briefing: Vorweihnachtsfreuden und Rechtsextremismus
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Emil Biller
Reporter

briefing: Vorweihnachtsfreuden und Rechtsextremismus

Es ist Freitagmorgen und du liest das tag eins briefing. Jede Woche bieten wir dir hier Perspektiven, Einschätzungen und Analysen zu Politik & Medien – so wie in einer guten Diskussion unter Freund*innen.

Im schnellen Überblick ...

Diese Woche haben wir für dich:
❏ Ein Augenzeugenbericht von der Pro-FPÖ-Regierungsdemonstration mit rechtsextremer Beteiligung in der Wiener Innenstadt am vergangenen Samstag.
❏ Einen Blick hinter die Kulissen von tag eins: Was passiert eigentlich in einer Redaktionssitzung?
❏ Die vergessene Geschichte von Ludwig Losbichler, einem Nazi-Spion und Raubkunsthändler aus Niederösterreich. Eine exklusive Recherche von Moritz Gross als tag-eins-Artikel diese Woche.

Ich sag’s dir ganz ehrlich, ich tu’ mir heute ganz schön schwer beim Formulieren dieser Zeilen. Zu viele Dinge beschäftigen mich gerade. Die Adventszeit ist das Gegenteil von ruhig, eine Weihnachtsfeier jagt die nächste, die vorweihnachtliche Besinnlichkeit beugt sich dem Glühwein und dem Druck des rechtzeitigen Geschenkkaufs. Und auch bei tag eins geht es vor Weihnachten nochmal richtig rund ...

Heute startet nämlich unsere Weihnachts-Kampagne. Als mitglieder-finanziertes Medium sind wir auf die Unterstützung der Community angewiesen. Wir brauchen unsere Leser*innen, damit wir auch in Zukunft unseren Journalismus machen können. Im Gegenzug dafür versprechen wir euch Unabhängigkeit und Tiefe. In der österreichischen Medienlandschaft ist das leider immer noch eine Seltenheit.

Ich möchte dich deshalb an dieser Stelle vorwarnen, du wirst in den nächsten Wochen immer wieder mal E-Mail-Post von uns bekommen. Wir wünschen uns zu Weihnachten, dass du uns das nicht übel nimmst. Schließlich bekommst du im Gegenzug dieses wunderbare tag eins briefing – kostenlos und mit ganz viel Liebe kuratiert. ;-)

Angesichts der ganzen Weihnachtsfreuden könnte man fast vergessen, dass der Rechtsextremismus im Moment eine akute Bedrohung darstellt. Markus Sulzbacher erinnert uns daran mit einem Augenzeugenbericht von der Demonstration für eine FPÖ-Regierungsbeteiligung vergangenen Samstag in Wien. Spoiler: Das ist alles andere als harmlos, auch wenn das bei anderen Medien so klingt. Und auch die Polizei trägt ihren Teil dazu bei.

Außerdem gibt es noch einen Einblick hinter die Kulissen der tag-eins-Redaktion und eine richtig spannende Recherche über den niederösterreichischen Naziraubkunst-Händler Ludwig Losbichler. Und wenn beim Lesen dieses Newsletters bis zum Schluss durchhältst, haben wir eine kleine Überraschung vom tag-eins-Nikolo für dich. Stichwort: Spotify Wrapped. Viel Spaß!

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Rechtsextreme auf der Straße: Aber wo ist das Wort Rechtsextremismus“?

von Markus Sulzbacher 📧

Die Begründung, mit der die Demonstration für eine Regierungsbeteiligung der FPÖ in der Wiener Innenstadt von der Polizei untersagt wurde, schlug hohe Wellen. Die Exekutive begründete die nicht erteilte Genehmigung nämlich mit der Sorge um das Weihnachtsgeschäft am Einkaufssamstag. Nicht das erste Mal, aber dieses Mal traf es eine rechte Demonstration. Schließlich wurde eine Standkundgebung am Heldenplatz genehmigt, von dem dann eine spontane Demonstration mit 1.500 bis 1.800 Personen loszog und den Verkehr am Ring trotzdem zum Erliegen brachte – obwohl die Polizei starke Kräfte im Einsatz hatte.

