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Emil Biller
Reporter

briefing: Regierung unterm Giebelkreuz?

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Ich muss heute etwas zugeben. Ich schaue mich jetzt endlich nach einer neuen Bank um. Bis dato bin ich nämlich Kunde einer Niederlassung der Raiffeisenbanken-Gruppe. Und das geht für mich in diesen Zeiten einfach nicht mehr.

Zu meiner Verteidigung: Ich bin am Land groß geworden. Und da ist man nun mal sehr häufig bei der „Raika“. Der Spielplatz in meinem Heimatort war lange Zeit von der Bank gesponsert, auf der Tafel prangte groß „Sumsi-Land“, benannt nach dem Maskottchen der Raiffeisen, einer Biene. Mein erstes Kinder-Konto war auch dort. Meinen Opa habe ich immer beim Einkaufen im nahegelegenen Lagerhaus (dem wichtigsten Handelsunternehmen der Raiffeisen-Gruppe) begleitet.

Was früher der Spielplatz war, ist heute eine eigene Webseite für Kinder. Man könnte auch frühe Kund*innenbindung dazu sagen. Screenshot: Sumsi.com

Die frühe Kund*innenbindung hat funktioniert: Bis heute bin ich deren Kunde. Allerdings mit Bauchweh. Schließlich hat die Raiffeisen auch in der österreichischen Innenpolitik ihre Finger im Spiel – und jetzt auf den ersten Blick nicht unbedingt zum Wohl aller.

Als eines von wenigen europäischen Unternehmen ist die Raiffeisenbank International AG außerdem trotz Angriffskrieg und Sanktionen immer noch in Russland aktiv. Aktuellen Medienberichten zufolge soll sie sogar indirekt von der russischen Rüstungsindustrie profitiert haben. Aber mehr dazu gleich.

Im schnellen Überblick ...

Diese Woche haben wir für dich:
❏ Eine Zusammenfassung der Geschäfte und Verflechtungen der Raiffeisenbank mit der österreichischen Innenpolitik
❏ Die Antwort auf die Frage, warum die Akten der rechtsextremistischen Terrorwelle der 1990er-Jahre immer noch unter Verschluss sind?
❏ Eine persönliche Erinnerung an die erste Donnerstagsdemo vor 25 Jahren. Wie wurde damals protestiert und was hat sich seitdem geändert?

Viel Spaß mit dem tag eins briefing!

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Der riesige Einfluss der Raiffeisen-Gruppe

von Emil Biller 📧

Eine Bank ist eine Bank und sollte sich primär mit Bankdingen beschäftigen. Möchte man meinen. Nicht so im Falle der Raiffeisenbank. Die zweitgrößte Bankengruppe Österreichs mischt schon lange intensiv in Österreichs Politik (und Medien) mit. Sichtbar wird das aktuell auch in den Koalitionsverhandlungen.

Der Generalsekretär der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien Clemens Niedrist wechselt Anfang 2023 direkt aus dem ÖVP-Finanzministerium zur RLB NÖ-Wien und verhandelt jetzt ohne offizielle Parteifunktion für die ÖVP die neue Regierung. Der maßgebliche Widerstand der ÖVP-Verhandler gegen die von der SPÖ geforderte Bankenabgabe ist bekannt und gilt als eine der Hauptursachen für das Platzen der Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS.

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Raiffeisen-Sektor explained: Die Raiffeisen-Gruppe besteht vereinfacht gesagt auf der ersten Ebene aus über 300 genossenschaftlich organisierten (selbstständig) regionalen Raiffeisenbanken. Jene wiederum besitzen gemeinsam auf der zweiten Ebene die jeweiligen 8 Raiffeisen-Landesbanken (Niederösterreich und Wien sind in einer gemeinsamen Landesbank zusammengefasst). Die Landesbanken wiederum besitzen den größten Anteil (rund 61 %) an der Raiffeisenbank International AG, der dritten Ebene. Sie gilt als das Raiffeisen-Spitzeninstitut und verfügt über zahlreiche Tochterunternehmen und Holdings, auch im Ausland. Alle Raiffeisenorganisationen bilden gemeinsam den Österreichischen Raiffeisenverband, deren Interessenvertretung.

