Eine Einigung zwischen ÖVP und SPÖ scheint knapp bevorzustehen. Wir schauen genau hin, was die neue österreichische Regierung (wie auch immer sie aussehen wird) jetzt plant: Deshalb tag-eins-Mitglied werden!
Es zerbricht gerade etwas. Als ich diese Woche auf Social Media über die aktuellen offiziellen Postings des Weißen Hauses gestolpert bin, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ein größenwahnsinniger Trump, der sich selbst als King bezeichnet – auf den ersten Blick erscheint das komplett surreal, ja fast komisch.
Aber schon am Dienstag postete das Weiße Haus auf seinen Social-Media-Kanälen ein sogenanntes ASMR-Video von einer Abschiebung. In dem 40-sekündigen Clip ist eine Person zu sehen, der eiserne Ketten angelegt werden, bevor sie in ein Abschiebeflugzeug gesteckt wird. (Aus gegebenen Gründen verlinke ich hier nicht zu diesem schrecklichen Posting.)
Und auch hinsichtlich der außenpolitischen Zeitenwende lässt ein Besuch auf den offiziellen Accounts des US-Präsidenten tief blicken. Donald Trump postete am Mittwoch einen Text auf seiner Plattform Truth Social. Darin bezeichnet er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als Diktator und spricht ihm die demokratische Legitimation ab. Der Standard vermutet hinter Trumps Kurswechsel einen Erpressungsversuch.
Es ist schier unglaublich, was gerade auf dieser Welt passiert. Die globale Sicherheitsordnung zerbricht, wir leben in einer Zeitenwende. Und was mich dabei fast am meisten erstaunt, wie wenig dieser Umstand in den heimischen Medien thematisiert wird.
Diese Woche haben wir für dich:
❏ Einen Kurzinterview mit einem Experten der Extremismuspräventions-Organisation DERAD über Radikalisierung auf TikTok
❏ Einen Bericht über den übergriffigen polizeilichen Umgang mit Aktivist*innen der Letzten Generation
❏ Einen anonymen Erfahrungsbericht über den Weg zur ADHS-Diagnose mithilfe von Social Media
Ja, wir sind der Machtübernahme durch eine rechte Regierung in Österreich vorerst um Haaresbreite entgangen, im besten Fall kehrt jetzt auch medial wieder ein bisschen Ruhe ein. Trotzdem erscheint der Blick über den Tellerrand (auf dem unser Schnitzelland liegt) in diesen Zeiten mehr als angebracht.
Viel Spaß mit dem tag eins briefing!
von Anna Mayrhauser📧
Der Verein DERAD- Extremismusprävention, Dialog und Demokratie arbeitet mit Menschen, die sich radikalisiert haben, etwa nach und in der Haft, aber bietet auch Workshops für Schüler*innen und Pädagog*innen an. Vier Fragen zur aktuellen Situation an den Mitgründer Moussa Al-Hassan Diaw.
Im Fokus der Berichterstattung über das Attentat von Villach und den verhinderten Anschlag am Wiener Westbahnhof steht gerade die Radikalisierung von Tätern über TikTok. Sollten wir darüber gerade sprechen?
Moussa Al-Hassan Diaw: Nein, nicht wirklich. Für uns ist der Fokus auf TikTok nicht ganz erklärlich. TikTok ist nur eine von vielen Plattformen, die von unseren Klienten regelmäßig genutzt wird, um sich auszutauschen. Das gleiche gilt auch für den Meta-Konzern, unsere Klienten benutzen genauso Instagram, WhatsApp und Telegram.
Ich habe das Gefühl, es gibt eine bestimmte politische Agenda, was TikTok betrifft und man versucht das gerade zu instrumentalisieren. Man sieht die Lösungen ausschließlich darin, eine Plattform zu verbieten. Es ist aber fast lächerlich, zu glauben, dass man ohne TikTok keine Radikalisierungen, keinen Terrorismus und keinen Extremismus mehr hätte. Den gibt es schon länger.
Wie hat sich Online-Radikalisierung in den letzten Jahren verändert?Die radikalisierten Personen nutzen verschiedene Plattformen, hauptsächlich auf ihrem Mobiltelefon, um miteinander zu kommunizieren. Vor 20 Jahren haben sie halt noch den PC eingeschaltet, um das zu tun. Heute kann man schneller Videos, Fotos und Materialien transportieren. Unsere Klienten benutzen hauptsächlich Instagram und Telegram, um miteinander privat zu kommunizieren. Die Profile sind meistens auf privat gestellt.
Welche Präventionsmaßnahmen helfen aus Ihrer Sicht denn wirklich?Zum einen – was ja auch passiert – dass man Workshops anbietet und Leute gegen radikale Erzählungen immunisiert. Indem man vorwegnimmt, was sie wahrscheinlich schon gehört haben oder bald hören werden.
Das zweite ist, direkt mit den Leuten zu arbeiten, die radikalisiert sind. Da wird zumindest unserem Verein die Arbeit im Moment richtig schwer gemacht, weil die Analyse nicht stimmt. Man glaubt, es geht hauptsächlich um psychosoziale Aspekte, die eine Rolle in der Radikalisierung spielen, man sagt etwa, es sei die Pubertät und das gehe wieder vorbei. Aber so verharmlost man die Dinge. Die Arbeit jener, die an extremistischen Ideologien arbeiten, wird so beschränkt. Das ist frustrierend.
Drittens muss es einen Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren geben. Den gibt es im Moment aber nicht. Das ist vielleicht etwas systemisches, jeder kocht sein eigenes Süppchen in seiner eigenen Gruppe, seiner eigenen Berufsgemeinschaft und seinem eigenen Ministerium. Jeder wacht eifersüchtig darüber, dass ja keine Informationen rausgehen, damit man nachher sagen kann, wir waren es nicht. Auch das ist frustrierend.