 Zwischen 1.600 und 2.000 Personen demonstrierten am vergangenen Samstag für eine Regierungsbeteiligung der FPÖ. Foto: Markus Sulzbacher

Angeführt wurde dieser Zug zeitweise auch von Identitären, die ein Transparent mit der Aufschrift „Bevölkerungsaustausch stoppen, Remigration starten“ trugen. Zuvor hatte die Polizei bei Rechtsextremisten der Gruppe Defend Austria Messer, Pfeffersprays und eine Schreckschusspistole gefunden. Andere Demoteilnehmer*innen griffen die Polizei am Burgtor an. Dabei flogen Fäuste und volle Bierdosen. Bekannte FPÖ-Politiker*innen waren auf der Demonstration nicht zu sehen, auch hielt sich die Partei bei der Mobilisierung auffällig zurück. Die Untersagung wurde von den Freiheitlichen jedoch scharf kritisiert.

Maßgeblich organisiert wurde die Kundgebung von der Gruppe Fairdenken, die bereits gegen die Maßnahmen zur Eindämmung von Corona auf die Straße und andere Themen wie Energiepreise, Sanktionen gegen Russland oder gegen die Wiederwahl von Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf die Straßen ging. Politisch steht Fairdenken sehr weit rechts, auf ihrer Homepage wird etwa das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus als „Schuldkult“ verunglimpft.

Neben den Identitären ließen sich auf der Kundgebung auch bekannte Neonazis auf der Kundgebung blicken. Später wurde im 2. Wiener Gemeindebezirk einem chassidischen (ultra-orthodoxen) Juden sein Schtreimel (die traditionelle Kopfbedeckung am Shabbat) vom Kopf gerissen und gestohlen. Und zwar von einem Mann, der Teil einer Gruppe war, die zuvor auf der Demonstration war und der rechtsextremen Szene zugeordnet werden konnte. Dies belegen Fotos, die tag eins vorliegen.

Die Polizei beim Einsatz gegen die Demo für eine FPÖ-Regierungsbeteiligung. Foto: Markus Sulzbacher

Die Polizei widerspricht allerdings in einer Stellungnahme, dass es einen Zusammenhang mit der Demonstration gab, auch wird der Täter nicht dem rechtsextremen Milieu zugerechnet. Auch bei Berichten über die Demonstration fiel auf, dass das Wort „Rechtsextremismus“ nicht vorkam. Bei ORF.at wurden zwar Waffenfunde bei der FPÖ-Demonstration erwähnt, aber nicht, dass diese von Rechtsextremen mitgeführt wurden. Auch eine politische Einordnung der Gruppe Fairdenken ist in dem Beitrag nicht zu finden, ebenso liest man nichts über die Teilnahme von bekannten Neonazis oder Identitären. 

Auch im Falter.morgen-Newsletter vom Montag kommt das Wort Rechtsextremismus nicht vor. Zwar wird über eine Gruppe junger Männer mit einem „Look zwischen Skinhead und Sellner“ geschrieben, aber nicht erwähnt, dass Sellners Anhänger und Identitäre bei der Demonstration waren und diese zeitweise sogar anführten. Dafür werden Demonstrierende in dem Beitrag als „heterogene Masse“ bezeichnet, obwohl sie für eine Regierungsbeteiligung der FPÖ auf die Straße gingen. Und für den „Frieden“, wie sie behaupteten.

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Hinter den Kulissen bei tag eins: Unser Redaktionsalltag

von Anna Mayrhauser 📧

„Ja, eh nett, aber ist das eigentlich interessant für uns?“ „Das könnte aber auch genauso im Standard/Falter stehen.“ „Aber interessiert das nächste Woche noch jemanden?“ „Schon spannend – aber was können wir dazu beitragen, was ist unser Blickwinkel?“ Das sind Sätze, die man bei tag eins-Redaktionssitzungen öfter hört.

Einmal die Woche treffen wir uns – meistens in unserem Büro in Wien, manchmal digital – und besprechen alles, was so anfällt. Das heißt: An welchen Geschichten arbeiten wir gerade? Welche Themen haben uns freie Autor*innen vorgeschlagen und was davon können wir verwirklichen? (Meistens leider nicht so viel, wie wir gerne würden.) Vor allem aber besprechen wir, worüber wir gerne in nächster Zeit berichten würden und welche Schwerpunkte wir setzen wollen. 