Dass sich die ÖVP für den Raiffeisen-Konzern einsetzt und umgekehrt ist kein Geheimnis. Wie der ÖVP-Rechenschaftsbericht 2023 an den Rechnungshof zeigt, ist der Österreichische Raiffeisenverband sogar Mitglied der ÖVP – und zahlt ihr auf diesem Wege 100.000 Euro jährlich als Mitgliedsbeitrag (*hust* Parteispende *hust*).

Screenshot: ÖVP-Rechenschaftsbericht 2023/rechnungshof.gv.at

Man kann wohl getrost sagen: Die ÖVP verfolgt auch politische Interessen der Raiffeisenbank.

Raiffeisen und Russland

Die Raiffeisen könnte aber auch noch aus anderen Gründen ein Interesse daran haben, dass Österreich eine Regierung aus ÖVP und FPÖ hat. Die Freiheitlichen gelten als russlandfreundlich, Verbindungen zu Putins Partei „Einiges Russland“ gab es bis Ende 2021 sogar in Form eines Freundschaftsvertrages. Immer wieder wettert Parteichef Kickl gegen die EU-Sanktionen gegen Russland.

Apropos Sanktionen. Ab Mitte 2023 wurde das zwölfte EU-Sanktionspaket gegen Russland verhandelt. Österreich stellte sich zunächst quer. Erst im Dezember willigte die Bundesregierung ein. Die Ukraine hatte zuvor die Raiffeisenbank International AG (RBI) von der Liste der „Internationalen Sponsoren des Krieges“ gestrichen. Dort werden Unternehmen gelistet, die Russlands Angriff auf die Ukraine indirekt mitfinanzieren. Ein Zusammenhang liegt nahe, in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der NEOS ging das Bundeskanzleramt von Karl Nehammer damals aber nicht näher darauf ein.

Die RBI ist immer noch in Russland aktiv. Wie es die Europäische Zentralbank (EZB) fordert, will sie ihre Geschäfte dort aber weiter minimieren. Aktuell stecken immer noch über 4,4 Milliarden Euro Geschäftskapital aufgrund der Sanktionen in Russland fest.

Screenshot: Bloomberg.com

Am Montag diese Woche berichtete das US-amerikanische Medienunternehmen Bloomberg dann von russischen Raiffeisen-Kunden, konkret einer Chemiefirma, die Zulieferer der russischen Rüstungsindustrie sein dürfte. Die Raiffeisenbank International AG soll von dieser Firma mindestens 620.000 US-Dollar an Gebühren eingehoben haben und damit indirekt auch von Russlands Krieg profitieren.

Der Umgang mit dem Russland-Geschäft wirkt sich auch auf die Bilanz der österreichischen Bankengruppe aus. Am Dienstag wurden die Geschäftszahlen der RBI von 2024 präsentiert. Das Konzernergebnis ist um 52 Prozent auf (immer noch stolze) 1,157 Milliarden Euro eingebrochen. Hauptgrund dafür: Eine Rückstellung für einen Strabag-Gerichtsstreit in Russland und der Rückzug der Bank aus Belarus.

Raiffeisen und die Medien

Über die Halbierung des Konzerngewinns haben die Wirtschaftsredaktionen dieses Landes umfangreich berichtet. Im Zuge dessen wurde zumeist auch der Bloomberg-Bericht erwähnt. Auf die Vorwürfe angesprochen, reagierte der CEO der RBI Johann Strobl bei der Pressekonferenz zum Konzernergebnis mit einem spannenden Statement: „Man weiß nie hundertprozentig ... wer jetzt welche Rüstungs... Also wir finanzieren ewig schon keine Rüstungsindustrie.“ Für sanktionierte Kund*innen würden keine Zahlungen durchgeführt werden, heißt es zudem im Beitrag der ZIB13 von 4. Februar.

„Man weiß nie hundertprozentig ... wer jetzt welche Rüstungs... Also wir finanzieren ewig schon keine Rüstungsindustrie.“, wird Strobl im ZIB13-Beitrag zitiert. Screenshot: ORF.at

Die Raiffeisen-Gruppe ist aber auch einer der größten Medieneigentümer und besitzt etwas mehr als die Hälfte am Kurier Zeitungsverlag, der wiederum die Tageszeitung Kurier und das Wochenmagazin Profil, sowie weitere kleine (Online-)Medien betreibt. Über ein komplette Übernahme wird verhandelt.

