Rabbithole Hafermilch
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Anna Mayrhauser
Redaktionsleiterin

Rabbithole Hafermilch

Von der Latte-Macchiato-Mutter zur Hafermilchgesellschaft: Kann uns die Geschichte des Getränke-Bashings etwas über rechte Kulturkämpfe erzählen?


Es gibt Dinge, die erwartbar das Internet explodieren lassen und manchmal ist das ein bisschen lustig. Die Politikwissenschafterin und Autorin Natascha Strobl postete Mitte März das Bild einer veganen Salamipizza der Firma Dr. Oetker auf Twitter/X. Caption: „Ist Twitter schon bereit hierfür?“

Sehr viele Kommentare und noch viel mehr Likes später zeigt sich: Teils, teils. Die Kommentare reichten von Witzen über die erwartbaren Reaktionen rechter Trolle, über genau solche Reaktionen rechter Trolle, bis zu altklugen Ratschlägen zur Vermeidung von Tiefkühlpizza-Konsum. 

Was das Internet zum Explodieren bringt

Hier eine unvollständige Liste an Dingen, die solche Kontroversen, die Strobl hier humorvoll vorweggenommen hat, auslösen: gendern. Alles, was rosa ist. Alles, was vegan ist. Wärmepumpen. Lastenfahrräder. 

Alles also, was Konservative im rechten Kulturkampf wütend macht. Deshalb hatte auch Internet-Satirestar El Hotzo kürzlich diese Idee:

Eines der Themen, das sich dafür eignet, ist Hafermilch. ___STEADY_PAYWALL___ Auch sie beschäftigt Medien seit Jahren regelmäßig. Die Pflanzenmilch haltet symbolhaft für einiges her: „So eine Hafermilchgesellschaft, so einen Guavendicksafttruppe, die wirklich die ganze Zeit auf der Suche nach der idealen Work-Life-Balance ist“, kritisierte etwa der Moderator Markus Lanz in seinem gemeinsamen Podcast  mit Autor Richard David Precht im vergangenen Sommer die „gefühlige Gesellschaft“ zu der wir uns entwickelt hätten. Kritik auf Social Media und in Meinungsartikeln folgte. Hafermilch steht hier für: Leute, die zu viel Sinn im Leben suchen, zu wenig arbeiten wollen, zu viel jammern, für Männer, die nicht hart genug sind. (Und das sind natürlich Leute, die jünger sind, als Markus Lanz und Richard David Precht.)

Hassobjekt Hafermilch

Das Hafermilch-Artikel-Genre prägte aber schon 2019 die Journalistin und Autorin Nina Pauer mit einem Stück in der „Zeit“ über den Hafermilch-Mann: ein Mann der Mittelschicht um die vierzig, der brav an seiner Selbstoptimierung arbeitet, anstatt in der Midlife-Crisis zu rauchen und zu trinken und sich eine jüngere Freundin zu suchen. Doch der trotz alledem an alten Geschlechterrollen festhält. 

Ende 2023 dann eine leichte Verschärfung in der Hafermilch-Prosa. „Falter“-Chefredakteuer Florian Klenk schrieb (satirisch) auf Twitter/X:

So schnell geht’s: Eben stand der Hafermilchkonsum noch für leicht unsympathische, sich selbstoptimierende Bobos (was ein bisschen unglaubwürdig ist, wenn es zum Beispiel von zwei gutverdienenden Medienstars wie Lanz und Precht kolportiert wird), jetzt ist der*die Hafermilchtrinker*in schon nahe an der Hamas-Unterstützung.

Progressiv denken, konservativ leben

Ich gebe zu, dass mir meine Hafermilch manchmal auch ein bisschen auf die Nerven geht. Die beliebte Marke Oatly erzählt mir auf der Rückseite ihrer Verpackung etwas über eine bessere Welt, zu ihren Investor*innen gehört aber ein fragwürdiges Unternehmen, dessen CEO Trump unterstützt. Auch das passt zum Sinnbild, dass das bürgerliche Feuilleton für die Hafermilchtrinker*innen entworfen hat: Tun so, als gehörten sie zu den Guten, unterstützen aber das Böse. Im Englischen gibt es solche Menschen, die nach außen tugendhaft sind, in Wirklichkeit aber fragwürdiges im Sinn haben, den Ausdruck „virtue signalling“. 