Das sieht dann so aus: Nach einem kurzen Check-In (meistens erzählen wir uns gegenseitig, wie müde wir sind, aber auch, dass wir uns auf die Woche freuen) besprechen wir die aktuellen Artikel, den Stand von Recherchen und Ideen für unsere Website und diesen Newsletter hier, aber auch woran jede*r Einzelne von uns gerade arbeitet und, wo sie*er gerade Unterstützung oder Feedback braucht – von der großen Reportage bis zum Social-Media-Post.

Wenn wir unsere Ideen besprechen, sind das manchmal komplett ausgereifte Themenvorschläge, die wir nur noch abnicken, meistens aber fallen oben genannte Sätze. Manchmal ist die Magie gleich da und alle sagen: „Das müssen wir machen!“ Sehr viel öfter diskutieren wir ein Thema aber länger. Solange bis aus unseren unterschiedlichen Blickwinkeln, die jedes Redaktionsmitglied mitbringt, ein spannender Blick auf ein Thema und ein hoffentlich interessanter Text entsteht. 

Manchmal schweifen wir in den Sitzungen auch etwas ab und verlieren uns in ganz anderen Thematiken, als jene, wo konkrete Artikelvorschläge auf dem Tisch liegen. Das ist für uns immer ein Grund, genauer hinzuschauen. Denn was uns im Alltag bewegt, hat meistens auch eine politische Relevanz für die Gesellschaft. Und deshalb auch für tag eins.

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Der Fall Losbichler

Für unseren Autor Moritz Gross war es erst nur eine Anekdote am Küchentisch seiner Großeltern. Immer wenn das Thema Barcelona aufkam, wo Moritz für einige Jahre lebte, begannen seine Großeltern von einem etwas windig wirkenden Bekannten zu erzählen, den sie dort in den 1960er-Jahren kennengelernt haben. 

Dass dieser Mann – Ludwig Losbichler – mit Naziraubkunst gehandelt hat, wurde unserem Autor erst später klar. Für tag eins hat er die Geschichte von Ludwig Losbichler nun recherchiert: ein Schlosser aus Niederösterreich, der im Nationalsozialismus als Spion in Marokko tätig war und im Spanien der Franco-Diktatur mit Nazi-Raubkunst handelte. Richtig belangt wurde er nie. Als „kleines Licht“ und eher prekäre Existenz war er vermutlich als Strohmann für andere tätig. 

Bis heute gelten immer noch zahlreiche Kunstwerke, die im Nationalsozialismus von jüdischen Eigentümer*innen geraubt wurden, als verschollen. Manchmal tauchen sie in Privatsammlungen oder Museumsdepots wieder auf. Die Geschichte Losbichlers zeigt – es gibt noch viel aufzuarbeiten. 

Den vollständigen Artikel kannst du hier lesen:

Der Fall Ludwig Losbichler
Um die 600.000 Kunstwerke raubten Nazis von jüdischen Kunstbesitzer*innen in Europa zwischen 1933 und 1945. Viele Fälle wurden nie aufgearbeitet. So wie der des Niederösterreichers Ludwig Losbichler, der in Marokko zum Spion wurde und mit bis heute verschollener Raubkunst handelte.

Die Artikel gibt es exklusiv für tag-eins-Mitglieder.


Es gehört inzwischen zur Adventszeit wie der FPÖ-Aufschrei über Nikolo-Verbote im Kindergarten (als gäb's sonst keine Probleme) und die Diskussionen um Heizschwammerl am Christkindlmarkt (ja, eh bissi klimaschädlich, aber Glühweintrinken outdoor ist KULTURGUT!!!!). Lange Einleitung, kurzer Sinn: Die Rede ist von Spotify Wrapped. Für rund 48 Stunden beherrscht der aufwendig produzierte personalisierte Jahresrückblick des schwedischen Musikstreamers die Insta-Stories der ganzen Welt.

Angelehnt daran möchte ich dir hiermit (*drum roll*) tag eins wrapped präsentieren. Leider nicht personalisiert (können uns das finanziell nicht leisten), aber das war euer tag eins Jahr 2024:

Bis nächste Woche und ich widme mich jetzt mal endlich intensiver meinem Spotify Wrapped. (Natürlich ist die britische Pop-Ikone Charlie XCX Top Artist, wer sonst?)

Emil von tag eins

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Wenn du aufmerksam liest, wird dir auffallen, dass hier etwas anderes steht, als die letzten Male. Ich wollte dich testen. Naja ... wir freuen uns jedenfalls immer noch sehr über Feedback zu diesem Newsletter!

Autor*in: Emil Biller

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