Wie sieht es mit der Finanzierung von Vereinen wie DERAD aus?
Bei uns sieht es schlecht aus. Aus dem Justizministerium heißt es im Moment, mehr ist nicht möglich. Außerdem seien die meisten nicht radikal, sondern es gebe psychosoziale Problematiken und es sei nicht notwendig, dass wir mit diesen Leuten arbeiten.
Wir haben ein Zwei-Zimmer-Büro. In den Bundesländern haben wir gar kein Büro, wir müssen befreundete Organisationen fragen, ob sie uns Gespräche mit den Klienten zur Verfügung stellen. Von manchen Gerichten werden auch die Gespräche mit den Klienten, die eine Weisung vom Gericht bekommen haben, mit uns zu arbeiten, nicht mehr bezahlt. Sie weigern sich zu bezahlen. Das Justizministerium könnte hier eingreifen.
Im November 2023 leitete die Staatsanwaltschaft Wien Ermittlungen gegen die Klimaschutzgruppe Letzte Generation ein. Wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung („Mafia-Paragraf“ 278 StGB). Seither hat sich wenig getan. „Aktuell warten wir darauf, dass die Staatsanwaltschaft Wien sich dazu durchdringt, entweder die Vorwürfe einzustellen oder uns endlich anzuklagen. Bis jetzt gibt es keine Neuigkeiten“, so die Letzte Generation.
Im vergangenen August beendete die Letzte Generation ihre Proteste wie das Ankleben an Straßen. Man sehe „keine Perspektive für Erfolg“ mehr, so die Begründung.
Seither ist es ruhiger um die Letzte Generation geworden, allerdings wirkt der Aktionismus nach. Einige Aktivist*innen sitzen ihre Strafen lieber ab, als sie zu bezahlen. Am Dienstag wurde ein Vergleich mit dem Flughafen Wien erzielt. Dieser hatte eine Zivilklage gegen sieben Unterstützer*innen eingebracht, die bei einer Störaktion im Juli 2024 im Ankunftsbereich Konfetti verstreut und Farbe verschüttet haben sollen. Für die Reinigung wollte der Flughafen stolze 30.000 Euro – nach dem Gerichtstermin bekommt er nun 15.000 Euro.
Wenige Tage vor dem Vergleich, erzielte ein Aktivist der Letzten Generation einen Erfolg. Weil bei einer Aktion den Protestort in Wien auf Polizeianordnung nicht verlassen hatte, nahm ihn die Polizei fest. Im Polizeianhaltezentrum (PAZ) in der Rossauer Lände erfolgte dann seine Durchsuchung. Dabei fasste ein Polizist an seine Hoden.
Das Landesverwaltungsgericht Wien entschied nun, dass dies nicht zulässig ist. Zuvor hatte das Gericht bereits in mehreren anderen Fällen ähnlich entschieden: Nackt-Untersuchungen oder die Abtastung von Genitalien von Klimaschützer*innen sind nicht zulässig.
„Ich frage mich, warum der Polizist überhaupt meine Hoden anfassen wollte. So ein Verhalten ist einfach extrem seltsam und unpassend“, so der Aktivist. Das Gericht betonte, dass nicht ersichtlich gewesen sei, warum die „Berührung der Genitalien“ notwendig gewesen sein solle. Die Richterin entschied daher, dass der Griff an die Hoden unverhältnismäßig und damit rechtswidrig war.
Schon zuvor hatten die Klimaaktivist*innen ähnliche Entscheidungen erwirkt. Es wurde entschieden, dass das Herunterziehen der Unterhose und eine Nacktuntersuchung rechtswidrig waren, ebenso wie das Abtasten von Po und Vulva.
von Redaktion📧
Die Aufmerksamkeit, die die neurologische Störung ADHS auf Instagram und TikTok erfährt, führt dazu, dass sie oft als Modediagnose oder gar „Hype“ abgetan wird.
Unsere (anonyme) Autorin schreibt über den nicht einfachen Weg zu ihrer Diagnose und warum das Thema auf Social Media zwar wichtig aber nicht ganz unproblematisch ist.
Den vollständigen Artikel kannst du hier lesen (exklusiv für Mitglieder) :
Bei einer tag-eins-Besprechung diese Woche erzählte jemand vom neuesten Social-Media-Eskapismus, dem Tiefsee-Anglerfisch, der vor kurzem vor der Küste von Teneriffa an die Wasseroberfläche geschwommen ist. Das kleine Tier ist verstorben und hat eine regelrechte Solidarisierungswelle auf der chinesischen Plattform TikTok ausgelöst. Ein Video der jungen TikTok-Userin chronic.kaleigh ist viral gegangen.
Für Forscher*innen ist das Verhalten einzigartig und unerklärlich. Der Tiefsee-Fisch, der kurz vor seinem Lebensende nochmal in Richtung Licht schwimmt, ist aber eine gute Metapher für momentane gesellschaftliche Entwicklungen. Viele glauben, ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen und wollen, dass wir uns als Gesellschaft dorthin bewegen – auch wenn uns dort womöglich nichts Gutes erwartet.
In diesem Sinne: Ab ins Wochenende und dem Licht entgegen!
Emil von tag eins
PS: Am Sonntag sind Bundestagswahlen. Ich werde mir die Ergebnisse gemeinsam mit meinen deutschen Freund*innen bei einem Sekt-Orange oder (je nach Ergebnis) auch etwas Stärkerem anschauen. Unsere Leser*innen aus Deutschland seien an dieser Stelle an ihr demokratisches Wahlrecht erinnert.
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