Dass sich diese Beteiligung auch auf die Berichterstattung auswirken könnte, zeigt ein Blick auf die Berichte der beiden Medien zum Thema. Sucht man etwa nach „Raiffeisen“ in der Suchleiste von profil.at, kommt als oberster Beitrag ein Interview mit einem ehemaligen RBI-Chef von August 2024, ansonsten wird die Bankengruppe zumeist in anderen Artikeln beiläufig erwähnt. Investigative Berichte über Verstrickungen der Raiffeisen mit der ÖVP bzw. der Politik sucht man (zumindest auf den ersten Blick) vergebens.

Auch beim Kurier zeigt sich ein spannendes Bild. Erst 2024 hat der Medien-Watchblog Kobuk die Kurier-Berichterstattung der vergangenen drei Jahre analysiert und festgestellt: Die Raiffeisen kommt überdurchschnittlich oft und überdurchschnittlich positiv in den Berichten der Tageszeitung vor.

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Einen detaillierten und aktuellen Überblick über die Raiffeisen-Medien liefert diemedien.at, ein Portal des Standard-Journalisten Harald Fidler: Raiffeisen-Medien: Kurier, Profil, ORF-Sendertochter ORS und NÖN

Raiffeisen besitzt außerdem noch Anteile an Kronehit, der Radiowerbefirma und ORF-Tochter ORS, der NÖN und weiteren kleinen Medien und Verlagen, darunter auch dem Agrarverlag. Dessen Geschäftsführerin ist inzwischen ausgerechnet Katharina Nehammer, die Frau des ehemaligen ÖVP-Chefs und Bundeskanzlers Karl Nehammer. Die Österreichische Volkspartei und die Raiffeisen sind augenscheinlich unzertrennbar miteinander verbunden. Möglicherweise sitzt die Raiffeisenbank also auch in der kommenden Regierung an den Schalthebeln der Republik.

Bisherige tag-eins-Berichterstattung zum Thema:

Hier holt sich Wolfgang Sobotka seinen Applaus
Auch dieses Jahr dirigiert Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka wieder ein Neujahrskonzert im Festspielhaus St. Pölten. Das wirft die Frage auf: Wo verlaufen die Grenzen zwischen politischer Landschaftspflege und Vorteilsannahme?

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Rechtsextremer Terror ad acta gelegt?

von Markus Sulzbacher 📧

Vor 30 Jahren, in der Nacht auf den 5. Februar 1995 wurden im burgenländischen Oberwart vier Roma ermordet: Josef Simon, Peter Sarközi, Erwin und Karl Horvath starben beim Versuch, eine Tafel mit der Aufschrift „Roma zurück nach Indien“ zu entfernen, die sich als Sprengfalle entpuppte. Es war der Höhepunkt einer rechtsextremen Bombenserie, die Österreich von 1993 bis 1996 in Atem hielt. Ziele waren Angehörige von Minderheiten und Personen, die sich für Geflüchtete einsetzten.

Die Akten der Sicherheitsbehörden über diese Terrorwelle bleiben noch Jahre unter Verschluss. Statt der üblichen 30 Jahre unterliegen sie einer erweiterten Schutzfrist von 50 Jahren. Frühestens ab dem Jahr 2043 können Wissenschaftler*innen und Journalist*innen sie im Staatsarchiv einsehen. Begründet wird dies damit, dass die Akten umfangreiche, personenbezogene Informationen – teilweise aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich von Zeugen, Verdächtigen und am Rande beteiligten Personen – enthalten.

Ein Mahnmal in Oberwart erinnert an den tödlichen Anschlag auf die Roma-Gemeinschaft. Foto: priwo/Wikimedia Commons

Es ist davon auszugehen, dass die Akten den einstigen Ermittlern kein sonderlich gutes Zeugnis ausstellen. „Es kam zu Fehlern, Pannen, internen Querelen und Rückschlägen“, fasste die Zeitschrift des Innenministeriums Öffentliche Sicherheit in einem Artikel im Jahr 2023 die Ermittlungen ungewöhnlich selbstkritisch zusammen.

