben. So als wäre das total aus der Luft gegriffen nach allem, was Musk in der Vergangenheit von sich gegeben hat. Dazu empfehle ich diesen Text in der Zeit (Paywall).
Und in Österreich? Da nehmen die Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP Fahrt auf. Auch hier ist davon auszugehen, dass alles, was in der Vergangenheit angekündigt wurde oder jetzt kolportiert wird, auch genau so kommt.
Diese Woche haben wir für dich:
❏ Vier Optionen, wie Blau-Schwarz doch noch scheitern könnte
❏ Eine Rezension zum Sachbuch „Moralische Ambition“ von Rutger Bregman
❏ Eine Argumentationsbasis dafür, warum die FPÖ als rechtsextrem bezeichnet werden kann
Aber um nicht ganz die Hoffnung zu verlieren, habe ich diese Woche aufgeschrieben, welche Wege es gibt, dass Blau-Schwarz doch noch scheitert. Natürlich – das ist alles nicht sehr wahrscheinlich, aber im Bereich des Möglichen. Und wenn österreichische Innenpolitik eines ist, dann für Überraschungen gut. Aber dazu gleich mehr.
Auch Anna Mayrhauser hat sich diese Woche mit etwas Hoffnungsvollem beschäftigt. Sie hat für tag eins das Sachbuch „Moralische Ambition“ von Rutger Bregman gelesen. Darin beschreibt der niederländische Autor und Historiker, wie man in diesen schwierigen Zeiten selbst aktiv werden kann und dass es für Veränderung manchmal gar nicht so viel braucht.
Sollten in Zukunft tatsächlich Mitglieder einer rechtsextremen Partei in der österreichischen Regierung sitzen, braucht es vielleicht moralische Ambition dringender denn je. Denn ja, die FPÖ ist rechtsextrem. Und ja, wir werden sie fortan in unserer Berichterstattung auch bewusst so bezeichnen. Markus Sulzbacher analysiert im Artikel diese Woche, wieso die FPÖ sehr wohl als rechtsextrem bezeichnet werden soll und warum sich dennoch so viele Medien davor scheuen, dies zu tun.
von Emil Biller 📧
Glaubt man den politischen Beobachter*innen ist eine Regierungskoalition zwischen FPÖ und ÖVP unter einem Kanzler Kickl quasi fix. Aber es gibt es Wege, wie Österreich ein rechtsextremer Kanzler doch noch erspart bleiben könnte. Wir haben vier Varianten skizziert:
1. Die Verhandlungen scheitern und es gibt Neuwahlen
Die Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP könnten scheitern. Die ÖVP oder auch die FPÖ könnten vom Verhandlungstisch aufstehen, weil in bestimmten inhaltlichen Punkten, etwa der Außen- und Sicherheitspolitik, keine Einigung erzielt werden kann. Angesichts der massiven politischen Kehrtwende(n), die von der ÖVP in diesem noch jungen Jahr allerdings schon vollzogen wurden, erscheint diese Variante nicht allzu wahrscheinlich.
So wurde am Dienstag bekannt, dass die ÖVP wohl hinsichtlich Österreichs geplanten Beitritt zum Luftabwehrsystem Sky Shield, einem Prestigeprojekt von ÖVP-Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, einknicken könnte und die Umsetzung dieses Plans für die Volkspartei keine Koalitionsbedingung mehr darstellen soll. Ein möglicher großer Stimmenverlust bei Neuwahlen schwebt wie ein Damoklesschwert über der ÖVP, deren oberstes Ziel der Machterhalt zu sein scheint. Theoretisch könnte aber auch die FPÖ die Verhandlungen verlassen. Aktuelle Umfragen bescheinigen den Freiheitlichen einen massiven Zuwachs an Wählerstimmen bei potenziellen Neuwahlen. Sie hätte also nicht allzu viel zu verlieren, müsste diesen Schritt vor ihren Wähler*innen aber gut begründen.
2. Die ÖVP verhandelt neuerlich mit den anderen Parteien
Um einen rechtsextremen Bundeskanzler zu verhindern und die Demokratie zu schützen, tauchen immer mehr Stimmen auf, die eine Wiederaufnahme von Koalitionsgesprächen zwischen ÖVP und SPÖ, sowie NEOS und/oder den Grünen fordern. So forderte die Chefetage des Falter letzte Woche auf der Titelseite der Wiener Wochenzeitung: „ÖVP-Chef Stocker soll die Verhandlungen mit der FPÖ abbrechen. Der Bundespräsident soll ihn mit der Bildung einer Koalition mit der SPÖ (geduldet von NEOS und Grüne) betrauen.“
Auch eine Petition auf der Plattform mein.aufstehn.at mit dem Namen Restart 71% SPÖ, NEOS, ÖVP und Grüne zurück an den Verhandlungstisch fordert dieselbe Vorgangsweise. Bei der Nationalratssitzung am Mittwoch diese Woche waren allerdings Töne zu vernehmen, die eine Zusammenarbeit oben genannter Parteien in weite Ferne rücken lassen. Abgeordnete von sowohl ÖVP als auch NEOS gaben dabei einmal mehr der SPÖ die Schuld am Platzen der Verhandlungen.