Auch der Getränkekonsum als Symbol für eine sich progressiv gebende, aber konservativ lebende Mittelschicht ist nichts Neues: Da gab es etwa die Latte-Macchiato-Mutter in den 2000er-, frühen 2010er-Jahren, um die sich viele Mythen ranken und der in unzähligen Feuilleton-Artikeln (hier, hier, hier oder hier) ein Denkmal gesetzt wurde. Meist oberflächlich für ihren Konsumwahn und ihre Teilnahme an der Gentrifizierung von Innenstadtvierteln kritisiert, blieb am Ende oft nur die Meinung übrig, dass Frauen mit Babys bitte zuhause bleiben sollten und Mutterschaft (stillen!) eher drinnen passieren sollte.

Schon davor gab es – meist scherzhafte Bezeichnungen – für jene großstädtischen, gebildeten und gut verdienenden Milieus, die im Denken progressiv sind, im Leben aber konservativ. Da wären das Bionade-Biedermeier der frühen 2000er-Jahre, ein Begriff der in Berlin geprägt wurde, aber auch die sogenannte Toskana-Fraktion, ebenfalls ein bundesdeutsches Phänomen, das Wikipedia so erklärt: „die einstmaligen Rebellen der 68er-Bewegung seien demnach, ermattet vom „Marsch durch die Institutionen“, im Alter zu durchaus bürgerlichen Genussmenschen geworden, was sich in ihrer Vorliebe für italienische Gaumenfreuden, Ferienhäuser und Wohnsitze zeige.“

Vom Witz zum neurechten Kulturkampf 

Doch die Sprache des Getränke-Bashing scheint sich verschärft zu haben. So stellt die Autorin Laura Gaida des Onlineportals Utopia.de eine neue Dimension in der Hafermilchdebatte fest. Die Artikel und Überschriften würden hämischer und aggressiver werden, die Argumente wirrer, die Freude darüber, dass Pflanzenmilch gar nicht gesünder sei, als die Alternativen von der Kuh, ist groß. (Dafür allerdings unbestritten klimafreundlicher.)

Es gibt aber einen Unterschied zwischen ein bisschen lustigen Feuilleton-Artikeln oder Hafermilch-Witzen einerseits und neurechten Kulturkämpfen andererseits. Denn all das erinnert an Debatten um Lastenräder oder Wärmepumpen, wo praktische Gegenstände des Alltags zu Statussymbolen der Eliten verklärt werden, während Kuhmilch, Schnitzel, Gasheizungen und SUVs angeblich ganz bodenständig seien. 

Warum Rechte lieber übers Gendern reden als über echte Probleme

Das klingt fast lustig. Bei Gesetzgebungen gegen das Gendern, wie etwa jüngst in Bayern oder schon länger in Niederösterreich, zeigt sich jedoch, dass es das schon längst nicht mehr ist. So absurd diese Kulturkämpfe auch klingen mögen, daraus werden Gesetze, die Diskriminierung aktiv vorantreiben und Raum für Willkür öffnen. Denn was ist es anderes, wenn es heißt, der Gendergap und das Gendersternchen seien für Schriftliches in Verwaltung, Schulen und Hochschulen verboten, wie nun Bayern, und der Einsatz sei für Schüler*innen zwar an sich nicht strafbar, Lehrer*innen müssten sich aber dran halten und man werde im Einzelfall entscheiden?

Und auch in Österreich gilt: Die Klimaerwärmung ist spürbar, die Inflation nach wie vor hoch, in Europa herrscht Krieg, das Bildungssystem benötigt dringend Reformen. Trotzdem redet Kanzler Karl Nehammer am liebsten übers Gendern oder über eine etwas ominös bleibende österreichische Lebensart, die aber unbedingt wichtig wäre, um hier leben zu dürfen. Rechte Wähler*innen werden durch diese Kulturthemen angesprochen und an der Stange gehalten. Lösungen bieten sie nicht.

Autor*in: Anna Mayrhauser

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