Bezeichnend für die Fahndung nach den Rechtsterroristen war auch, dass die ermordeten Roma in Oberwart erst nach 37 Stunden zu Opfern erklärt wurden. Zuvor galten sie als mögliche Täter, da die Polizei von einer „internen Fehde“ ausging. Es gab daher keine Großfahndung, keine Straßenkontrollen und auch keine Warnung an die Bevölkerung. Dafür wurden die Wohnungen der Opfer und später alle 13 Wohnungen der Oberwarter Romasiedlung durchsucht – davon waren Personen betroffen, die kurz zuvor Angehörige verloren haben. Diese Durchsuchungen fanden am Nachmittag statt, während Medien bereits über einen Terroranschlag spekulierten.

Passend dazu wurde der Täter nicht von den Ermittlern ausgeforscht, sondern im Jahr 1996 zufällig geschnappt. Der steirische Vermessungstechniker Franz Fuchs verlor bei einer Verkehrskontrolle die Nerven und zündete beim Aussteigen aus seinem Auto einen Sprengsatz. Dieser riss ihm beide Hände ab. Fuchs galt als Einzeltäter. Er erhängte sich später in der Haft, was die Gerüchte über ein geheimes, rechtes Netzwerk nie ganz verstummen ließ. Erst vor wenigen Tagen wärmte der ehemalige Anwalt von Fuchs diese Erzählung auf. „Ich glaube nicht, dass Fuchs ein Einzeltäter war“, sagte er der Kronen Zeitung. Beweise gibt es dafür allerdings keine. Dass Fuchs alleine bombte, bezweifelten auch einige seiner Opfer, darunter der ehemalige Wiener Bürgermeister Helmut Zilk, der durch eine Briefbombe schwer verletzt wurde. Trotzdem wurden nach dem Tod von Fuchs keine neuen Ermittlungen aufgenommen.

Die unter Verschluss gehaltenen Akten der Ermittler dürften einen Einblick in die rechtsextreme Szene der 1990er-Jahre und das Umfeld von Fuchs liefern. Bis Anfang 1995 gingen die Ermittler davon aus, dass die Täter im rechtsextremen Milieu zu finden seien. Es hatte den Anschein, als stecke eine Bande hinter den Anschlägen. In Bekennerbriefen gab sich die „Bajuwarische Befreiungsarmee BBA“ als Schaltzentrale für den Bombenterror aus. Allerdings blieb die Suche der Ermittler erfolglos und sie schwenkten um. Hinter den Anschlägen könnte ein Einzeltäter oder eine sehr kleine Gruppe stehen, die nicht unbedingt der rechtsradikalen Szene angehörte, lautete damals der neue Ermittlungsansatz.

Obwohl Fuchs es selbst bei Verhören immer wieder in Abrede stellte, blieb die Polizei bei ihrer Einzeltätertheorie: Für sie war er ein „hochintelligenter Eigenbrötler“.


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Wie Schwarz-Blau eine ganze Generation politisierte

von Dominik Ritter-Wurnig 📧

Vor 25 Jahren fand die erste Donnerstagsdemo statt. Der 4. Februar 2000 (eigentlich ein Freitag) ist bis heute ein Referenzpunkt in der österreichischen Protestbewegung. Zum Jubiläum demonstierten diese Woche am Dienstag rund 30.000 Menschen – um wieder mal gegen eine mögliche bevorstehende FPÖ-ÖVP-Regierung zu protestieren. Was hat sich seitdem verändert, was ist gleich geblieben? Dominik Ritter-Wurnig erinnert sich.

Den vollständigen Artikel kannst du hier lesen (exklusiv für Mitglieder):

Wie Schwarz-Blau eine ganze Generation politisierte
Down the Memory Lane: Vor 25 Jahren habe ich die Schule geschwänzt, um gegen Schwarz-Blau zu demonstrieren. Die Hoffnungen damals waren die gleichen wie heute.

Nachdem das mit den Regierungsverhandlungen jetzt scheinbar eh noch dauert, habe ich genug Zeit, mich intensiv mit meinem Bankwechsel zu beschäftigen. Das macht leider gar keinen Spaß, aber ohne Bank geht es halt auch nicht.

Trotzdem ein schönes Wochenende wünscht

Emil von tag eins

Übrigens: Einen sehr spannenden fiktionalen Einblick in die Machenschaften in und von (Investment-)Banken liefert die deutsch-luxemburgische Serie Bad Banks. Man kann sich beim Schauen gut vorstellen, dass das so oder so ähnlich auch in der Realität abläuft.

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Autor*in: Emil Biller

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