„Mit Klassenkampf und Umverteilung“ werde Österreich die Probleme des 21. Jahrhunderts und aktuelle Herausforderungen nicht lösen, schickte etwa der aktuelle ÖVP-Chef Stocker in Richtung SPÖ. Auch bei den NEOS tönte es ähnlich: Die SPÖ habe demnach „die Menschen in der Mitte für einen Retro-Kurs“ verlassen, der nicht regierungsfähig sei, kritisierte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger in einer emotionalen Rede. Eine Zusammenarbeit oder gar neuerliche Verhandlungen scheinen in der aktuellen Situation also unwahrscheinlich.
3. Alexander Van der Bellen gelobt die Regierung nicht an
Hinsichtlich einer neuen Koalitionsregierung hat auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen noch ein Wörtchen mitzureden – zumindest am Papier. So obliegt Van der Bellen als Bundespräsident die alleinige Aufgabe, eine neue Regierung offiziell ins Amt zu bringen. Er könnte theoretisch einen Kanzler Kickl, einzelne Minister*innen oder die ganze Regierung aufgrund von Sicherheitsbedenken nicht angeloben oder Bedingungen an die Verhandler*innen stellen.
Sollte die geplante Regierung aber von einer Mehrheit im Nationalrat gestützt werden, würde so ein Schritt wohl eine demokratische Krise auslösen, weil sich Van der Bellen damit sinnbildlich über den „Willen des Volkes“ stellen würde. Andererseits ist Van der Bellen der österreichischen Verfassung verpflichtet und es stellt sich Frage, wie gut sich die Angelobung einer zumindest in Teilen rechtsextremen Regierung und einem Kanzler Kickl damit vereinbaren lässt.
4. 17 Abgeordnete der ÖVP stimmen gegen die eigene Koalition
Theoretisch gibt es auch noch eine vierte Variante, wie Blau-Schwarz scheitern könnte. Damit eine Regierung handlungsfähig ist, muss sie sich auf eine Mehrheit im Nationalrat verlassen können. Es würden also am Papier 17 Abgeordnete der ÖVP ausreichen, die sich gegen ihre eigene Partei stellen und damit Blau-Schwarz verhindern.
Genau das will eine Initiative erreichen. Auf der Webseite 17mitgewissen.at können automatisiert E-Mail-Vorlagen für die 51 ÖVP-Nationalratsabgeordneten erstellt und versendet werden. Darin werden sie aufgefordert, „sich nicht der Parteilinie zu beugen, sondern das Richtige für unser Land zu tun“. Weiters heißt es, „17 aufrechte Abgeordnete können eine Regierung verhindern, die unsere demokratischen Grundwerte untergräbt.“
Robert Seyfriedsberger, der Initiator von 17mitgewissen.at weiß, dass die Chancen auf Erfolg nicht so hoch sind: „Aber wenn man nur negativ denken würde, gäbe es keine Veränderung. Eine lebendige Demokratie braucht Menschen, die Verantwortung übernehmen und handeln.“ Bis Donnerstag Mittag wurden bereits über 4.000 E-Mails versandt, berichtet Seyfriedsberger im Gespräch mit tag eins. Für ihn ist die Initiative ein persönlicher Beitrag, sich für eine konstruktive und demokratische Zukunft einzusetzen, auch wenn er sich persönlich damit exponiert: „Die Entwicklungen in den USA zeigen, wie wichtig es ist, demokratische Werte und Institutionen zu schützen. Für Österreich wünsche ich mir eine Zukunft, die auf Respekt, Dialog und gemeinsamer Verantwortung basiert.“
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Achtung, dieses Buch wird dein Leben verändern, sagt der niederländische Autor, Aktivist und Historiker Rutger Bregman gleich am Anfang seines neuen Buches Moralische Ambition recht selbstbewusst. Lieferte er in seinem Bestseller Im Grunde gut einen Entwurf für ein freundlicheres und demokratischeres Menschenbild, möchte er nun Menschen dazu aufrufen, selbst aktiv zu werden und „Gutes“ zu tun – eben moralisch ambitioniert zu sein.
Seine These: Die talentiertesten und erfolgreichsten Mitglieder unserer Gesellschaft kümmern sich nicht um die Belange unseres Planeten, nicht um die dringend anzugehenden Probleme der Menschheit, sondern werden Wallstreet-Banker. (Viel zu viele Harvard-Absolvent*innen landen im Finanzwesen, nennt er als Argument). Was, fragt er sich, könnte man alles erreichen, wenn diese Energie, die in Bullshit-Jobs verpufft oder die Welt noch schlechter macht, für wirklich wichtige Sachen eingesetzt werden würde: im Kampf gegen Atomwaffen, gegen die Fleischindustrie, für Lösungen in der Klimakrise.
Mitreißend, sehr eingängig zu lesen und mit vielen Cliffhangern schildert Bregman die Lebensläufe von Bürgerrechtler*innen, Politiker*innen und Wissenschafter*innen aus unterschiedlichen historischen Epochen, die sich für die Abschaffung der Sklaverei oder für das Frauenwahlrecht einsetzten, die Impfstoffe erfanden oder Gesetze für einen besseren Umweltschutz durchsetzen. Dabei plädiert er für einen pragmatischen Aktivismus, fürs Allianzen schmieden und suchen, auch da, wo sie weh tun, und dafür, sich selbst nicht allzu wichtig zu nehmen.
Das klingt erstmal einleuchtend und ja – auch sehr inspirierend. Doch Bregman kritisiert auch eine Linke, die sich mehr mit sprachlichen Grabenkämpfen beschäftigt, als mit den „wirklich wichtigen Dingen“, eine wenig überraschende These. Dabei liefert er allerdings keine Argumente, warum denn nun zum Beispiel der Wunsch, mit dem richtigen Pronomen angesprochen zu werden, so hinderlich im Kampf gegen die Klimakrise sein sollte. Und auch, wenn er immer wieder betont, dass es ihm um strukturelle Änderungen geht, bleibt sein Charity-Begriff etwas unklar.
Schade ist auch – und schade ist eigentlich das falsche Wort dafür – dass Bregman ausgerechnet den Kampf für die Rechte von trans Personen etwas nonchalant als spaltenden Nebenwiderspruch abtut, etwa wenn er die US-amerikanische Pro-Choice-Organisation NARAL dafür kritisiert, mit ihrem Aktivismus für trans Frauen, nicht alle potentiell Verbündeten im Kampf für das Recht auf Abtreibung, mitgenommen zu haben.
Und dass, wo doch in den letzten Jahren – und besonders in den letzten Tagen wieder – sehr deutlich sichtbar wurde, dass LGBTIQ-Rechte als Erstes bedroht sind, wenn autoritäre Kräfte an die Macht kommen.
Trotzdem liefert Bregman auch tatsächlich in bester Ratgeber-Manier sehr hilfreiche Tipps, um ins Tätigwerden zu kommen. Die meisten Menschen, beschreibt er, müssen einfach gefragt werden, und dann helfen sie schon mit, die Welt zu verändern. Bregman selbst hat dafür gemeinsam mit anderen nun auch die School for moral ambition gegründet, die Stipendien vergibt, damit sich Menschen Vollzeit mit dem Finden von Lösungen für vernachlässigte Probleme unserer Welt beschäftigen können. In den ersten Projekten geht es etwa um Tabakkontrolle und die Änderung unseres Ernährungssystems.
Rutger Bregman: „Moralische Ambiton. Wie man aufhört sein Talent zu vergeuden und etwas schafft, das wirklich zählt“, rowohlt, 336 S., ca. 26 Euro.
Darf man die FPÖ rechtsextrem nennen? Medien scheuen sich oft davor, dass zu tun, teils aus rechtlichen Gründen, teils auch um eine komplexe Realität darzustellen. Aber Bezeichnungen wie etwa „rechtspopulistisch“ sind ungenau. Markus Sulzbacher erklärt, warum man die FPÖ rechtsextrem nennen sollte und welche fundierten Argumente es dafür gibt.
Den vollständigen Artikel kannst du hier lesen (exklusiv für Mitglieder)
Eine Woche noch, dann ist der Jänner wieder vorbei und es geht hoffentlich auch wettertechnisch wieder bergauf. Angesichts der grauen Hochnebelwand über Wien und dem eisigen Wind verkrieche ich mich lieber in meinem Bett und versuche mich abzulenken. Heute startet nämlich die neue Staffel der ORF-Serie School of Champions auf der Streamingplattform ORF On.
Ich würde die Geschichte rund um eine Elite-Ski-Hauptschule in den Tiroler Bergen zwar nicht vollumfänglich empfehlen, aber eine nette Ablenkung ist sie alle mal. Habt ihr noch andere gute Serientipps für diese Zeit?
In der Hoffnung auf viele Antworten wünsche ich ein schönes Wochenende!
Emil von tag eins
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